Die Vorwürfe klingen unglaublich: Im Vatikan herrschen Korruption und Intrigen, ein Geflecht aus Vetternwirtschaft und Machtmissbrauch. Die Kurie unterhält beste Verbindungen zu Politik, Staatsanwaltschaft und auch zur Mafia. Es geht um Geld, Gier und ja: auch um Sex.
Das Buch "Erbsünde" zeichnet ein düsteres Bild von den Zuständen hinter den hohen Vatikanmauern. Und der Autor Gianluigi Nuzzi stellt unbequeme Fragen: "Wurde Johannes Paul I. ermordet? Wer hat Emanuela Orlandi entführt? […] Warum bleiben alle Reformen, mit denen erst Papst Benedikt XVI. und nun Papst Franziskus für eine transparentere Kurie sorgen wollten, unweigerlich auf halbem Wege stecken oder scheitern in Gänze?"
Erbsünde ist Nuzzis viertes Buch, es beschäftigt sich mit rätselhaften Ereignissen, die man im Vatikan lieber unter die barocken Teppiche kehren würde. Wie etwa das spurlose Verschwinden von Emanuela Orlandi:
Am 22. Juni 1983 verschwand das 15-jährige Mädchen spurlos aus dem Vatikan. Von der Tochter eines kirchlichen Angestellten fehlt bis heute jede Spur.
Verschwiegene Wahrheit als Druckmittel
Zahlreiche Theorien kursieren seitdem: War es eine Entführung, die im Zusammenhang mit dem Papst-Attentat von 1981 stand? Wurde sie an einen unbekannten Ort geschafft und lebt dort weiter? Gibt es Verbindungen zur Mafia? Vor dem Hintergrund zahlreicher Ermittlungspannen, falscher Spuren und verschwundener Hinweise ist Nuzzi überzeugt: Der Vatikan weiß mehr, als er zugeben will.
"Jedes Mal, wenn sich die Tür einen winzigen Spalt zu öffnen scheint, wird sie sofort wieder zugeschlagen. Damit bleibt die Wahrheit das Geheimnis weniger Eingeweihter und wird, wie andere Geheimnisse im Vatikan auch, zur ungesicherten Waffe, die jederzeit als Druckmittel, zur Erpressung und für andere Gewaltakte eingesetzt werden kann. […] Es war eine unbequeme Wahrheit, die nicht ans Licht kommen durfte."
Bis heute ist das Schicksal von Emanuela Orlandi ungeklärt. Im italienischen Fernsehen sagte Nuzzi kürzlich:
"Ich glaube, am Ende war es ein Sexualverbrechen, bei dem sie getötet wurde. Und die Mafia hat die Drecksarbeit erledigt und das Mädchen weggeschafft. Und dann hat sie die Auftraggeber erpresst. Damals hat Papst Johannes Paul II. in aller Öffentlichkeit ihre Freilassung gefordert. Das ist doch absurd, denn die Kirche hatte sich ja schließlich selbst erpressbar gemacht."
Die Geschäfte der Vatikanbank
Und das ist mitnichten eine verschrobene Verschwörungstheorie: Nuzzi arbeitet seit vielen Jahren als Investigativ-Journalist, ausgiebig nutzt er seine Beziehungen zu Würdenträgern und einflussreichen Personen. Immer wieder gelangt er an Informationen, die eigentlich streng geheim sind. 2012 löste er damit den ersten "Vatileaks"-Skandal aus. 2015 veröffentlichte er ein Buch über die Geldverschwendung in der Kurie.
Überhaupt: Das Geld ist für Nuzzi der Dreh- und Angelpunkt im Vatikan. Viele seiner Recherchen führen zur Vatikanbank. Doch anders, als der Name es nahelegt, hat das "Instituto per le Opere di Religione" mit religiösen Werken offenbar nicht so viel im Sinn. Nuzzi führt in seinem Buch zahlreiche Kontobewegungen und Bilanzen auf, die darauf hindeuten, dass die Bank in dubiose Finanzgeschäfte verwickelt ist.
"Der Grund war ganz einfach: Dank der Lateranverträge sicherte ein gerichtsfester Schutzschild die Tätigkeit der Kunden vor jeder Neugier der Staatsanwaltschaft oder des Fiskus ab. Und als sei das nicht genug, genossen die Angestellten der Bank Immunität hinsichtlich jeder Ermittlung italienischer Behörden."
Von Reformplänen und Zermürbung
Seit Johannes Paul I. haben alle Päpste versucht, aufzuräumen. Sie richteten Prüfungskommissionen ein und wollten mehr Transparenz. Doch jegliche Reformanstrengung wurde stets von einflussreichen Kreisen unterwandert. Keinem gelang es, diese mächtigen Seilschaften aufzulösen. Nuzzi ist sogar überzeugt: Am Ende trat Papst Benedikt genau deswegen zurück; aus dem Gefühl der Ohnmacht heraus und der Erkenntnis, dass seine Kräfte für derartige Machtkämpfe nicht mehr reichen.
"Alle Reformmaßnahmen des Papstes werden unter einem dicht gewebten Netz aus Tod, Geld und Sex unweigerlich im Keim erstickt. Solange es nicht gelingt, sich von dem erpresserischen Sumpf der düsteren, ungeklärten Geschichten zu befreien, wird jeder Veränderungswille, unter welchem Papst auch immer, zum Scheitern verurteilt sein."
Geldwäsche, Intrigen, Missbrauch und Drogenpartys: Die Informationen, die Nuzzi zusammenträgt, sind verstörend und er weiß sie medienwirksam zu vermarkten, in Italien ist er gern gesehener Talkshow-Gast, seine Enthüllungen sorgen regelmäßig für Aufmerksamkeit.
Eine Einordnung oder gar die Sicht der Gegenseite kommen hingegen zu kurz. Mit der journalistischen Sorgfaltspflicht nimmt Nuzzi es nicht so genau. Doch im Kern sind seine Vorwürfe berechtigt, daran herrscht auch im Vatikan kein Zweifel.
Sein Verdienst ist es, Informationen an die Öffentlichkeit gebracht zu haben, die die Kirche lieber unter der Decke halten würde; Löcher in dieses absolutistische System gebohrt zu haben, das versucht, freie Presse und Berichterstattung zu kontrollieren.
"Ich glaube, wenn man gewisse Tabus und Mauern durchbricht, sind das Prozesse, die unumkehrbar sind. Es geht um die Demokratisierung von Information. Im Vatikan wird nach wie vor geschwiegen und vertuscht, das muss sich ändern und ich bin überzeugt, auch dort sind freie Berichterstattung und Transparenz nur noch eine Frage der Zeit."
Gianluigi Nuzzi: "Erbsünde. Papst Franziskus’ einsamer Kampf gegen Korruption, Gewalt und Erpressung",
Orell Füssli Verlag, 332 Seiten, 25 Euro.
Orell Füssli Verlag, 332 Seiten, 25 Euro.