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Gewitter
"Solche Unwetter sind im Sommer normal"

Angesichts der schweren Schäden und sechs Toten in Nordrhein-Westfalen müssten die Menschen Vorhersagen und Warnungen ernster nehmen, sagte Thomas Ruppert vom Deutschen Wetterdienst im Deutschlandfunk. Man müsse sich der Gefahr bewusst werden, die zum Beispiel ein Gewitter bringe.

Thomas Ruppert im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Ein Baum liegt am 10.06.2014 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) nach dem Sturm auf einem Auto.
    Ein Baum liegt in Düsseldorf nach dem Sturm auf einem Auto. (picture alliance / dpa / Andreas Schirmer)
    Martin Zagatta: Rekordtemperaturen in ganz Deutschland. Über Pfingsten war es jetzt so heiß wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr an diesem Feiertag. Und dann die Quittung: Die schwersten Unwetter seit Jahren haben vor allem in Nordrhein-Westfalen eine Spur der Verwüstung hinterlassen und auch Menschenleben gekostet. Und wir sind jetzt verbunden mit Thomas Ruppert vom Deutschen Wetterdienst in Frankfurt. Guten Tag, Herr Ruppert.
    Thomas Ruppert: Ja, schönen guten Tag an die Hörer des Deutschlandfunks in Köln und Umgebung und in Deutschland!
    Zagatta: In ganz Deutschland. Herr Ruppert, ganz Deutschland ist auch das Stichwort für uns. Geht das jetzt so weiter, und wer da, in anderen Teilen Deutschlands, muss sich jetzt besonders Sorgen machen?
    Ruppert: Ja, es geht weiter. Wir haben immer noch diese warme feucht-heiße Luft über uns, und der Tiefausläufer von Frankreich schiebt sich so langsam drüber hinweg. Es besteht immer noch Gewitter-Potenzial, schwerpunktmäßig heute in einem Streifen vielleicht von der See bis runter an die Alpen. Dass dort die heftigsten Entwicklungen stattfinden können. Morgen wird der Schwerpunkt dann in der Südosthälfte unseres Landes liegen.
    Zagatta: Verteilt sich das immer gleichermaßen über Deutschland? In der vergangenen Nacht hat es ja Nordrhein-Westfalen am heftigsten erwischt. Täuscht dieser Eindruck, dass man da im Westen Deutschlands, auch im Südwesten, vielleicht häufiger betroffen ist als anderswo?
    Ruppert: Der täuscht nicht. Es ist immer so, dass einerseits auch Nordrhein-Westfalen, auch das Ruhrgebiet mit zu den wärmeren Gegenden Deutschlands gehören. Und wenn dann da die kalte Luft ankommt, knallt es dort häufiger als vielleicht ganz im Südosten, wo sich Tiefausläufer manchmal schon verschossen haben. Aber das ist nicht allgemeingültig. Man kann auch im Südosten Deutschlands, auch in Bayern, auch in Sachsen schwerste Gewitter haben.
    Zagatta: Jetzt sind ja heute Morgen alle erschrocken über das Ausmaß - sechs Tote, große Verkehrsbehinderungen - haben Sie mit so etwas gerechnet?
    Ruppert: Wir sind von einer Unwetterlage ausgegangen, haben auch damit gerechnet und entsprechend vorhergesagt. Wir haben ein dreistufiges Warnsystem. Eine Wochenvorhersage Wettergefahren, dann Warnlageberichte, die den Tag angehen, und schließlich die Warnungen. Dazu muss man sagen, wir können vorhersagen, stets mit unserem Vorhersagemodell, eigentlich nur die Neigung eines Gewitters. Das Gewitter selbst, wenn es sich entwickelt hat, das muss man dann mit Radar und Satellit beobachten, und erst dann kann man einschätzen, wie schwer es sein wird.
    "Der Gefahren bewusst werden"
    Zagatta: Warum sind jetzt so viele Menschen doch irgendwie ein bisschen sauer, sagen, sie seien entsprechend nicht vorgewarnt worden, sind völlig überrascht - nimmt man Ihre Warnungen nicht ernst, oder stoßen Sie da an Ihre Grenzen mit diesen Vorhersagen?
    Ruppert: Ich habe eher den Eindruck, dass man nicht mehr mit der Natur lebt. Man sollte ruhig mal einen Blick in den Himmel riskieren, und wenn es dann dunkel wird, dann eben mal zu Hause bleiben. Schlimm ist es immer, wenn es so eine dicht besiedelte Region wie das Ruhrgebiet trifft, und noch schlimmer ist es, wenn Menschen ums Leben kommen. Wenn es denn im Gange ist, kann man da wenig machen, aber ich denke, vielleicht sollte man wieder mehr mal in den Himmel schauen, mehr sich mal in den Medien Wettervorhersagen, Warnungen, Berichte und so weiter anschauen und dann entsprechend handeln und nicht einfach sagen, macht nichts, ich bin ja in der Stadt oder so. Wobei ich das jetzt nicht unterstellen will, aber wir müssen wieder mehr mit der Natur leben und auch mal uns der Gefahren bewusst werden, die auch dort lauern.
    Zagatta: Auf der anderen Seite sollen das ja die heißesten Temperaturen über Pfingsten seit Jahren gewesen sein und das heftigste Unwetter - oder die heißesten Temperaturen seit Jahrzehnten sogar, und auch jetzt das heftigste Unwetter seit Jahren. Tritt so etwas häufiger als früher auf - also dahinter steckt natürlich die naheliegende Frage: Ist das Klimawandel, oder ist das wohlfeil, das zu fragen und ist das ein ganz normales, wenn auch schlimmes Sommergewitter?
    Ruppert: Ich würde Letzterem zustimmen. So was hat unsere Atmosphäre, das Wetter und das Klima unserer mittleren Breiten immer schon im Petto. Seit Ende der letzten Eiszeit haben wir solche Wetterlagen, dass immer, wenn eine Schönwetterperiode mit Hochdruckeinfluss und warmer, feucht-heißer Luft, wenn die zu Ende geht, wenn irgendwann mal die Kaltluft mit den Tiefausläufern kommt, dann gibt es eben schwere Gewitter, dann gibt es Unwetter. Dass es nun so schwer wurde mit 144 km/h gestern Abend in Düsseldorf, das ist schon eine Schippe drüber. Ich würde salomonisch so antworten: Solche Unwetter sind im Sommer normal, dass es 144 km/h werden, das ist schon markant.
    "Sehr hochgezüchtete Infrastruktur"
    Zagatta: Jetzt wundert es ja, dass in einem Land wie Deutschland, das so hoch industrialisiert ist, das über eine relativ gute Infrastruktur verfügt, dann der Verkehr derart zusammenbricht, dass die Bahn da nicht mehr fährt. Stehen Sie da nicht in entsprechendem Kontakt, dass auch die da vorgewarnt werden. Oder kann man dagegen auch in einem Land wie Deutschland nichts machen?
    Ruppert: Da wird vorgewarnt. Hintergrund, weswegen solche Sachen gerade in dicht besiedelten Räumen so schwere Folgen haben, ist, dass wir natürlich eine ausgebaute, aber auch sehr hochgezüchtete Infrastruktur haben, die entsprechend empfindlich ist. Wenn man sich mal zurückversetzt, um 1850, und sich das Eisenbahnnetz da anschaut und die Verkehrsverbindungen und auch die Infrastruktur, da waren die Leute Selbstversorger, da haben die verstreut gelebt. Klar, das Ruhrgebiet war auch schon damals ein erster Industrieschwerpunkt, aber da zerläuft sich das, salopp gesagt, während jetzt in Ballungsräumen wie Rhein-Main, Rhein-Ruhr oder wo es auch immer trifft, dann wirklich Mensch, Umwelt, Verkehr, Industrie, Gewerbe, sonst was, alles sehr ineinander verhakt sind. Ein Rädchen dreht das andere sozusagen, und wenn dann so was kommt, wird unsere hochgezüchtete Infrastruktur, unser technisch hoch stehendes Leben wird dann sehr schnell gestört.
    Zagatta: Sie kennen sich als Meteorologe da ja ganz besonders aus, beschäftigen sich mit dem Thema. Ist man dem so hilflos ausgesetzt, also gibt es da kein Mittel dagegen. Gibt es da nichts, was die Bahn beispielsweise dagegen machen kann?
    Ruppert: Nun. Die Frage ist die einer Abwägung - man weiß ja nun nicht genau, ob meinetwegen auf der Strecke Frankfurt-Köln im Bereich Montabaur, ob da ein schweres Gewitter um halb drei morgens stattfinden wird, und dementsprechend können wir auch nicht handeln. Wenn man das wüsste, könnte man natürlich den Intercity zwischen Frankfurt und Köln entsprechend stoppen oder umleiten, aber wir wissen es halt nicht. Und jetzt ist die Güterabwägung, unterbreche ich deswegen den Verkehr, weil ich vielleicht ein Gewitter vermute, oder fahre ich weiter mit einer Technik, die möglicherweise dann empfindlich ist, wenn was passiert. Das ist die Abwägung.
    Und auf der anderen Seite, wir können nun auch nicht das ganze gesellschaftliche Leben einstellen. Ich bring mal einen Vergleich, Stichwort Tornado Alley. Da leben die Leute mit diesen Tornados, und in Oklahoma oder in Texas oder in Arkansas wird niemand auf die Idee kommen, in der Tornado-Saison das öffentliche Leben einzustellen. Da muss man dann schon mal das abwägen. Was natürlich der Einzelne tun kann, er kann sagen, na gut, ich fahre heute nicht oder ich bleibe zu Hause oder ich gehe nicht in den Garten, ich grille heute nicht, ich gehe nicht baden. Das kann man persönlich machen, aber ansonsten ist man dem einerseits ausgeliefert. Andererseits sollte man nun auch nicht deswegen das öffentliche Leben einstellen, weil das wäre fatal. Da kann man ja nun im Sommer gar nichts mehr machen.
    Zagatta: Thomas Ruppert vom Deutschen Wetterdienst in Frankfurt. Herr Ruppert, herzlichen Dank für diese Informationen und Ihre Einschätzungen!
    Ruppert: Gerne, Wiederhören! Grüße an die Hörer!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.