Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Michael Vassiliadis. Er ist Vorsitzender der IG BCE, der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie. Er vertritt Arbeitnehmer unter anderem aus den Branchen Kohle, Mineralöl, Gas, Chemie und Pharma. Ich grüße Sie!
Michael Vassiliadis: Ich grüße Sie, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Ist mit einer möglichen Jamaika-Koalition die Kohle in Deutschland am Ende?
Vassiliadis: Na ja, es ist eine Menge Druck auf dem Thema. Das ist nicht ganz neu. Aber die Grünen haben das ja zu einem zentralen Ziel erhoben und dabei auch - dafür sind sie auch bekannt - das Ganze symbolträchtig gemacht. Der Eindruck entsteht, wenn wir aus der Kohle aussteigen würden, dann sind nicht nur alle Klimaziele gesichert, sondern auch das globale Klimaziel näher gerückt. Das ist eine der großen, ja über Jahre schon diskutierten Legenden.
Deutscher Kohleausstieg für globales Klimaziel eine "Legende"
Dobovisek: Warum ist das eine Legende? Es gibt ja auch Wissenschaftler, die genau das sagen, dass die Kohle mit beiträgt zu dem CO2-Ausstoß, den wir in Deutschland haben.
Vassiliadis: Ja, das tut sie auch. Die Legende ist, dass, wenn wir in Deutschland aus der Kohle aussteigen, es einen direkten Zusammenhang allein wegen den Mengen mit den globalen Klimazielen etc. geben würde. Was richtig ist, ist, dass, wenn wir das nationale Klimaziel heranziehen, die Kohle dazu mit einem nennenswerten Beitrag beiträgt. Das ist ja klar. Aber die direkte Verbindung – das ist ja das, was immer wieder geschieht -, wenn wir in der Lausitz und im rheinischen Revier keine Braunkohle mehr verstromen, dass wir einen nennenswerten Beitrag leisten würden, um das globale Klimaziel anzugehen, das ist die Legende.
Halbierung der Kohle-Emissionen "bis 2030 ohne politischen Eingriff"
Dobovisek: Wann kommen wir raus aus der Kohle?
Vassiliadis: Wir kommen "automatisch" raus aus der Kohle, weil es natürlich Genehmigungsfristen gibt. Das heißt, die laufen bis Mitte der 40er-Jahre. Das ist natürlich lang. Und es gibt Abschaltungen von Kraftwerken, weil sie einfach alt geworden sind. Und wir haben in der Vergangenheit ja schon Kompromisse gemacht, beispielsweise mit der Klimareserve. Da gehen in den nächsten Jahren Zug um Zug weitere 3,6 Gigawatt in die Reserve, werden also abgeschaltet. Das heißt, bis 2030 kommt es ohne jeden politischen Eingriff zur Halbierung der CO2-Emission aus der Kohle.
Das reicht nicht, um die Klimaziele 2020 zu erreichen. Aber der Weg ist eigentlich vorprogrammiert, sodass, wenn man sachlich herangehen wird - und das ist das, was wir fordern -, und sagen würde, wir wägen mal ab, Atomausstieg haben wir noch vor uns, der ist ja nicht abgeschlossen, die Energiewende hat viele offene Fragen, Netze, Speicher und so weiter, das gehen wir ordentlich an, und wenn wir da schnell genug sind, kann es auch schneller gehen. Aber dieses politisch induzierte Termin setzen und Abrechnen mit Blick auf die Kohle…
"Zum Beispiel Ausstieg aus dem Fleischkonsum"
Dobovisek: Es ist ja nicht nur ganz politisch induziert. Es gibt ja auch große deutsche Unternehmen, zum Beispiel der Energiekonzern ENBW. Es gibt Siemens, SAP, Adidas, Aldi. All die sind dabei und sagen, wir müssen schnellstmöglich aus der Braunkohle raus. Warum liegen die falsch Ihrer Meinung nach?
Vassiliadis: Die liegen nicht falsch; die haben damit wenig zu tun. Das wird dann anders werden, wenn wir beim nächsten Schritt sind, der notwendig ist, um die Klimaziele zu erreichen: zum Beispiel Ausstieg aus dem Fleischkonsum. Dann wird das anders werden. Wissen Sie, ich halte immer etwas davon: Ich will das gar nicht spitz machen, sondern ich will einfach nur sagen, wir haben eine wirklich große Aufgabe vor uns, die Energiewende zum Erfolg zu führen, und da bin ich uneingeschränkt dafür. Und wir werden auch den Tag erleben, und das tun wir jeden Tag, wo wir fossile Energieträger aus dem Netz nehmen müssen. Wogegen ich mich ein bisschen wehre, ist, dass wir das mit Symbolen verbinden. Die Klimaziele insgesamt werden uns an den Punkt heranführen, dass wir über Verkehr, über Bauen und über Konsum insgesamt reden werden, und das wird verdrängt durch die Frage, wie schnell sind wir beim Kohleausstieg. Hier geht es mir nur um Angemessenheit und um Sachlichkeit.
Kernenergie-Ausstieg ohne "einen Cent Steuergeld"
Dobovisek: Es geht auch um Arbeitsplätze.
Vassiliadis: Es geht auch um Arbeitsplätze. Das ist natürlich für einen Gewerkschaftsvorsitzenden immer ganz konkret. Und ich will nur einmal deutlich machen: Wir sind aus der Kernenergie ausgestiegen und da waren viele tausend Arbeitsplätze. Die haben wir abgebaut, ohne dass ein Cent Steuergeld dafür verwandt worden ist.
"Die sind jetzt alle in China, die Arbeitsplätze"
Dobovisek: Es geht, wenn ich es richtig gelesen habe, um rund 15.000 Arbeitsplätze in der deutschen Kohleindustrie. Es gibt ja auch die These – und das können wir immer wieder an den Zahlen auch sehen -, dass erneuerbare Energien auch Arbeitsplätze schaffen. Das Problem für Sie als Gewerkschafter: Sie vertreten nicht diese neuen Arbeitnehmer, diese neuen Arbeitsplätze. Haben Sie da ein Stück weit auch Angst um Ihre eigene Zukunft?
Vassiliadis: Na ja, gut. Das sind natürlich erst mal Beschäftigte, die bei mir Mitglied sind und die natürlich von ihrer Gewerkschaft erwarten, dass ihre Interessen und ihre Zukunftsfragen beantwortet werden. Das ist völlig normal.
Ich will aber auf eins hinweisen: Ich hatte eine Menge Mitglieder in der Solarindustrie und wegen Architekturproblemen der Förderung sind die jetzt alle in China, die Arbeitsplätze. Die hatte ich auch, die Mitglieder. Das gehört auch zu der Wahrheit, dass das natürlich volatil ist. Wenn Sie subventionieren und nehmen die Subventionierungen zurück, hat das sofort Auswirkungen.
Das heißt, mir geht es nicht darum, dass ich jeden Arbeitsplatz in absurden Zeiträumen verteidige. Es geht mir einfach um Angemessenheit. Und wir haben einen Weg, der führt schon raus aus den konventionellen Energien: Zunächst einmal – so haben wir uns entschieden – aus der Kernenergie, anders als Frankreich, und jetzt sicherlich auch aus Kohle und dann auch aus Gas. Aber die offenen Fragen der Erneuerbaren, die ich angesprochen habe, Speicher, Leitungen, die kann man doch nicht ignorieren, und wir können auch nicht ignorieren, dass bei dem Erfolg von 30 Prozent Erneuerbaren es 70 Prozent nicht Erneuerbare gibt, über die wir doch sprechen müssen. Deswegen: Wenn wir es ausgewogener machen würden, kämen wir auch viel leichter und konfliktfreier zum Ziel. Aber das ist eigentlich meine Kritik.
"Das ist auch eine volkswirtschaftliche und eine soziale Frage"
Dobovisek: Die potenziellen Jamaika-Koalitionäre sprechen ja auch über den Deckel, den es derzeit für den Ausbau der erneuerbaren Energien gibt. Wie wichtig wäre es aus Ihrer Sicht, dass dieser Deckel bleibt oder fällt?
Vassiliadis: Der Punkt ist, dass das EEG und die Förderung zuvor im Prinzip kaum noch Steuerungswirkung hat. Das heißt, das ist Installationsförderung gewesen. Wenn man die Menge haben will, kann man das so machen. Das war sehr, sehr teuer. Und es gab kaum marktwirtschaftliche Impulse. Jetzt gibt es ja Ausschreibungen und übrigens die Grünen selber sind ja ganz stolz darauf, dass dadurch die Preise für Erneuerbare auch gefallen sind. Das heißt, es geht am Ende darum, dass wir die Kosten der ersten 30 Prozent, die immens sind – das ist aber auch normal bei einer neuen Technologie -, dass wir die nicht durchschreiben können, wenn wir auf 100 Prozent zugehen wollen. Das ist auch eine volkswirtschaftliche und eine soziale Frage.
"Koste es was es wolle - das halte ich für nicht verantwortbar"
Dobovisek: Aber wir halten fest: Es muss gefördert werden.
Vassiliadis: Es muss gefördert werden. Das ist völlig unstreitig. Es geht nur darum, dass man zumindest eine Restökonomie walten lässt. Wissen Sie, wenn Sie eine Festverzinsung kriegen, einen Einspeisevorrang haben und keine Risiken, dann führt das am Ende nicht zu guten Entwicklungen. Das heißt, es geht darum, dass wir uns jetzt wirklich auf die Zeit der Erneuerbaren so einstellen, wie das üblicherweise in unserer Wirtschaft auch an anderen Stellen der Fall ist.
Dobovisek: Wie erreichen wir die Klimaschutzziele, die selbst gesteckten bis 2020, ohne dabei massiv Arbeitsplätze zu verlieren?
Vassiliadis: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Wissen Sie, ein Unternehmen gibt sich auch Ziele, und wenn Sie die verfehlen, müssen Sie eine Gewinnwarnung rausgeben. Ansonsten haften Sie sogar dafür. Was ich jetzt erlebe, ist, dass man die Ziele hat. Dass man die ernst nimmt, finde ich richtig. Aber dass man im Zweifel -koste es was es wolle - das Tafelsilber oder soziale Verwerfungen in Betracht zieht, das halte ich für nicht verantwortbar.
Dobovisek: Aber gab es bei dem Ausstieg aus der Steinkohle große soziale Verwerfungen? Die kann ich jedenfalls so nicht erkennen.
Vassiliadis: Nee! Da haben wir ja auch was gemacht. Wir haben uns auf einen Zeitraum eingelassen, der vernünftig war, und wir haben am Ende übrigens auch Geld eingesetzt, um das sozial verträglich zu machen. Davon habe ich noch nichts gehört.
"Wir verstromen ja heute kolumbianische Kohle"
Dobovisek: Und das wäre auch ein Modell für die Braunkohle?
Vassiliadis: Das kann man, wenn man soweit ist, über die Braunkohle auch gehen. Es gibt einen Unterschied: Der Unterschied ist, dass wir bei der Steinkohle über die Steinkohleförderung gesprochen haben, nicht über die Steinkohleverstromung. Das Absurde ist ja am Ende, aber das ist jetzt Geschichte: Wir verstromen ja heute kolumbianische Kohle. Das heißt, CO2-technisch ist der Ausstieg aus der Steinkohleförderung kein einziger Schritt nach vorne.
Hier geht es aber darum, dass wir die Stromerzeugung, die nach dem Kernenergieausstieg natürlich auf die Kohle und auf das Gas gefallen ist, dass wir die jetzt angehen, ohne zu wissen, wie wir das kompensieren. Deswegen: Die soziale Flankierung brauchen wir in jedem Fall. Das erwarte ich auch. Das geht nicht so wie beim Kernenergieausstieg: Die einen bestellen die Ausstiegsziele und die anderen müssen sehen, wie sie es sozial flankieren. Das wird nicht gehen. Aber es gibt auch ein Versorgungsthema. Es gibt auch ein Preisthema. Wenn man den Preis außer Acht lässt, kann man vieles machen.
Dobovisek: Viele Dinge, die noch weiter zu besprechen sind – Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie. Ich danke Ihnen für das Interview.
Vassiliadis: Gerne. Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.