Markus Dichmann: Vor inzwischen 20 Jahren erschien das Buch "Die Doktormacher" von Horst Biallo, und es gilt vielen als praktisch einzige Untersuchung einer Branche, von der wir längst wissen, dass es sie gibt, natürlich, die Branche der Ghostwriter, also Schreiberlinge, die gegen Bezahlung Doktorarbeiten, Diplomarbeiten oder sogar nur einfache Hausarbeiten schreiben.
Richtig herangewagt hat sich aber seit 1995, das war das Erscheinungsjahr des Buches, niemand mehr an diese Branche, hat sie nicht mehr genauer unter die Lupe genommen, bis sich Oskar Piegsa der Sache angenommen hat. Er ist Autor und Redakteur des Magazins "Zeit Campus", und seine Recherchen sind heute in der neuesten Ausgabe veröffentlicht worden. Jetzt hören Sie ihn hier in "Campus & Karriere" – hallo, Herr Piegsa!
Oskar Piegsa: Hallo, Herr Dichmann!
Dichmann: Fangen wir mal an, bevor wir ins Detail gehen, mit einem ganz wichtigen Fakt: Wie viele Arbeiten werden in Deutschland von Geisterhand geschrieben?
Piegsa: Ganz genau wissen wir das leider nicht. Das ist auch heute so. Also, das heißt, der Horst Biallo hat da Zahlen genannt, seitdem ist die Branche aber stark gewachsen, das kann man, glaube ich, behaupten. Denn als sein Buch damals erschien, und das war auch die Motivation für uns, noch mal genauer hinzugucken, wie es heute in dieser Schattenwirtschaft aussieht, ist natürlich das Internet dazu gekommen, was den Markt erheblich vergrößert hat. Hatten wir 2011 den Guttenberg-Skandal, der für ganz viele Leute überhaupt erst bewusst gemacht hat, dass es dieses Angebot gibt, was Sie nachfragen können.
Das heißt, der Markt ist gewachsen in den letzten 20 Jahren, so weit aus dem Fenster lehnen würde ich mich. Aber da es immer noch eine Schattenwirtschaft ist, können wir nur Schätzwerte formulieren, basierend auf den Aussagen, die uns teilweise die Ghostwriter selbst gegeben haben oder die Chefs der Ghostwriting-Agenturen.
Um Zahlen zu nennen, wären das ungefähr 50 Leute, die hauptberuflich davon leben. Das ist so die Schätzung, die immer wieder von Agenturchefs, also Leuten, die Ghostwriter vermitteln, das ist die Zahl, die da immer wieder genannt worden ist. Zwei der ganz großen Agenturen, ACAD Write einmal, sagt, dass sie im vergangenen Jahr ungefähr 2.000.000 Umsatz gemacht haben, 2.000.000 Euro, und GWriters, eine andere Agentur, die wohl zu den größeren zählt, hat 1.500.000 nach eigenen Angaben gemacht.
Zusammen haben sie seit Bestehen der Firma ungefähr 10.000 Arbeiten geschrieben. Das sind ungefähr die Richtwerte. Also Millionen-Branche kann man auf jeden Fall sagen, mindestens 10.000 Arbeiten, ungefähr 50 Leute, die davon hauptberuflich leben.
"Bachelor und Master-Arbeiten werden am meisten fremd geschrieben"
Dichmann: Von 10.000 Arbeiten sprechen Sie also, Herr Piegsa, von was für Arbeiten denn aber genau? Gibt es vielleicht besondere Problemgruppen, besondere Gruppen, die besonders häufig auf die Dienste von Ghostwritern zurückgreifen?
Piegsa: Was für mich überraschend war, und was, glaube ich, ganz wichtig ist zu sagen, dass es hier relativ wenig um Dissertationen geht. Wir haben, glaube ich, seit Guttenberg und so weiter, im Kopf, dass das ein besonders problematisches Feld ist irgendwie, was Schummeleien, Betrügereien oder vielleicht auch Ghostwriting angeht. Tatsächlich ist es aber so, dass die Agenturchefs der größeren Ghostwriting-Agenturen sagen, dass im Gesamtvolumen der Anfragen, die sie bekommen, Dissertationen nur im niedrigen einstelligen Bereich sind. Also, ich glaube, das ist vernachlässigbar. Das hat vielleicht noch mal eine andere Qualität als andere Abschlussarbeiten oder Hausarbeiten, aber es sind nicht so viele.
Die meisten Arbeiten, die geschrieben werden, so weit wir das sagen können, sind Bachelorarbeiten, sind Masterarbeiten und vergleichbare Abschlussarbeiten und sind Hausarbeiten. Und wenn Sie jetzt nach den Fächern fragen, dann ist das nicht besonders überraschend, was man da zu hören kriegt, nämlich, dass im Grunde die Fächer viel nachfragen, die auch viel studiert werden. Also Zahlen auch wieder gibt es von ACAD Write zum Beispiel, das ist eine der größeren Agenturen, die da sehr offen und PR-freudig und öffentlichkeitswirksam mit umgeht. Die sagt, 33 Prozent der Nachfrage kommt aus den Wirtschaftswissenschaften, 28 aus den Geisteswissenschaften, acht Prozent aus den Rechtswissenschaften. Das deckt sich ungefähr so mit den Aussagen anderer Agenturchefs, anderer Ghostwriting-Agenturen, die das ungefähr bestätigt haben.
"Es sind durchaus auch dubiose Angebote da sein"
Dichmann: Was mich mal interessieren würde, ist, wie eigentlich Ghostwriter und Kunde zusammenkommen. Haben Sie da auch Erkenntnisse? Wenn ich jetzt zum Beispiel mich als Erstsemester oder mir als Erstsemester bei einer Hausarbeit helfen lassen will, wie finde ich da meinen Ghostwriter? Ich meine, der wird ja keinen Aushang an der Campus-Mensa machen oder so was?
Piegsa: Ja, so war das früher, dass es da Zettel an den Pinnwänden gab, dass man also zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein musste, bevor da womöglich irgendein Professor vorbeikommt und das abreißt, den Zettel, oder weil er sich darüber ärgert. Heute ist das alles sehr viel leichter geworden durch das Internet natürlich.
Also, wenn Sie sich den Spaß machen und "Hausarbeit schreiben lassen" googeln, finden Sie eine Vielzahl von Websites, die Sie da ansprechen oder Sie als Kunden versuchen, abzufangen. Teilweise Websites, die auf den ersten Blick professionell aussehen, mit lächelnden Menschen auf Fotos mit 0800-kostenlosen Nummern. Wenn man dann aber genauer hinguckt, sieht man aber manchmal, dass da Rechtschreibfehler in den Werbetexten sind oder so.
Also, es sind durchaus auch dubiose Angebote dabei, andere die sehr darum bemüht sind, professionell zu wirken, die Kostenvoranschlagsrechner haben, wo Sie unverbindlich eingeben können, ich suche hier für, weiß ich nicht, Psychologie, meine Bachelor mit dem Umfang, was wird das ungefähr kosten.
Also, da ist ein großes Bemühen da, sich im Internet sehr professionell und auch sehr normal zu inszenieren, als wäre es das Normalste auf der Welt, dass man sich eine Arbeit kauft.
Dichmann: Wie sind Sie denn eigentlich bei all diesen Untersuchungen und Recherchen vorgegangen? Das ist ja, ich sage mal, ein mindestens sensibler Bereich, in dem Sie da unterwegs waren.
"Ghostwriting ist nicht verboten"
Piegsa: Das Überraschende ist, dass die Ghostwriter ein ziemlich großes Interesse haben, an die Öffentlichkeit zu kommen. Das Internet ist der wichtigste Vertriebskanal oder der wichtigste Kanal, um Kunden zu erreichen. Aber sie erreichen nur die Kunden, die das wirklich googeln, die wissen, dass es so was vielleicht gibt, die das ahnen, die das suchen. Und interessiert an Öffentlichkeit sind die schon, um die Studenten zu erreichen, die dann Lust auf Betrug haben und diese Angebote annehmen.
Dichmann: Aber das ist ja beinahe paradox, dass so eine Schattenbranche die Öffentlichkeit sucht und sie nicht als Gefahr empfindet.
Piegsa: Das ist sehr paradox, ja. Und das war vielleicht auch für mich die interessanteste Erkenntnis während dieser Recherche, dass es zwar schon noch da einige Old-School-Anbieter gibt, die sich im Hintergrund halten, die auf keinen Fall fotografiert werden wollen, die sehr zögerlich sind, aber eben auch neuere Unternehmern, die nach dem Netz, nach dem Guttenberg-Skandal reingekommen sind und die sehr daran interessiert sind an einer Normalisierung, glaube ich, dessen, was sie tun. Die keine Angst haben, denn das muss man auch wissen, die Anbieter selbst brechen das Gesetz nicht. Es ist nicht verboten, wissenschaftliche Arbeiten für andere zu schreiben.
Es ist dann erst verboten, diese in eigenem Namen einzureichen. Also, der Täter nach geltendem Recht ist immer der Student oder die Studentin, die da sich einen Ghostwriter kauft und sich von dem die Arbeit schreiben lässt und dann so tut, als wäre das eine eigene Arbeit. Die Agenturen selbst profitieren davon, dass es rechtlich nicht ganz eindeutig ist oder nicht ganz illegal und gehen da sehr frech an die Öffentlichkeit mit ihrem Angebot.
Dichmann: Oskar Piegsa. Seine Recherchen und seine Story können Sie seit heute auch in der aktuellen Ausgabe von "ZEIT Campus" lesen. Jetzt gerade haben Sie ihn gehört hier in "Campus & Karriere" im Deutschlandfunk. Danke, Herr Piegsa!
Piegsa: Vielen Dank!
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