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Gezielt gegen Krebs

4000 Krebsforscher haben in Berlin über die Zukunft der Krebsmedizin diskutiert. Sie soll vor allem eines sein: personalisiert, also genau auf den Patienten zugeschnitten. So können Mediziner genau ermitteln, welche Medikamente wirksam sind.

Von Marieke Degen |
    In Berlin hat am Wochenende das Jahrestreffen der deutschen, österreischen und schweizer Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie stattgefunden. 4000 Krebsforscher haben über die Zukunft der Krebsmedizin diskutiert. Und die soll vor allem eins sein: personalisiert, also genau auf den Patienten zugeschnitten. Mit Hilfe neuer diagnostischer Methoden können Ärzte immer genauer genau ermitteln, welche Therapie für den Patienten geeignet ist - welche Medikamente am besten anschlagen und welche die wenigsten Nebenwirkungen haben. Ein Beispiel ist die akute myeloische Leukämie, die häufigste Form von akuter Leukämie bei Erwachsenen. Hier haben Forscher in den letzten Jahren viele Gene entdeckt, die mit der Krankheit in Verbindung gebracht werden - und die über den Erfolg einer Therapie entscheiden können.

    Das Knochenmark ist die Blutfabrik unseres Körpers, hier werden fast alle unserer Blutzellen gebildet. Doch es kann passieren, dass dieser Produktionsprozess gestört wird. Das Knochenmark stellt dann plötzlich Massen an Blutzellen her, die aber alle nicht richtig funktionieren, und die die gesunden Blutzellen verdrängen. Das ist der Beginn einer akuten Myeloischen Leukämie, kurz AML.

    Löwenberg: "Wenn der Körper nicht mehr genug rote Blutkörperchen bilden kann, kommt es zur Anämie. Wenn die weißen Blutkörperchen fehlen, wird der Körper extrem anfällig für Infekte. Und ohne Blutplättchen kann es zu Blutungen kommen. Das sind die Symptome einer AML, der Patient hat Fieber, ist müde und bekommt leicht Infektionen."

    Bob Löwenberg ist Hämatologe an der Erasmus-Universität in Rotterdam, er zählt zu den besten Leukämieforschern weltweit. Leukämie-Patienten bekommen eine Chemotherapie, das sind Medikamente, die die kranken Blutzellen vernichten sollen. Bei manchen Patienten reicht das aber nicht aus, sie brauchen zusätzlich eine Stammzelltransplantation. Dabei wird ihr Knochenmark vollständig zerstört und durch gesunde Blutstammzellen von einem Spender ersetzt. Diese Zellen siedeln sich in den Knochen des Patienten an und bilden neue, funktionstüchtige Blutzellen.

    Doch wie gut die Therapien anschlagen, ist von Patient zu Patient verschieden. Nur jeder zweite Erwachsene kann geheilt werden.

    Löwenberg: "Wenn Maria am Dienstag die Diagnose Leukämie gestellt bekommt und Peter am Mittwoch, dann kann es passieren, dass Maria überlebt, Peter aber nicht. Dafür gibt es viele verschiedene Ursachen. Erst einmal das Alter. Je älter der Körper ist, desto schwieriger ist es, der Krankheit Herr zu werden. Zweitens: AML ist nicht eine einzige Krankheit mit einer einzigen Ursache. Es gibt möglicherweise viele verschiedene Formen. Und daran forschen wir."

    Eine Grippe ist eine vergleichsweise einfache Erkrankung: Es gibt einen Erreger, das Grippevirus, und eine Krankheit, die Grippe. Die akute myeloische Leukämie ist da wesentlich komplexer. Sie kann viele verschiedene Ursachen haben. Heute weiß man: Es gibt eine Menge Gendefekte, die mit der Krankheit zusammenhängen, und die ganz entscheidend dafür sind, wie gut die Chemotherapie anschlägt.

    Die Ärzte untersuchen deshalb das Erbmaterial in den Blutzellen der Patienten und können die Therapie anpassen.

    Löwenberg: "Wenn bei einem Patienten ein bestimmtes Krebsgen beteiligt ist, zum Beispiel EVI1 (sprich: evi eins), dann wissen wir, dass er nur sehr schlecht auf die Chemotherapie ansprechen wird. Diese Patienten sollten so früh wie möglich eine Stammzelltransplantation bekommen. Wenn es keinen Spender in der Familie gibt, dann suchen wir einen in einer Zellbank. Weil wir wissen: Wenn wir keine geeignete Stammzellen finden, dann verlieren wir den Kampf gegen die Leukämie."

    Ohne Stammzelltransplantation liegt die Überlebenschance dieser Patienten bei zehn Prozent. Mit Transplantation bei 25 Prozent. Das sei eine enorme Steigerung, sagt Bob Löwenberg:

    "Es gibt aber auch genetische Marker, die für eine gute Prognose stehen. Patienten mit diesen Markern sprechen sehr gut auf die Chemotherapie an, so dass wir keine Stammzelltransplantation machen müssen. So eine Transplantation ist schließlich sehr gefährlich, die Patienten können bei der Behandlung sterben. Und bei solchen Patienten würden wir eine Stammzelltherapie nicht empfehlen."

    Auf der ganzen Welt fahnden Krebsforscher jetzt nach weiteren genetischen Risikofaktoren. Wenn die Forscher mehr Details über die Krankheit wissen, können sie irgendwann noch bessere Medikamente entwickeln. Therapien, die auf jeden einzelnen Patienten speziell zugeschnitten werden können, und mit denen sich die Leukämie zielgerichtet bekämpfen lässt.

    Bob Löwenberg ist da sehr optimistisch.