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Giardino Spoerri in der Toskana
Zaubergarten am Monte Amiata

Daniel Spoerri war längst ein berühmter Künstler, als er Anfang der 90er Jahre in das italienische Örtchen Seggiano kam. Er kaufte ein altes Adelsgut mit 16 Hektar Land - und verwandelte es in einen Zaubergarten. Bis heute kann man dort Skulpturen von Spoerri und einigen Weggefährten in der Natur entdecken.

Von Manfred Schuchmann |
    Der Künstler Daniel Spoerri im März 2017 in Wien
    Der Künstler Daniel Spoerri im März 2017 in Wien (imago/Future Image)
    Ganz im Süden der Toskana beherrscht der Monte Amiata das Land - ein mächtiger, erloschener Vulkan, in dichten Wald gehüllt, Steineichen, Kastanien, hohe Buchen. Autobahnen führen weitläufig am Amiata vorbei, man erreicht ihn nur über Landstrassen, manchmal hat man einen Traktor vor sich. Kurve links, Kurve rechts, Schalten, Steigung, Kurve links. Mein alter Saab muss sein Bestes geben auf dem Weg nach Seggiano.
    Seggiano ist ein hübsches mittelalterliches Dorf inmitten reicher Olivenhaine. Es gibt viele solche Dörfer in der Toskana. Anfang der 1990er Jahre durchstreifte der Schweizer Künstler Daniel Spoerri die Gegend am Monte Amiata und blieb genau hier hängen, in Seggiano. Er kaufte ein altes Adelsgut mit 16 Hektar Land, und seither ist Seggiano kein Dorf mehr wie viele andere. Seggiano ist ein Dorf mit einem Zaubergarten.
    Das erste, was ich zu sehen kriege, noch auf dem Parkplatz des Gartens, ist ein großer, aus Steinen geschichteter Backofen mit menschlichen Büsten als Kamine. Auf den zweiten Blick entdecke ich ein Paar menschliche Füße, die unter der Ofentür hervorlugen. Füsse aus Bronze. Die Kaminbüsten auch aus Bronze. Vom Hang gegenüber, hinter Bäumen hervor, dengelt ein metallenes Geräusch. Hunderte Aluminiumröhren hängen in einem Stahlrahmen, immer wenn der Wind hindurchgeht oder ein Besucher, ist das Gedengel zu vernehmen. Ich schaue mich um: Gottseidank liegt Spoerris Garten außerhalb des Dorfes - keine unmittelbaren Nachbarn, deren Schlaf bei starkem Wind leiden könnte.
    Ich treffe mich gleich am Eingang mit Daniele Rossi, einem sehr freundlichen Mann in mittleren Jahren - rundes Gesicht, grauer Bart, graues Haar, aber nicht mehr allzu viel davon. Daniele Rossi ist Landwirt, war auch mal Bürgermeister von Seggiano, und ist ein Freund des Künstlers. Die Entstehung des Giardino Daniel Spoerri hat er hautnah miterlebt - samt der Querelen um das Projekt.
    "Als ich Bürgermeister wurde, hatte Spoerri mit Seggiano und meinem Vorgänger geradezu im Widerstreit gelegen!"
    Spoerri war zwar längst ein berühmter Künstler, als er nach Seggiano kam, aber bis zum Monte Amiata war sein Ruhm nicht gedrungen. In Seggiano hielt man den Schweizer wohl eher für etwas gaga.
    "Vermutlich ja. Auf jeden Fall für eine Person, die nicht so richtig in die Landschaft passte. Er machte ja ziemlich neue Kunst, Gegenwartskunst, und er brachte auch ziemlich neue Ideen mit. Anfänglich gab es da eine ziemliche Distanz, und die ging von den Bürgern aus."
    Eine Tasse für eine Badewanne voll Kaffee
    Nachdem Spoerri das Landgut erworben hatte, besiedelte er das Gelände zielstrebig mit seltsamen Figuren und rätselhaften Gebilden. Einer riesigen Kaffee-Tasse, zum Beispiel. Klar, jeder in Seggiano trinkt gerne Espresso. In Spoerris Tasse aber würde eine halbe Badewanne davon passen.
    Und dann dieser Brunnen - plätschert so freundlich, ist aber aus lauter Fleischwölfen zusammengesetzt. Hat hier auch jeder in der Küche, so einen Fleischwolf - da wird Schwein und Rind durchgedreht. Aber wieso ragt aus Spoerris Fleischwölfen ein menschlicher Fuß? Schon wieder ein Fuß in prekärer Lage - erst die beiden im Ofen, jetzt einer im Wolf! Vermutlich war das doch alles sehr gewöhnungsbedürftig für die Menschen vom Amiata, jedenfalls am Anfang.
    Ich glaube, die Dinge haben sich mit der Zeit sehr gebessert, sagt Daniele Rossi, der Ex-Bürgermeister von Seggiano:
    "Ich glaube, inzwischen sieht auch die Bevölkerung den Giardino Spoerri als etwas Bedeutendes an, immer mehr kommen selbst und schauen sich die Dinge an. Aber wahrscheinlich gibt es auch immer noch welche, die nie hier drinnen waren!"
    Das Röhrengedengel hat Daniel Spoerri übrigens nur indirekt zu verantworten, der Venezuelaner Jesús Rafael Soto ist sein Urheber. Spoerri hat an die fünfzig Künstlerfreunde und Weggefährten eingeladen, mit ihm gemeinsam seinen Giardino am Monte Amiata zu bevölkern - Jean Tinguely und Bernhard Luginbühl sind dabei, Nam June Paik und Meret Oppenheim, Dany Karavan und Dieter Roth - mit ihren Arbeiten im Giardino Spoerri hätte man mühelos auch eine Documenta in Kassel oder eine Biennale von Venedig bestücken können. Aber es sind auch weniger bekannte Künstler vertreten, persönliche Entscheidung des Hausherrn Spoerri, wundervolle Entdeckungen.
    Nicht nur bei deutschen Besuchern gehört die Gänseschar von Olivier Estoppey zu den Lieblingsstücken. Drei riesige, gespenstische Trommler treiben sie einen Hang hinunter, ihrem Jüngsten Gericht entgegen. Man meint geradezu, ihr panisches Geschnatter zu hören. Nur eine einzige wird diesem "Dies irae" - so heißt das Werk -, dem Tag des Zorns, dem Tag der Abrechnung entgehen: ein Junge hält sie im Arm, abseits von allen anderen.
    Ich habe mich längst in Spoerris Zaubergarten verlaufen, weil ich mich hier nach links und dort nach rechts verlocken lasse, ohne noch einen Blick auf den kleinen Faltplan zu werfen, den man mir an der Kasse in die Hand gedrückt hat. Nur auf die Schilder "Vorsicht Schlangen" gebe ich Acht und halte mich brav auf den Pfaden, statt einfach durch Gebüsch und hohes Gras zu pirschen.
    Von weitem blitzt eine Art Laubengang in der Sonne, er ist mit jungen Rosen und Jasmin bewachsen. Beim Näherkommen sehe ich: der Laubengang besteht aus lauter Sensen, deren Stiele sich in der Mitte kreuzen. Die Spitzen zielen nach unten. Will ich da wirklich durch? Lieber nicht! Schon wieder dieses mulmige Gefühl - wie bei den Füssen im Ofen und dem einen im Fleischwolfbrunnen. "Damokles Rosenhaag-Gang" hat Spoerri diese Sensen-Pergola getauft:
    "Daniel hat sich in seinem Leben immer mit dem Tod auseinandergesetzt, soweit ich ihn verstehe."
    Sagt Roberto Rossi, Koch, Hotelier und ebenfalls Freund des Künstlers:
    "Er stellt sich dem Tod und dem Leben, er stellt sich dem Sexus und - mit seinen Worten: der Scheiße, zu der wie schließlich alle werden. Aber die lässt einen Baum wachsen, der Früchte tragen wird, die dann wieder ein Mensch isst. Daniel lebt das wie eine große Reise. Er sei bereit, hat er mir gesagt, ganz heiter. Von eben auf jetzt kann alles vorbei sein und vorüber."
    Künstler und Freund haben sich beim Essen kennengelernt
    Roberto Rossi ist übrigens nicht verwandt mit Daniele Rossi, dem früheren Bürgermeister von Seggiano, den wir zuvor getroffen haben - in Italien ist Rossi ein so häufiger Name wie bei uns Meier, Müller oder Schmidt. Spoerri und Roberto Rossi haben sich natürlich beim Essen kennengelernt, der Künstler war oft zu Gast in Rossis Restaurant. Heute kümmert sich Roberto Rossi in Spoerris Abwesenheit um die Belange des Gartens. Und wann trifft man den Künstler selbst in seinem Garten?
    "Davon träumt jeder Besucher! Und mich, der sich um den Garten kümmert, macht es zufrieden, ihn um mich zu haben und zu spüren, das alles durch ihn beseelt wird."
    Seit zwanzig Jahren ist der Giardino Spoerri jetzt für das Publikum geöffnet. Und wenn ich auch heute nicht das Glück habe, dem Künstler selbst in seinem Garten zu begegnen - immerhin kann ich seiner Stimme folgen, zu jedem einzelnen Kunstwerk. Jedenfalls dort, wo mein Smartphone auf Empfang geht, unter www.danielspoerri.org hört man ihn:
    "Kleine Anekdote: die Katharina, die damals meine Frau war, als wir das aufbauten, liebte diesen Hügel und bat mich, bitte nichts auf diesem Hügel aufzustellen. Als ich aber die Idee hatte mit diesem Kreis, machte ich es trotzdem und sie vergab mir, weil sie sagte, das sei wirklich die schönste Skulptur."
    Diese Skulptur ist ein gemauertes, niedriges Steinrund auf eben jenem Hügel mit der fantastischen Aussicht. Neun bronzene Pferdeschädel ruhen auf der Mauer, und aus jedem Pferdeschädel wächst wie eine Lanze ein Narwalzahn empor, an den ein leerer, bronzener Handschuh greift - als wäre da jemand, der die Lanze hielte. Aber es steckt im Handschuh keine Hand, er bleibt geisterhaft leer. "Einhörner / Nabel der Welt" lese ich auf dem kleinen Schild, Daniel Spoerri, 1991.
    Von diesen Einhörnern blickt man hinüber auf das mittelalterliche Seggiano und auf die hügelige Landschaft des Monte Amiata. Bilder, die mir im Gedächtnis bleiben werden. Die Einhörner, die Sensen-Laube, der Fleischwolf-Brunnen - ja, sie waren es wert, dass ich meinen alten Saab hinaufgequält habe nach Seggiano, zum Monte Amiata, dem erloschenen, großen Vulkan im Süden der Toscana.