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Gewerbesteuer-Rückzahlung
Sindelfingen in der Klemme

Das baden-württembergische Sindelfingen unweit von Stuttgart galt bisher als eine der reichsten Städte der Republik: Zebrastreifen aus Marmor zeugen von munter sprudelnden Steuerquellen. Und wer auf der Autobahn A81 an Sindelfingen vorbeifährt, der sieht auch, aus welchem Unternehmen es da so munter sprudelt.

Von Thomas Wagner |
    Der Stern von Mercedes-Benz
    Der Stern bürgt bisher für gute Steuereinnahmen. (picture-alliance / dpa / Ralf Hirschberger)
    Die Daimler AG unterhält dort ihr weltweit größtes PKW-Werk. Und wo die Limousinen mit dem berühmten Stern auf der Haube zu Tausenden vom Band rollen, fällt auch reichlich Gewerbesteuer an.
    So war das bis vor kurzem. Aber jetzt werden die Gesichter im Sindelfinger Rathaus lang und immer länger: Die erkleckliche Summe von 62 Millionen Euro muss Sindelfingen an zu viel bezahlter Gewerbesteuer zurückbezahle – und das völlig unerwartet.
    Den Ausschlag gibt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. Und da steht drin, dass Unternehmen Aktienverluste nachträglich steuermindernd geltend machen können, was Sindelfingen ziemlich in die Klemme bringt: Aus der reichen Stadt wird schlagartig eine arme Stadt.

    Der Beitrag in voller Länge:
    "Kann man Ihnen etwas helfen? Sie dürfen gerne schauen, mit der Sonne dazu."
    Wochenmarkt in Sindelfingen: Blauer Himmel, Sonnenschein - die Geschäfte von Blumenhändler Willi Wolf gehen gut. Wolf blickt stolz hinunter in die Rudolf-Disel-Straße, die Richtung Autobahn A 81 führt - und zum wichtigsten Gewerbesteuerzahler der Stadt: In den modernen Fabrikgebäuden mit dem charakteristischen Stern drauf lässt der Autoherstellers Daimler seit genau 100 Jahren genau das vom Band rollen, was ein Schwabe wie Blumenhändler Wolf gemeinhin mit "heilig's Blechle" zu bezeichnen pflegt. Allerdings: derzeit gibt das Werk am Rande der Stadt Anlass zur Sorge:
    "Wenn der Daimler hustet, hat die Stadt Grippe. Das ist halt der wichtigste Arbeitgeber. Und momentan ist es so: 63 Millionen Steuerrückzahlung. Da kriegen unser OB und unserer Stadtkämmerer ein bisschen Bauchweh, wie man das stemmen soll."
    Bauchweh im Rathaus
    Bauchweh im Rathaus der eigentlich finanziell auf Federn gebetteten Stadt Sindelfingen - das ist ungewöhnlich. Aber tatsächlich: Statt wie so häufig in den vergangenen Jahrzehnten üppige Gewerbesteuereinnahmen zu kassieren, müssen die Verantwortlichen im Rathaus selbst ganz tief in den Stadtsäckel greifen.
    "Diese Rückzahlung summiert sich inclusive Zins auf 62 Millionen Euro. Davon entfallen 24 Millionen auf Zinsen. Das ist besonders tragisch, weil diese Zinsen nicht angerechnet werden auf den kommunalen Finanzausgleich."
    Komplizierter Rechtsstreit mit Folgen
    Wolfgang Pflumm ist dieser Tage nicht zu beneiden. Der Leiter des Amtes für Finanzen im Sindelfinger Rathaus muss sich nun mit den Folgen herumschlagen, die ein völlig unerwarteter Nachzahlungsbescheid des Finanzamtes mit sich bringt - als Folge eines Rechtsstreites, mit dem die Stadt Sindelfingen zunächst rein gar nichts zu tun hatte.
    "Die ursprüngliche Klage wurde bei Finanzgericht Münster in Westfalen eingereicht. Also geografisch weit entfernt von Baden-Württemberg und von Sindelfingen."
    Inhaltlich aber doch, was kaum einer ahnen konnte, ganz nah dran: Denn bei dem komplizierten Rechtsstreit ging es und die Frage: Dürfen Unternehmen Verluste aus fallenden Aktienkursen rückwirkend mit der Körperschafts- und Gewerbesteuer verrechnen? Dürfen Unternehmen, die Aktien anderer Unternehmen halten, rückwirkend Verluste geltend machen, wenn die Kurse dieser Aktien in den Keller rauschen?
    Die Frage landete schlussendlich sogar beim Bundesverfassungsgericht. Und das entschied:Für Aktienverluste aus den Jahren 2002 und 2003 ist das möglich. Und von diesem Urteil erfuhren auch die Manager des größten Arbeitgebers in Sindelfingen.
    "Es geht da eigentlich um Pensionsrückstellungen. Da wurden Gelder angelegt von Arbeitnehmern, die wenn sie in ihren wohlverdienten Ruhestand gehen, Ansprüche an ihren Arbeitgeber haben."
    Haushaltssperre als Sofortmaßnahme
    Ein Teil dieser Altersansprüche wurde in Aktien angelegt - und das in den Jahren 2002 und 2003, in denen de so genante "Neue Markt" zusammenbrach.Diese Börsenverluste können Unternehmen wie Daimler nun, zwölf Jahre später, über die Finanzverwaltung wieder zurückfordern - und das stellt die Stadt Sindelfingen vor erhebliche Probleme: Zwar nennt sie wegen des Steuergeheimnisses die Daimler AG nicht direkt, spricht stattdessen nur von großen Betriebsstätten. Doch klar ist: An der Rückzahlung führt kein Weg vorbei. Wolfgang Pflumm:
    "Das hat natürlich jetzt zur Folge, dass wir jetzt jeden Stein umdrehen müssen. Wo können wir noch Kürzungen, Streichungen, vornehmen?"
    Als Sofortmaßnahme hat die Stadt Sindelfingen eine Haushaltssperre erlassen. Will heißen: Nur dort, wo sie gesetzlich oder vertraglich dazu verpflichtet ist, gibt sie Geld aus. Alles andere liegt erst einmal auf Eis.
    Intensiv Tacheles reden und sparen
    Zurück auf dem Wochenmarkt in Sindelfingen: Dort ist die fällige Steuerrückzahlung, die immerhin rund einen Viertel des Sindelfinger Haushaltes ausmacht, das Thema schlechthin. Viele Bürger befürchten schmerzhafte Einschnitte.
    "Ja, vielleicht die Infrastruktur für die Kinder, der Zustand der Kinder."
    "Wahrscheinlich in der Kultur, in den Schulen. Das halt Vieles bei den Reparaturen und Erneuerungen - das die eben rausgeschoben werden."
    "Bei sozialen Einrichtungen natürlich. Wo können sie den sonst sparen? Bei den Arbeitsstellen im Rathaus wird man zuletzt rangehen."
    Welche Projekte die Stadt genau streichen wird, ist noch nicht heraus. Hier müssen in den kommenden Wochen Finanzausschuss und Gemeinderat intensiv Tacheles reden.
    So ganz ohne Übung sind sie darin nicht: Immer mal wieder sahen sie sich damit konfrontiert, dass die Gewerbesteuer, die Mitte der 80er-Jahre schon mal bei knapp 140 Millionen Euro lag, ganz zurückging, im wirtschaftlichen Krisenjahr 2009 bereits völlig ausfiel. Doch gerade jetzt, wo der Steuer-Rückzahlungsbescheid wie ein Damoklesschwert über dem Rathaus hängt, kommen auch wieder Diskussionen auf. Ist es wirklich so gut, dass sich die Stadt hautsächlich auf einen einzigen großen Gewerbesteuerzahler verlässt? Wolfgang Pflumm, Leiter des kommunalen Amtes für Finanzen:
    "Natürlich versuchen wir eine Diversifikation beispielsweise bei Gewerbe-Ansiedlungen. Abe nur mal so erwähnt: Wie haben hier eine große Betriebsstätte mit 37.000 Arbeitnehmern. Und das dürfte grob drei Viertel der gesamten Arbeitsplätze hier in Sindelfingen sein. Da sehen Sie schon, dass das schwierig ist, diese Monostruktur aufzulösen. Und ich möchte dazu sagen, dass wir auch schon gute Zeiten hatten und von dieser Struktur profitiert haben."