Silvia Engels: Im Mordfall der elfjährigen Lena in Emden kommt die Polizei nicht aus den Schlagzeilen. Erst hatten die Ermittler Kritik einstecken müssen, weil sie durch eine öffentlich vorgenommene Verhaftung eines 17-Jährigen nicht dessen Anonymität gewahrt hatten. Das hatte später zu Hetzkampagnen im Internet geführt. Der 17-Jährige hatte sich später als unschuldig herausgestellt und nun zeigt sich ein gravierendes Versäumnis rund um den später festgenommenen geständigen 18-jährigen Tatverdächtigen.
Über die Ermittlungspanne in Emden sprach meine Kollegin Anne Raith mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut. Sie wollte gestern Abend wissen, wie er es sich erklärt, dass nichts passiert sei, nachdem der 18-Jährige zur Polizei gegangen und vor sich selbst gewarnt habe.
Bernhard Witthaut: Also das kann ich zurzeit überhaupt noch nicht erklären, weil – und so hat es der Polizeivizepräsident aus meiner Sicht auch richtig gesagt – diese ganzen Details erst mal zusammengetragen und aufgeklärt werden müssen, und erst dann muss man die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Es ist natürlich von dem Ergebnis, was vermutet wird, sicherlich etwas, was uns als Polizisten oder was mich als Polizist natürlich auch sehr stark berührt. Aber dennoch: es muss erst mal alles zusammengetragen werden und dann aufgeklärt werden.
Anne Raith: Es muss zusammengetragen werden. Aber müssen dann nicht auch die Alarmglocken schrillen, wenn ein junger Mann von sich selbst eine erhebliche Gefahr ausgehen sieht?
Witthaut: Ja, das ist natürlich schon so, dass ein Jugendlicher, der auf die Wache kommt, natürlich von der Polizei sicherlich anders wahrgenommen wird, als wenn das ein Erwachsener ist, oder ein etwas älterer Mann. Aber nichtsdestotrotz: Unsere Kolleginnen und Kollegen sind schon so sensibel, dass sie in solch einer Situation dann natürlich auf diesen jungen Mann auch reagieren, und entscheidend ist natürlich das Jugendstrafrecht, oder bei einem Jugendlichen ist das Ziel, jemanden zu erziehen, der vorderliche Grund, während es bei einem Erwachsenen im Prinzip eben halt doch die Strafe ist. Das ist der Unterschied.
Raith: Aber was heißt das, ein junger Mann wird anders wahrgenommen? Nimmt man ihn nicht ebenso ernst wie einen Erwachsenen, oder?
Witthaut: Doch, man nimmt ihn schon sehr ernst. Aber es gibt eine andere Zielrichtung bei der entsprechenden oder in so einer entsprechenden Situation. Bei einem jüngeren Mann muss man natürlich jetzt auch alles tun, na klar. Auf der anderen Seite ist es jedenfalls so: Man muss auch versuchen, ihm zu helfen, und das wird in solch einer Situation dann auch von der Polizei so wahrgenommen. In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und mit anderen muss man versuchen, ihm dann auch zu helfen, und das darf natürlich nicht auf die lange Bank geschoben werden.
Raith: Aber die Schritte, die Sie jetzt nennen, das Jugendamt muss informiert werden, man muss ihm helfen, die sind ja offensichtlich nicht eingeleitet worden.
Witthaut: Ja, deswegen muss ja auch erst mal genau geprüft werden, was da gewesen ist. Es gibt ja viele Situationen auf einer Polizeiwache, die mit dazu beitragen, vielleicht eine Reaktion hervorzurufen, die im Nachhinein sich als falsch erwiesen hat. Nur das kann ich jetzt überhaupt noch nicht bestätigen, kann auch überhaupt noch nichts sagen, sondern im Prinzip muss das jetzt wirklich halt aufgeklärt werden und deswegen finde ich es auch richtig, dass der Polizei-Vizepräsident auch ganz klar gesagt hat, wir werden das alles aufarbeiten.
Raith: Dennoch muss ich Ihnen noch eine Frage stellen, denn bei dem Besuch des jungen Mannes auf der Wache ist es ja nicht geblieben. Es gab eine Selbstanzeige und es gab sogar einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Die Hausdurchsuchung wurde genehmigt, aber nie vollzogen. Wie kann das denn passieren?
Witthaut: Ja. Auch das ist ja ein Umstand, der zurzeit noch nicht klar ist, sondern auch dieser muss ja nachvollzogen werden. Die Polizei in Aurich – das war die zuständige Dienststelle, die auch den Durchsuchungsbeschluss beantragt hat – hat diesen Durchsuchungsbeschluss bekommen und jetzt gilt es natürlich nachzuvollziehen, warum und wieso dieser dann nicht vollzogen wurde. Aber auch das ist detailermittelnd, das sind Ermittlungen, die jetzt noch durchgeführt werden müssen, und das sind auch Dinge, die jetzt wirklich aufgearbeitet werden müssen, und da muss man es natürlich dann auch ganz konsequent, auch mit der entsprechenden Verantwortlichkeit dementsprechend tun.
Raith: Passiert so was denn öfter? Ist Ihnen so ein Fall schon mal untergekommen?
Witthaut: Also mir ist zumindest keiner in dieser Dimension in Erinnerung. Nein, mir ist keiner in dieser Dimension in Erinnerung.
Raith: Also es sind schon auch für Sie viele Fragen offen?
Witthaut: Ja, und deswegen, wie gesagt, nochmals: Es ist ganz, ganz wichtig, dass das auch aufgeklärt wird, und es ist auch ganz, ganz wichtig, dass dann auch daraus die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden.
Raith: Sie sagen aufklären. Es sind jetzt interne Ermittlungen eingeleitet worden. Was muss man sich darunter vorstellen?
Witthaut: Interne Ermittlungen bedeutet im Prinzip, dass Kolleginnen und Kollegen, die nicht von der gleichen Dienststelle kommen, die möglicherweise vom Landeskriminalamt aus Hannover dann dazu beauftragt werden, hier recherchieren, und damit ist zumindest in dieser Form klargestellt, dass eines nicht in der unterschwelligen Diskussion Bestand hat, nämlich dass dort vielleicht Kolleginnen und Kollegen aus Emden oder aus Aurich gegeneinander ermitteln, sondern das ist das Landeskriminalamt und das ist eine andere Behörde, die weit weg ist, und die wird natürlich alles daran setzen, um alle Details zusammenzutragen und dann dies auch würdigen zu lassen. Das bedeutet natürlich auch, in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft, in Zusammenarbeit mit der übergeordneten Behörde, der Polizeidirektion Osnabrück, werden dann die entsprechenden Konsequenzen gezogen.
Raith: Wird man sich am Ende auch die Frage stellen müssen, die sich jetzt schon stellt, ob dieser Mord hätte verhindert werden können?
Witthaut: Also das ist aus meiner Sicht zumindest eine sehr, sehr spekulative Maßnahme, die man zumindest in dieser Situation auch nicht beantworten kann, weil, diese Frage wird vielleicht irgendwann mal beantwortet werden können, aber momentan ist das einfach noch zu früh.
Engels: Meine Kollegin Anne Raith im Interview mit Bernhard Witthaut, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, zu den Ermittlungspannen im Fall Lena in Emden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Über die Ermittlungspanne in Emden sprach meine Kollegin Anne Raith mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut. Sie wollte gestern Abend wissen, wie er es sich erklärt, dass nichts passiert sei, nachdem der 18-Jährige zur Polizei gegangen und vor sich selbst gewarnt habe.
Bernhard Witthaut: Also das kann ich zurzeit überhaupt noch nicht erklären, weil – und so hat es der Polizeivizepräsident aus meiner Sicht auch richtig gesagt – diese ganzen Details erst mal zusammengetragen und aufgeklärt werden müssen, und erst dann muss man die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Es ist natürlich von dem Ergebnis, was vermutet wird, sicherlich etwas, was uns als Polizisten oder was mich als Polizist natürlich auch sehr stark berührt. Aber dennoch: es muss erst mal alles zusammengetragen werden und dann aufgeklärt werden.
Anne Raith: Es muss zusammengetragen werden. Aber müssen dann nicht auch die Alarmglocken schrillen, wenn ein junger Mann von sich selbst eine erhebliche Gefahr ausgehen sieht?
Witthaut: Ja, das ist natürlich schon so, dass ein Jugendlicher, der auf die Wache kommt, natürlich von der Polizei sicherlich anders wahrgenommen wird, als wenn das ein Erwachsener ist, oder ein etwas älterer Mann. Aber nichtsdestotrotz: Unsere Kolleginnen und Kollegen sind schon so sensibel, dass sie in solch einer Situation dann natürlich auf diesen jungen Mann auch reagieren, und entscheidend ist natürlich das Jugendstrafrecht, oder bei einem Jugendlichen ist das Ziel, jemanden zu erziehen, der vorderliche Grund, während es bei einem Erwachsenen im Prinzip eben halt doch die Strafe ist. Das ist der Unterschied.
Raith: Aber was heißt das, ein junger Mann wird anders wahrgenommen? Nimmt man ihn nicht ebenso ernst wie einen Erwachsenen, oder?
Witthaut: Doch, man nimmt ihn schon sehr ernst. Aber es gibt eine andere Zielrichtung bei der entsprechenden oder in so einer entsprechenden Situation. Bei einem jüngeren Mann muss man natürlich jetzt auch alles tun, na klar. Auf der anderen Seite ist es jedenfalls so: Man muss auch versuchen, ihm zu helfen, und das wird in solch einer Situation dann auch von der Polizei so wahrgenommen. In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und mit anderen muss man versuchen, ihm dann auch zu helfen, und das darf natürlich nicht auf die lange Bank geschoben werden.
Raith: Aber die Schritte, die Sie jetzt nennen, das Jugendamt muss informiert werden, man muss ihm helfen, die sind ja offensichtlich nicht eingeleitet worden.
Witthaut: Ja, deswegen muss ja auch erst mal genau geprüft werden, was da gewesen ist. Es gibt ja viele Situationen auf einer Polizeiwache, die mit dazu beitragen, vielleicht eine Reaktion hervorzurufen, die im Nachhinein sich als falsch erwiesen hat. Nur das kann ich jetzt überhaupt noch nicht bestätigen, kann auch überhaupt noch nichts sagen, sondern im Prinzip muss das jetzt wirklich halt aufgeklärt werden und deswegen finde ich es auch richtig, dass der Polizei-Vizepräsident auch ganz klar gesagt hat, wir werden das alles aufarbeiten.
Raith: Dennoch muss ich Ihnen noch eine Frage stellen, denn bei dem Besuch des jungen Mannes auf der Wache ist es ja nicht geblieben. Es gab eine Selbstanzeige und es gab sogar einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Die Hausdurchsuchung wurde genehmigt, aber nie vollzogen. Wie kann das denn passieren?
Witthaut: Ja. Auch das ist ja ein Umstand, der zurzeit noch nicht klar ist, sondern auch dieser muss ja nachvollzogen werden. Die Polizei in Aurich – das war die zuständige Dienststelle, die auch den Durchsuchungsbeschluss beantragt hat – hat diesen Durchsuchungsbeschluss bekommen und jetzt gilt es natürlich nachzuvollziehen, warum und wieso dieser dann nicht vollzogen wurde. Aber auch das ist detailermittelnd, das sind Ermittlungen, die jetzt noch durchgeführt werden müssen, und das sind auch Dinge, die jetzt wirklich aufgearbeitet werden müssen, und da muss man es natürlich dann auch ganz konsequent, auch mit der entsprechenden Verantwortlichkeit dementsprechend tun.
Raith: Passiert so was denn öfter? Ist Ihnen so ein Fall schon mal untergekommen?
Witthaut: Also mir ist zumindest keiner in dieser Dimension in Erinnerung. Nein, mir ist keiner in dieser Dimension in Erinnerung.
Raith: Also es sind schon auch für Sie viele Fragen offen?
Witthaut: Ja, und deswegen, wie gesagt, nochmals: Es ist ganz, ganz wichtig, dass das auch aufgeklärt wird, und es ist auch ganz, ganz wichtig, dass dann auch daraus die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden.
Raith: Sie sagen aufklären. Es sind jetzt interne Ermittlungen eingeleitet worden. Was muss man sich darunter vorstellen?
Witthaut: Interne Ermittlungen bedeutet im Prinzip, dass Kolleginnen und Kollegen, die nicht von der gleichen Dienststelle kommen, die möglicherweise vom Landeskriminalamt aus Hannover dann dazu beauftragt werden, hier recherchieren, und damit ist zumindest in dieser Form klargestellt, dass eines nicht in der unterschwelligen Diskussion Bestand hat, nämlich dass dort vielleicht Kolleginnen und Kollegen aus Emden oder aus Aurich gegeneinander ermitteln, sondern das ist das Landeskriminalamt und das ist eine andere Behörde, die weit weg ist, und die wird natürlich alles daran setzen, um alle Details zusammenzutragen und dann dies auch würdigen zu lassen. Das bedeutet natürlich auch, in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft, in Zusammenarbeit mit der übergeordneten Behörde, der Polizeidirektion Osnabrück, werden dann die entsprechenden Konsequenzen gezogen.
Raith: Wird man sich am Ende auch die Frage stellen müssen, die sich jetzt schon stellt, ob dieser Mord hätte verhindert werden können?
Witthaut: Also das ist aus meiner Sicht zumindest eine sehr, sehr spekulative Maßnahme, die man zumindest in dieser Situation auch nicht beantworten kann, weil, diese Frage wird vielleicht irgendwann mal beantwortet werden können, aber momentan ist das einfach noch zu früh.
Engels: Meine Kollegin Anne Raith im Interview mit Bernhard Witthaut, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, zu den Ermittlungspannen im Fall Lena in Emden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.