Von dem amerikanischen Ökonom Milton Friedman stammt der Satz: "Die einzige Verantwortung, die Unternehmen haben, ist ihren Profit zu steigern."
Gewinnmaximierung als absolutes Ziel, so lautet das klassische Credo der Wirtschaftswissenschaft. Rein ökonomisch betrachtet, scheint das auch vernünftig: Gewinne sichern den Fortbestand des Unternehmens, die Zukunft seiner Arbeitsplätze, Gewinne mehren den Reichtum der Aktienbesitzer ebenso wie die Steuereinnahmen des Gemeinwesens.
Und doch kann ein bedingungsloses Streben nach Gewinn - wenn es nicht von moralischen Regeln und Rücksichtnahmen gezügelt wird - in Unvernunft, ja in einer Katastrophe enden, wie die jüngst Finanzkrise dramatisch vor Augen führte. Die Ökonomie braucht nicht nur gesetzliche Spielregeln, sondern auch moralische Werte. Sie braucht eine Wirtschaftsethik, erklärt die Ökonomin Imke Schmidt vom Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen.
"Die Wirtschaftsethik hat sich eigentlich in der Mitte des letzten Jahrhunderts erst entwickelt, in den USA hat das angefangen, es war im Grunde der Einsicht geschuldet, dass die reine Gewinnmaximierung im Endeffekt dazu führt, dass wichtige Grundlagen des Lebens zerstört werden. Das hat angefangen mit Fragen des Armutsgefälles zwischen Nord und Süd, zwischen Industrie - und Entwicklungsländern ist dann aber auch weiter gegangen, als klar wurde dass auch die ökologischen Grundlangen unseres Lebens zerstört werden, man denkt jetzt gerade die aktuelle Debatte des Klimawandels, - insgesamt wurde durch diese Einsichten in die globalen Probleme das reine Gewinnmaximierungsprinzip sehr stark hinterfragt."
Die Globalisierung forciert das Problem einer weltweiten Wirtschaftsethik. Früher funktionierten nationale Wirtschaftsräume mir ihren spezifischen Traditionen und Leitvorstellungen weitgehend unabhängig und nebeneinander her, heute durchdringen sie sich immer intensiver. Multinationale Konzerne haben ihre Rohstoffgewinnung und Zulieferbetriebe, ihre Produktions- und Vertriebsstätten über den ganzen Erdball verstreut. Ein und dasselbe Unternehmen agiert in verschiedenen Kulturkreisen, die auch das jeweilige Wirtschaftsleben prägen. Es würde helfen, sich auf gemeinsame Leitbilder und Wertvorstellungen zu verständigen. Aber ist das überhaupt möglich?
Solvay Gerke, Soziologin am Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung begrüßt eine solche interkulturelle Diskussion, aber unter einem Vorbehalt.
"Wenn das gemeinsame Spielregeln und gemeinsame Leitbilder sind, die auch gemeinsam erarbeitet werden, dann ist das sinnvoll. Aber in der Regel ist es so, dass Leitbilder vom Westen vorgegeben werden und im Endeffekt wir uns sehr wenig damit auseinandersetzen, was Wirtschaften beziehungsweise was auch die Eingebettetheit von Wirtschaft in kulturelle Systeme in anderen Ländern bedeutet. Wenn man das wirklich ernst nimmt und damit auseinandersetzen möchte, was Zeit kosten würde und auch ein ziemlicher Aufwand wäre, und gegebenenfalls nicht direkt kapitalistischen Verwertungsinteressen entsprechen würde, wenn man sich auf so etwas einlassen wollte, dann fände ich das richtig."
Was könnte als Grundlage einer fairen interkulturellen Verständigung dienen?
1999 haben die UN zu einem so genannten United Nations Global Compact - einem Globalen Pakt der Vereinten Nationen - aufgerufen. Weltweit kann jedes Unternehmen diesem Vertrag mit der UN beitreten. Dann verpflichtet es sich freiwillig, in den vier Bereichen - Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umwelt und Entwicklung sowie Korruptionsbekämpfung - zehn aufgestellten Prinzipien zu folgen, gleichsam den zehn Geboten einer globalen Wirtschaftsethik.
Natürlich stellt sich im ersten Bereich, bei den Menschenrechten - immer die Frage ihrer konkreten Durchsetzung von Ort. Aber schon vorher bei der konzeptionellen Ausarbeitung bestehen Probleme, erläutert Christian Scheper, Doktorand der Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen.
"Menschenrechte sind eigentlich ein Konzept, was primär darauf zielt, das Individuum vor dem Einfluss des Staates zu schützen. Aber nun hat man stattdessen ein großes Unternehmen dort, wo Unternehmen plötzlich staatsähnliche Rollen übernehmen - und plötzlich in einer Machtposition sind, die so im Menschenrechtskonzept gar nicht vorgesehen sind."
In dieser Frage hatte der UN-Generalsekretär den Ethik-Professor John Ruggie von der Harvard-Universität zu seinem Sonderbeauftragen ernannt. John Reggie entließ in seinem neuen Konzept den Staat nicht aus seiner Verantwortung, die Menschenrechte zu schützen, nahm aber die global agierenden Unternehmen als zweite Schutzinstanz in die Pflicht: Demgemäß müssten die Unternehmen zum Beispiel in Ländern, wo es keine gerichtlichen oder außergerichtlichen Beschwerdeinstanzen gibt, selber dafür sorgen, dass der einheimischen Bevölkerung unabhängige Dritte als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Christian Scheper:
"Der Kern ist im Grunde nicht nur das, woran wir häufig denken: politische und zivile Rechte: Meinungsfreiheit und so weiter, sondern es betrifft auch Kernarbeitsnormen: Ein menschenwürdiges Einkommen zum Beispiel, keine Kinderarbeit, zum Beispiel keine übermäßigen Überstunden, - all solche Dinge waren auch schon vorher in Normenkatalogen vorhanden, jetzt hat man eine neue Herangehensweise, man sagt, es geht hier nicht um normale Standards der Unternehmen, sondern Betroffene haben einen Rechtsanspruch, ihr seid im Grunde als Unternehmen, wenn ihr irgendwo tätig seid, seid dafür verantwortlich, dass ihr die Rechte der Menschen achtet, das ist ein Perspektivenwechsel weit mehr, als dass man neue Themen auf den Tisch bringt, und damit auch eine andere Verhandlungsbasis möglicherweise."
In den zehn Prinzipien des Global Compact fehlen jedoch bestimmte Grundsätze, die für ein universelles Menschenrecht in der globalisierten Wirtschaftswelt unverzichtbar seien, kritisiert der Soziologe Hans-Georg Soeffner vom Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Hier offenbare sich, so Soeffner, eine fatale Schwäche des Global Compact:
"Wenn hier in den Regeln die Gleichheit von Mann und Frau gar nicht erst thematisiert wird, dann hat es damit zu tun, dass die religiösen Hintergründe ausgespart werden, die aber unser Verhalten im Alltag steuern, und wenn man es nicht riskiert an einer Basisregel anzusetzen, für die Umwelt gilt das in ähnlicher Form, dann zeigt das einfach, dass wir in einem Bereich nicht nur der Unsicherheit sind, sondern man kann wirklich sagen einem Bereich der Feigheit. Das zu vertreten, fällt jedem leicht, weil der Verpflichtungsgrad unglaublich niedrig ist."
Zwar haben sich in Deutschland 20 der 30 führenden Unternehmen des DAX dem Global Compact angeschlossen und sich freiwillig verpflichtet die ethischen, sozialen und ökologischen Standards einzuhalten. Aber eine Kontrolle, ob dies wirklich geschieht, gibt es nicht. Die beteiligten Unternehmen sind lediglich aufgerufen, jährlich über ihre entsprechenden Bemühungen zu berichten.
Während der Global Compact die Forderung der Geschlechtergleichheit vergessen hat, findet er bei dem Stichwort Kinderarbeit zu kategorischer Schärfe, fordert ohne Wenn und Aber deren Abschaffung. Hier wiederum erheben Wissenschaftler anderer Kulturen Einspruch und fordern eine differenziertere Position. Zum Beispiel der indische Geograf
Subramanian Saravanan, der im ökologischen Wassermanagement engagiert ist.
Bei der Kinderarbeit verkenne der Westen erstens die Realität von Entwicklungsländern und leiste sich zweitens eine moralisierende Schwarz-Weiß-Position, die - so Saravanan - weder den Kindern noch ihren Familien weiterhelfen - im Gegenteil:
"Ich denke, Kinderarbeit müssen wir sicherlich reduzieren. Aber wie - das ist die große Frage. Nicht indem wir die Kinder auffordern, mit der Arbeit aufzuhören. Wir müssen ihnen Alternativen bieten, sie sind die Brotverdiener in ihrer Familie, ohne ihre Arbeit ginge die Familie unter, weil ihre Armut extrem ist. Die Kinder arbeiten zum Beispiel in der Teppichindustrie, der Feuerwerkskörper- oder Textilindustrie - diese Jobs verlangen sehr geschickte Hände, kleine Finger - und das ist der Grund, warum vor allem Kinder beschäftigt sind und eben auch schlecht bezahlt. Internationale Organisationen sagen, man sollte verbieten, dass die Kinder in diesen Industrien arbeiten, - aber wir müssen den Kindern Alternativen bieten, wenn wir das nicht tun, dann geraten die Kinder von der Teppichindustrie in den Drogenhandel und die Prostitution, das genau ist passiert, sie werden abhängig von großen Dealern - Bildung allein eröffnet insbesondere armen Leuten keine Perspektive, es geht um bestimmte Fähigkeiten, um Ausbildungen, die man den Kindern anbieten muss, - wenn wir keine Alternativen für sie haben, können wir nicht sagen: abschaffen. "
Die dritte Abteilung der zehn Prinzipien des Global Compact ist den Themen Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung gewidmet. Hier vermisst Solvay Gerke vom Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn klare Worte und konkrete Forderungen, so dass multinationale Unternehmen Farbe bekennen müssten.
"Wenn es zu den principles geht, die mit der Umwelt zu tun haben, da wird es sehr vage in den Formulierungen , da steht dann "Initiativen unternehmen" oder "ermutigen", wenn es da geht um die Umsetzung der Verantwortung für die Umwelt, wo Firmen gemeint sind, die das umsetzen wollen, wo gegebenenfalls ein Investment notwendig ist in die eigene Produktionsweise, die in den Entwicklungsländern viel größere Möglichkeiten lässt, die Umwelt nicht zu schonen, sich vielmehr - völlig legal - als Umweltverschmutzer aufzuführen, da gibt es keine klaren Regeln, da steht nicht, sie sollen sich verpflichten dass - da steht nur encourage - ermutigen, oder man sollte Schritte einleiten und das finde ich doch bedenklich, das ist mir sehr soft formuliert, und ich finde, da ist eine klare Interessenpolitik hinter."
Der indische Geograf Saravanan, der im Umweltmanagement Projekte betreut, liefert Beispiele dafür, wie internationale Konzerne in seinem Heimatland Umweltrichtlinien unterlaufen, zu deren Einhaltung sie sich im Rahmen des Global Compact verpflichtet haben:
"Vor einigen Monaten sagte der indische Umweltminister in einer öffentlichen Stellungnahme, man sollte keine VW-Autos kaufen, die in Indien produziert oder verkauft werden. Man sollte den Kauf von Volkswagen verringern, weil dessen Emissionswerte in Indien viel höher seien als diejenigen einheimischer Unternehmen. Dann hat die deutsche Regierung diesen Fall aufgegriffen, es gab Verhandlungen und die Angelegenheit wurde geregelt. Aber es sind nicht nur ein oder zwei multinationale Unternehmen, die das machen, man kann das bei den Öl- und Gasindustrien in Indien finden, sie verursachen neben einheimischen Firmen - ich sage nicht, sie wären die einzigen - eine hohe Verschmutzung des Wassers, sie halten sich nicht an die Regeln, aber wir können sie auch nicht beschuldigen, denn - wenn einer sich in eine Menge begibt, wird er genauso so wie die Menge, auch wenn es ein multinationales Unternehmen ist, wenn man in ein Land hinein geht, folgt man dem lokalen System des Geschäfte Machens, im Guten wie im Schlechten."
Offensichtlich ist der Global Compact keine ausreichende Antwort auf komplexe Weltwirtschaft. Immerhin stellt er einen Versuch dar, ethische, soziale und ökologische Mindeststandards zu formulieren. 2009 haben sich weltweit 5000 Wirtschaftsunternehmen und 2000 andere zivilgesellschaftliche Organisationen dem Pakt angeschlossen. Kritiker haben den Verdacht, dass manche Unternehmen ihren Beitritt als reine PR-Maßnahme inszenieren, um mit dem UN-Logo ihr eigenes Firmenrenommé aufzuwerten.
Zweifellos muss der Global Compact weiterentwickelt werden, vor allem in Richtung stärkerer Wirksamkeit und Kontrolle.
Was der Global Compact noch gar nicht anspricht, ist die Frage der kulturellen Ausrichtung von Wirtschaft. In den modernen westlichen Gesellschaften rangiert das Individuum mit seinen persönlichen Rechten an erster Stelle. Seiner Entfaltung, seinem materiellen Nutzen sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Dagegen fokussiert das konfuzianisch geprägte China die Gemeinschaft, stellt das Wohl der Familie, der Sippe ins Zentrum. Auch der islamische Kulturkreis verweigert sich der westlichen Ausrichtung auf das Individuum und setzt. B. im wieder entdeckten islamischen Banking andere Akzente. Solvay Gerke:
"Diese Form von Spekulation, die man im Westen kennt - auf Hedgefonds zu setzen, - das ist im islamischen Banking verboten, das gibt es überhaupt nicht. Dann die Frage, an wen vergebe ich überhaupt Kredite, wer ist kreditwürdig, das wird ganz anders gehandhabt im islamischen Banking: wenn Sie hier selbstständig sind und auf kein regelmäßiges Einkommen zurückblicken können, dann ist es für Sie außerordentlich schwierig als Selbstständiger Kredite zu bekommen, auch wenn Sie sich ein Haus kaufen wollen in Deutschland, so etwas würde gänzlich anders gehandhabt werden - man hat auch die Möglichkeit, in der Vergabe von Krediten was die Zinsen angeht, flexibler zu sein - also es wird anders gehandhabt, Wucher ist vollständig verboten, und Spekulation in dieser Form wie wir sie im Westen kennen, sind vollständig verboten."
Selbstverständlich wollen auch islamische Banken Gewinne machen. Aber neben der Orientierung an materiellen Werten, an Tilgung und Zinsen, soll die Bank berücksichtigen, welche Bedeutung, welche ideellen Verdienste dem Kreditnehmer in der Gemeinde zukommen. Das hat zur Folge, dass Leute ein Darlehen erhalten, die im westlichen Denken als kreditunwürdig wegschickt würden.
Hans Georg Soeffner bemerkt jedoch, dass der Islam und Europa einander nur deshalb so fern und verschieden dünken, weil man den Blick allzu sehr auf die Gegenwart einengt.
"Wobei man dazu sagen muss, dass wir im Westen eine ähnliche Geschichte haben:
Jemand, der in der Gemeinde hoch angesehen war, war kreditwürdig. Und zwar unabhängig von Werten, die er dagegen stellen konnte, den so genannten Sicherheiten. Die Sicherheit war der Charakter, und der Charakter wurde von der Gemeinde beurteilt. Wie das heute auch noch passiert, das Prinzip ist im Islam relativ ähnlich. Auch die Frage, was passiert mit dem erwirtschafteten Gewinn: Wir haben in den USA immer noch ein großes Stiftungsaufkommen, weil das calvinistische schlechte Gewissen den erwirtschafteten Gewinn zurückgeben soll an die Gemeinschaft. Warren Buffett ist ein Musterbeispiel dafür, aber man könnte auch Bill Gates noch nennen, das funktioniert hier in Europa in dieser Weise nicht, aber im Islam, da ist eine ähnliche Verpflichtung, den erwirtschafteten Gewinn der Gemeinschaft zu gute kommen zu lassen."
Der kulturwissenschaftliche Blick auf ökonomische Leitvorstellungen entdeckt nicht nur, dass Gesellschaften und Kulturen in manchem sehr verschieden sind. Er enthüllt an anderer Stelle auch tiefer liegende Gemeinsamkeiten, zeigt auf welche Werte der Westen auf seinem Weg zur modernen Wirtschaft beiseite geschoben oder auch verloren hat: persönliches Vertrauen, Gemeinwohlorientierung, ideelle Güter. Das alles sind Werte, die man vielleicht im Umweg über den interkulturellen Austausch neu schätzen lernen, vielleicht sogar wiedergewinnen kann.
Gewinnmaximierung als absolutes Ziel, so lautet das klassische Credo der Wirtschaftswissenschaft. Rein ökonomisch betrachtet, scheint das auch vernünftig: Gewinne sichern den Fortbestand des Unternehmens, die Zukunft seiner Arbeitsplätze, Gewinne mehren den Reichtum der Aktienbesitzer ebenso wie die Steuereinnahmen des Gemeinwesens.
Und doch kann ein bedingungsloses Streben nach Gewinn - wenn es nicht von moralischen Regeln und Rücksichtnahmen gezügelt wird - in Unvernunft, ja in einer Katastrophe enden, wie die jüngst Finanzkrise dramatisch vor Augen führte. Die Ökonomie braucht nicht nur gesetzliche Spielregeln, sondern auch moralische Werte. Sie braucht eine Wirtschaftsethik, erklärt die Ökonomin Imke Schmidt vom Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen.
"Die Wirtschaftsethik hat sich eigentlich in der Mitte des letzten Jahrhunderts erst entwickelt, in den USA hat das angefangen, es war im Grunde der Einsicht geschuldet, dass die reine Gewinnmaximierung im Endeffekt dazu führt, dass wichtige Grundlagen des Lebens zerstört werden. Das hat angefangen mit Fragen des Armutsgefälles zwischen Nord und Süd, zwischen Industrie - und Entwicklungsländern ist dann aber auch weiter gegangen, als klar wurde dass auch die ökologischen Grundlangen unseres Lebens zerstört werden, man denkt jetzt gerade die aktuelle Debatte des Klimawandels, - insgesamt wurde durch diese Einsichten in die globalen Probleme das reine Gewinnmaximierungsprinzip sehr stark hinterfragt."
Die Globalisierung forciert das Problem einer weltweiten Wirtschaftsethik. Früher funktionierten nationale Wirtschaftsräume mir ihren spezifischen Traditionen und Leitvorstellungen weitgehend unabhängig und nebeneinander her, heute durchdringen sie sich immer intensiver. Multinationale Konzerne haben ihre Rohstoffgewinnung und Zulieferbetriebe, ihre Produktions- und Vertriebsstätten über den ganzen Erdball verstreut. Ein und dasselbe Unternehmen agiert in verschiedenen Kulturkreisen, die auch das jeweilige Wirtschaftsleben prägen. Es würde helfen, sich auf gemeinsame Leitbilder und Wertvorstellungen zu verständigen. Aber ist das überhaupt möglich?
Solvay Gerke, Soziologin am Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung begrüßt eine solche interkulturelle Diskussion, aber unter einem Vorbehalt.
"Wenn das gemeinsame Spielregeln und gemeinsame Leitbilder sind, die auch gemeinsam erarbeitet werden, dann ist das sinnvoll. Aber in der Regel ist es so, dass Leitbilder vom Westen vorgegeben werden und im Endeffekt wir uns sehr wenig damit auseinandersetzen, was Wirtschaften beziehungsweise was auch die Eingebettetheit von Wirtschaft in kulturelle Systeme in anderen Ländern bedeutet. Wenn man das wirklich ernst nimmt und damit auseinandersetzen möchte, was Zeit kosten würde und auch ein ziemlicher Aufwand wäre, und gegebenenfalls nicht direkt kapitalistischen Verwertungsinteressen entsprechen würde, wenn man sich auf so etwas einlassen wollte, dann fände ich das richtig."
Was könnte als Grundlage einer fairen interkulturellen Verständigung dienen?
1999 haben die UN zu einem so genannten United Nations Global Compact - einem Globalen Pakt der Vereinten Nationen - aufgerufen. Weltweit kann jedes Unternehmen diesem Vertrag mit der UN beitreten. Dann verpflichtet es sich freiwillig, in den vier Bereichen - Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umwelt und Entwicklung sowie Korruptionsbekämpfung - zehn aufgestellten Prinzipien zu folgen, gleichsam den zehn Geboten einer globalen Wirtschaftsethik.
Natürlich stellt sich im ersten Bereich, bei den Menschenrechten - immer die Frage ihrer konkreten Durchsetzung von Ort. Aber schon vorher bei der konzeptionellen Ausarbeitung bestehen Probleme, erläutert Christian Scheper, Doktorand der Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen.
"Menschenrechte sind eigentlich ein Konzept, was primär darauf zielt, das Individuum vor dem Einfluss des Staates zu schützen. Aber nun hat man stattdessen ein großes Unternehmen dort, wo Unternehmen plötzlich staatsähnliche Rollen übernehmen - und plötzlich in einer Machtposition sind, die so im Menschenrechtskonzept gar nicht vorgesehen sind."
In dieser Frage hatte der UN-Generalsekretär den Ethik-Professor John Ruggie von der Harvard-Universität zu seinem Sonderbeauftragen ernannt. John Reggie entließ in seinem neuen Konzept den Staat nicht aus seiner Verantwortung, die Menschenrechte zu schützen, nahm aber die global agierenden Unternehmen als zweite Schutzinstanz in die Pflicht: Demgemäß müssten die Unternehmen zum Beispiel in Ländern, wo es keine gerichtlichen oder außergerichtlichen Beschwerdeinstanzen gibt, selber dafür sorgen, dass der einheimischen Bevölkerung unabhängige Dritte als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Christian Scheper:
"Der Kern ist im Grunde nicht nur das, woran wir häufig denken: politische und zivile Rechte: Meinungsfreiheit und so weiter, sondern es betrifft auch Kernarbeitsnormen: Ein menschenwürdiges Einkommen zum Beispiel, keine Kinderarbeit, zum Beispiel keine übermäßigen Überstunden, - all solche Dinge waren auch schon vorher in Normenkatalogen vorhanden, jetzt hat man eine neue Herangehensweise, man sagt, es geht hier nicht um normale Standards der Unternehmen, sondern Betroffene haben einen Rechtsanspruch, ihr seid im Grunde als Unternehmen, wenn ihr irgendwo tätig seid, seid dafür verantwortlich, dass ihr die Rechte der Menschen achtet, das ist ein Perspektivenwechsel weit mehr, als dass man neue Themen auf den Tisch bringt, und damit auch eine andere Verhandlungsbasis möglicherweise."
In den zehn Prinzipien des Global Compact fehlen jedoch bestimmte Grundsätze, die für ein universelles Menschenrecht in der globalisierten Wirtschaftswelt unverzichtbar seien, kritisiert der Soziologe Hans-Georg Soeffner vom Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Hier offenbare sich, so Soeffner, eine fatale Schwäche des Global Compact:
"Wenn hier in den Regeln die Gleichheit von Mann und Frau gar nicht erst thematisiert wird, dann hat es damit zu tun, dass die religiösen Hintergründe ausgespart werden, die aber unser Verhalten im Alltag steuern, und wenn man es nicht riskiert an einer Basisregel anzusetzen, für die Umwelt gilt das in ähnlicher Form, dann zeigt das einfach, dass wir in einem Bereich nicht nur der Unsicherheit sind, sondern man kann wirklich sagen einem Bereich der Feigheit. Das zu vertreten, fällt jedem leicht, weil der Verpflichtungsgrad unglaublich niedrig ist."
Zwar haben sich in Deutschland 20 der 30 führenden Unternehmen des DAX dem Global Compact angeschlossen und sich freiwillig verpflichtet die ethischen, sozialen und ökologischen Standards einzuhalten. Aber eine Kontrolle, ob dies wirklich geschieht, gibt es nicht. Die beteiligten Unternehmen sind lediglich aufgerufen, jährlich über ihre entsprechenden Bemühungen zu berichten.
Während der Global Compact die Forderung der Geschlechtergleichheit vergessen hat, findet er bei dem Stichwort Kinderarbeit zu kategorischer Schärfe, fordert ohne Wenn und Aber deren Abschaffung. Hier wiederum erheben Wissenschaftler anderer Kulturen Einspruch und fordern eine differenziertere Position. Zum Beispiel der indische Geograf
Subramanian Saravanan, der im ökologischen Wassermanagement engagiert ist.
Bei der Kinderarbeit verkenne der Westen erstens die Realität von Entwicklungsländern und leiste sich zweitens eine moralisierende Schwarz-Weiß-Position, die - so Saravanan - weder den Kindern noch ihren Familien weiterhelfen - im Gegenteil:
"Ich denke, Kinderarbeit müssen wir sicherlich reduzieren. Aber wie - das ist die große Frage. Nicht indem wir die Kinder auffordern, mit der Arbeit aufzuhören. Wir müssen ihnen Alternativen bieten, sie sind die Brotverdiener in ihrer Familie, ohne ihre Arbeit ginge die Familie unter, weil ihre Armut extrem ist. Die Kinder arbeiten zum Beispiel in der Teppichindustrie, der Feuerwerkskörper- oder Textilindustrie - diese Jobs verlangen sehr geschickte Hände, kleine Finger - und das ist der Grund, warum vor allem Kinder beschäftigt sind und eben auch schlecht bezahlt. Internationale Organisationen sagen, man sollte verbieten, dass die Kinder in diesen Industrien arbeiten, - aber wir müssen den Kindern Alternativen bieten, wenn wir das nicht tun, dann geraten die Kinder von der Teppichindustrie in den Drogenhandel und die Prostitution, das genau ist passiert, sie werden abhängig von großen Dealern - Bildung allein eröffnet insbesondere armen Leuten keine Perspektive, es geht um bestimmte Fähigkeiten, um Ausbildungen, die man den Kindern anbieten muss, - wenn wir keine Alternativen für sie haben, können wir nicht sagen: abschaffen. "
Die dritte Abteilung der zehn Prinzipien des Global Compact ist den Themen Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung gewidmet. Hier vermisst Solvay Gerke vom Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn klare Worte und konkrete Forderungen, so dass multinationale Unternehmen Farbe bekennen müssten.
"Wenn es zu den principles geht, die mit der Umwelt zu tun haben, da wird es sehr vage in den Formulierungen , da steht dann "Initiativen unternehmen" oder "ermutigen", wenn es da geht um die Umsetzung der Verantwortung für die Umwelt, wo Firmen gemeint sind, die das umsetzen wollen, wo gegebenenfalls ein Investment notwendig ist in die eigene Produktionsweise, die in den Entwicklungsländern viel größere Möglichkeiten lässt, die Umwelt nicht zu schonen, sich vielmehr - völlig legal - als Umweltverschmutzer aufzuführen, da gibt es keine klaren Regeln, da steht nicht, sie sollen sich verpflichten dass - da steht nur encourage - ermutigen, oder man sollte Schritte einleiten und das finde ich doch bedenklich, das ist mir sehr soft formuliert, und ich finde, da ist eine klare Interessenpolitik hinter."
Der indische Geograf Saravanan, der im Umweltmanagement Projekte betreut, liefert Beispiele dafür, wie internationale Konzerne in seinem Heimatland Umweltrichtlinien unterlaufen, zu deren Einhaltung sie sich im Rahmen des Global Compact verpflichtet haben:
"Vor einigen Monaten sagte der indische Umweltminister in einer öffentlichen Stellungnahme, man sollte keine VW-Autos kaufen, die in Indien produziert oder verkauft werden. Man sollte den Kauf von Volkswagen verringern, weil dessen Emissionswerte in Indien viel höher seien als diejenigen einheimischer Unternehmen. Dann hat die deutsche Regierung diesen Fall aufgegriffen, es gab Verhandlungen und die Angelegenheit wurde geregelt. Aber es sind nicht nur ein oder zwei multinationale Unternehmen, die das machen, man kann das bei den Öl- und Gasindustrien in Indien finden, sie verursachen neben einheimischen Firmen - ich sage nicht, sie wären die einzigen - eine hohe Verschmutzung des Wassers, sie halten sich nicht an die Regeln, aber wir können sie auch nicht beschuldigen, denn - wenn einer sich in eine Menge begibt, wird er genauso so wie die Menge, auch wenn es ein multinationales Unternehmen ist, wenn man in ein Land hinein geht, folgt man dem lokalen System des Geschäfte Machens, im Guten wie im Schlechten."
Offensichtlich ist der Global Compact keine ausreichende Antwort auf komplexe Weltwirtschaft. Immerhin stellt er einen Versuch dar, ethische, soziale und ökologische Mindeststandards zu formulieren. 2009 haben sich weltweit 5000 Wirtschaftsunternehmen und 2000 andere zivilgesellschaftliche Organisationen dem Pakt angeschlossen. Kritiker haben den Verdacht, dass manche Unternehmen ihren Beitritt als reine PR-Maßnahme inszenieren, um mit dem UN-Logo ihr eigenes Firmenrenommé aufzuwerten.
Zweifellos muss der Global Compact weiterentwickelt werden, vor allem in Richtung stärkerer Wirksamkeit und Kontrolle.
Was der Global Compact noch gar nicht anspricht, ist die Frage der kulturellen Ausrichtung von Wirtschaft. In den modernen westlichen Gesellschaften rangiert das Individuum mit seinen persönlichen Rechten an erster Stelle. Seiner Entfaltung, seinem materiellen Nutzen sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Dagegen fokussiert das konfuzianisch geprägte China die Gemeinschaft, stellt das Wohl der Familie, der Sippe ins Zentrum. Auch der islamische Kulturkreis verweigert sich der westlichen Ausrichtung auf das Individuum und setzt. B. im wieder entdeckten islamischen Banking andere Akzente. Solvay Gerke:
"Diese Form von Spekulation, die man im Westen kennt - auf Hedgefonds zu setzen, - das ist im islamischen Banking verboten, das gibt es überhaupt nicht. Dann die Frage, an wen vergebe ich überhaupt Kredite, wer ist kreditwürdig, das wird ganz anders gehandhabt im islamischen Banking: wenn Sie hier selbstständig sind und auf kein regelmäßiges Einkommen zurückblicken können, dann ist es für Sie außerordentlich schwierig als Selbstständiger Kredite zu bekommen, auch wenn Sie sich ein Haus kaufen wollen in Deutschland, so etwas würde gänzlich anders gehandhabt werden - man hat auch die Möglichkeit, in der Vergabe von Krediten was die Zinsen angeht, flexibler zu sein - also es wird anders gehandhabt, Wucher ist vollständig verboten, und Spekulation in dieser Form wie wir sie im Westen kennen, sind vollständig verboten."
Selbstverständlich wollen auch islamische Banken Gewinne machen. Aber neben der Orientierung an materiellen Werten, an Tilgung und Zinsen, soll die Bank berücksichtigen, welche Bedeutung, welche ideellen Verdienste dem Kreditnehmer in der Gemeinde zukommen. Das hat zur Folge, dass Leute ein Darlehen erhalten, die im westlichen Denken als kreditunwürdig wegschickt würden.
Hans Georg Soeffner bemerkt jedoch, dass der Islam und Europa einander nur deshalb so fern und verschieden dünken, weil man den Blick allzu sehr auf die Gegenwart einengt.
"Wobei man dazu sagen muss, dass wir im Westen eine ähnliche Geschichte haben:
Jemand, der in der Gemeinde hoch angesehen war, war kreditwürdig. Und zwar unabhängig von Werten, die er dagegen stellen konnte, den so genannten Sicherheiten. Die Sicherheit war der Charakter, und der Charakter wurde von der Gemeinde beurteilt. Wie das heute auch noch passiert, das Prinzip ist im Islam relativ ähnlich. Auch die Frage, was passiert mit dem erwirtschafteten Gewinn: Wir haben in den USA immer noch ein großes Stiftungsaufkommen, weil das calvinistische schlechte Gewissen den erwirtschafteten Gewinn zurückgeben soll an die Gemeinschaft. Warren Buffett ist ein Musterbeispiel dafür, aber man könnte auch Bill Gates noch nennen, das funktioniert hier in Europa in dieser Weise nicht, aber im Islam, da ist eine ähnliche Verpflichtung, den erwirtschafteten Gewinn der Gemeinschaft zu gute kommen zu lassen."
Der kulturwissenschaftliche Blick auf ökonomische Leitvorstellungen entdeckt nicht nur, dass Gesellschaften und Kulturen in manchem sehr verschieden sind. Er enthüllt an anderer Stelle auch tiefer liegende Gemeinsamkeiten, zeigt auf welche Werte der Westen auf seinem Weg zur modernen Wirtschaft beiseite geschoben oder auch verloren hat: persönliches Vertrauen, Gemeinwohlorientierung, ideelle Güter. Das alles sind Werte, die man vielleicht im Umweg über den interkulturellen Austausch neu schätzen lernen, vielleicht sogar wiedergewinnen kann.