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Giegold (Grüne) zu EU-Corona-Bonds
"Die Menschen in Krisenländern müssen Europa jetzt spüren"

Der Europaabgeordnete Sven Giegold fordert von der EU ein gemeinsames Vorgehen in Wirtschaftsfragen angesichts der Coronakrise. Er plädiert für Corona-Bonds. Nicht nur deutsche Unternehmen sollten gerettet werden, sondern auch Unternehmen anderer Staaten, denn sonst könne es später teuer werden.

Sven Giegold im Gespräch mit Jasper Barenberg |
Sven Giegold im Mai 2019 bie einer Bundespressekonferenz
Der Europaabgeordnete Sven Giegold (Grüne) plädiert für Corona-Bonds (imago / Jürgen Heinrich)
Nicht nur in Deutschland, sondern überall in der Europäischen Union legen Regierungen gerade milliardenschwere Hilfsprogramme auf, um einen ökonomischen Absturz abzumildern. Regierungen nehmen hohe Schulden auf, um zumindest einen Teil der Ausfälle zu kompensieren. Schnell und entschlossen handeln die EU-Partner bisher aber ausschließlich auf nationaler Ebene - gemeinsam bringt die Europäische Währungsunion bislang wenig zustande. Im Gegenteil: Alte Fronten brechen wieder auf, vor allem, wenn einige Mitgliedsstaaten jetzt fordern, gemeinsam neue Schulden aufzunehmen - sogenannte Corona-Bonds.
Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen, befürchtet, dass Europa auf eine neue Schuldenkrise zusteuert. "Es ist zwar der gleiche Virus, der alle Mitgliedsstaaten bedroht und gleichzeitig von niemandem verschuldet wurde, aber die Spaltungslinien sind die gleichen", sagte er im Dlf.
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Die Bundesregierung habe sich leider nicht an die Seite von Luxemburg, Irland, Spanien, Italien und Frankreich zu stellen, sondern mit Österreich, Niederlanden und Finnland in der Eurogruppe eine Einigung verhindert, sagte der Europaabgeordneter der Grünen, Sven Giegold, im Dlf. "Wir brauchen entschiedenes gemeinsames Handeln in der Krise, auch in der Finanzpolitik."
Gemeinsame Fiskalpolitik nötig
Dass wir nicht jetzt schon in viel tieferen Problemen steckten, habe man wieder der Europäischen Zentralbank zu verdanken. "Sie hat mit ihrem entschiedenen Eingreifen verhindert, dass die Zinsaufschläge von Italien und Anderen durch die Decke gegangen sind. Wir dürfen es diesmal nicht wieder alleine der Geldpolitik überlassen, sondern wir brauchen gemeinsame Fiskalpolitik", so Giegold. Dabei komme es darauf an, auf der einen Seite solidarisch zu sein, auf der anderen Seite aber gleichzeitig eine gemeinsame Finanzpolitik in der Euro-Zone zu beschließen, damit die Risiken die damit einhergehen, beherrschbar werden. "Und wenn man nur nein sagt, treibt man nur die EZB dorthin, das alles außerhalb demokratischer Spielregeln, zu übernehmen."
750 Milliarden von der EZB
Die EZB bringt die gigantische Summe von 750 Milliarden Euro auf den Markt, um mit dem Geld Anleihen von Staaten zu kaufen, um die Zinsen von Staaten wie Italien nicht ansteigen zu lassen. Diese Maßnahme reiche für den Moment, löse aber die Probleme nicht, sagte Giegold. Auch internationale Top-Ökonomen seien dieses Mal der Meinung, dass so etwas wie Corona-Bonds benötigt würden- ein gemeinsames Finanzierungsinstrument. "Über dessen Ausgestaltung kann man reden", sagte er. Dieses Instrument sei aber bei der Eurogruppen-Sitzung blockiert worden, sondern auch der Vorschlag, der Europäischen Investitionsbank, ein großes Paket zu schnüren, damit nicht nur in Deutschland, "richtigerweise Unternehmen gerettet werden", sondern auch in Italien. "Am Ende wird es für uns alle teurer, wenn wir zu spät und zu vorsichtig die Staaten behandeln und zum Beispiel, Italien alleine lassen", sagte Giegold. Er plädiert für Investitionen in die Zukunft. "Die Menschen aus Krisenländern müssen Europa jetzt spüren."

Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Jasper Barenberg: Herr Giegold, bahnt sich in Europa eine neue, eine bedrohliche Schuldenkrise an?
Sven Giegold: Ja, das muss man leider befürchten, denn wir sehen ähnliche Spaltungslinien. Es ist zwar der gleiche Virus, der alle Mitgliedsstaaten bedroht und gleichzeitig von niemandem verschuldet wurde, aber wir sehen die gleichen Spaltungslinien. Und leider hat sich die Bundesregierung entschieden, sich nicht an die Seite von Luxemburg, Irland, Spanien, Italien und Frankreich zu stellen, sondern mit den Niederlanden, Finnland und Österreich in der Eurogruppe eine Einigung verhindert. Wir brauchen jetzt aber entschiedenes gemeinsames Handeln gegen diese Krise - auch in der Finanzpolitik.
Barenberg: Das heißt in Ihren Augen jedenfalls ein ganz klares Ja zu so etwas wie gemeinsamen Schulden, zu so etwas wie Corona-Bonds?
Giegold: Sehen Sie, dass wir nicht jetzt schon in viel tieferen Problemen stecken, haben wir wieder der Europäischen Zentralbank zu verdanken. Sie hat mit ihrem entschiedenen Eingreifen verhindert, dass die Zinsaufschläge von Italien und anderen durch die Decke gegangen sind. Und wir dürfen es diesmal nicht wieder alleine der Geldpolitik überlassen, sondern wir brauchen gemeinsame Fiskalpolitik, und dabei kommt es darauf an, dass wir auf der einen Seite solidarisch sind, auf der anderen Seite aber gleichzeitig eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Eurozone beschließen, damit die Risiken, die damit einhergehen, beherrschbar werden. Wenn man einfach nur Nein sagt, treibt man nur die Europäische Zentralbank dorthin, das alles außerhalb demokratischer Spielregeln zu übernehmen.
"Es reicht für den Moment, aber es löst die Probleme nicht"
Barenberg: Ich möchte mal kurz bei der Europäischen Zentralbank bleiben. Die EZB bringt ja die gigantische Summe von 750 Milliarden Euro auf den Markt, um mit dem Geld Anleihen von Staaten und Unternehmen zu kaufen. Die Folge – Sie haben das angedeutet – ist: Die Zinsen steigen erst mal nicht für Staaten wie Italien, wo es besonders brisant und heikel ist. Reicht das nicht erst mal für den Moment, wenn der Erfolg jedenfalls ist, dass Italien sich auch weiter refinanzieren kann?
Giegold: Ja, Sie haben es genau richtig gesagt. Es reicht für den Moment, aber es löst die Probleme nicht, und das ist ja der Grund, warum dieses Mal auch eher konservative Ökonomen wie Clemens Fuest vom ifo-Institut, eine ganze Gruppe von deutschen Top-Ökonomen und internationale Ökonomen sagen, dieses Mal brauchen wir so etwas wie Corona-Bonds und ein gemeinsames Finanzierungsinstrument. Über dessen Ausgestaltung kann man reden. Natürlich muss man auch reden. Aber grundsätzlich Nein zu sagen, und stattdessen zu sagen, warten wir mal, bis die nächste Staatsschuldenkrise kommt, das ist falsch.
Bei dieser Eurogruppen-Sitzung wurde nicht nur dieses Instrument blockiert, sondern auch der Vorschlag der Europäischen Investitionsbank, ein großes Paket zu schnüren, damit nicht nur in Deutschland richtigerweise Unternehmen gerettet werden, sondern wir das auch in Italien tun. Denn letztlich die Verluste und der Einbruch der italienischen Wirtschaft, der spanischen Wirtschaft, das sind auch unsere Verluste, und am Ende wird es für uns alle teurer, wenn hier zu spät und zu vorsichtig die Staaten handeln und zum Beispiel Italien alleine lassen.
"Die Wirtschaft bricht ohnehin ein"
Barenberg: Die EU-Staaten haben ja die Obergrenze für Schulden vorübergehend außer Kraft gesetzt. Sie haben auch die Regeln für staatliche Hilfen gelockert und Milliarden aus dem EU-Budget mobilisiert. 38 Milliarden ist, glaube ich, die Zahl dazu. Auch das sind ja Schritte, die schon gemacht worden sind. Warum ist auch das nicht genug? Warum muss noch mehr geschehen?
Giegold: Zunächst mal: Was jetzt passiert ist, dass die Staaten das Recht bekommen, sich in dieser Krise weiter zu verschulden, das ist leider unausweichlich. Das Entscheidende ist aber, dass bei diesem Mal der Rettung – und das ist ja eine ganz andere Krise, die nicht von Einzelstaaten verschuldet wurde, sondern die durch diesen Virus entstanden ist -, dass dieses Mal dafür gesorgt wird, wenn wir ein gemeinsames Risiko eingehen, die Eurozone zurecht zu retten, dass wir dann auch gemeinsame Kontrolle darüber bekommen, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik auf die Stabilität des Euros ausgerichtet wird. Da sind ja beim letzten Mal bestimmte Sachen nicht passiert. Zum Beispiel haben wir weiter Steueroasen in der Europäischen Union. Wir haben keine faire Besteuerung von Finanzmärkten bekommen. Dieses Mal müssen wir dafür sorgen, dass tatsächlich gemeinsame Politik gemacht wird, zusammen mit gemeinsamer Haftung, und dann ist das alles auch verantwortbar.
Barenberg: Sie haben gesagt, dass man noch darüber sprechen könnte, wie die Ausgestaltung ist. Aus Italien kommt ja die Forderung, dass solche Corona-Bonds, dass solche gemeinsamen Anleihen anders als bei allen anderen Programmen beispielsweise aus dem Europäischen Rettungsschirm ja bedingungslos gewährt werden. Da wären Sie auch vorsichtig und sagen, bestimmte Regeln, die die Haftung berücksichtigen, dieses Prinzip, die sollten wir schon einziehen?
Giegold: Bisher war es ja so, dass für Gelder an Staaten immer drakonische Sparprogramme damit verbunden waren. Das haben wir gesehen in Griechenland, aber auch bei anderen Programmen. Das dürfen wir diesmal natürlich nicht machen. Das wäre ja auch völlig widersinnig. Die Wirtschaft bricht ohnehin ein. Deshalb darf es dieses Mal keine Austeritätsauflagen geben. Aber natürlich brauchen wir eine gemeinsame wirtschafts- und Finanzpolitik für die Zukunft, damit die Eurozone möglichst stark aus dieser Krise wieder herauskommt. Das bedeutet vor allem Investitionen dann in die Zukunft im Sinne des Klimaschutzes, der Digitalisierung, und umgekehrt solide Staatsfinanzen für die Zukunft. Aber das wird alles nur gehen, das wird alles nur gehen, wenn alle Staaten zuverlässig Zugang zu günstiger Refinanzierung bekommen. Italien wird nicht aus der Krise herauskommen mit den hohen Zinssätzen, die an den Kapitalmärkten womöglich gefordert werden.
"Auf Italien kommt es zuvorderst an"
Barenberg: Und Italien ist auch aus Ihrer Sicht im Moment der schwierigste Problemfall? Auf Italien wird es ankommen?
Giegold: Ich glaube, auf Italien kommt es zuvorderst an. Aber sehen Sie: Auch die Bilder aus Spanien sind furchtbar, und ich finde, es stellen sich da auch noch andere Fragen. Das Ganze ist ja nicht nur ein ökonomisches Problem, sondern auch die Frage, empfinden die Menschen in den Ländern, wo jetzt die Krise am stärksten zuschlägt, wo das menschliche Leid am größten ist, spüren die Europa. Deshalb war so wichtig, dass jetzt zum Beispiel aus französischen Regionen, aber auch jetzt Sachsen aus Italien Patienten übernommen hat, aber da können wir noch mehr machen. Die Menschen in den Krisenländern müssen Europa jetzt spüren. Die Bundeswehr zum Beispiel hat die Strategic Medical Evacuation Unit, Airbus und andere Transportmittel auch für Intensivpatienten. Ich glaube, Deutschland sollte ein Angebot machen, zusammen mit anderen Mitgliedsländern - wir haben noch freie Kapazitäten -, um intensiv zu behandelnde Patienten auszufliegen. Das sind Symbole von europäischer Solidarität, die am Schluss für ein stärkeres Europa einzahlen.
"Wir brauchen trotzdem Zukunftsinvestitionen"
Barenberg: Zum Schluss, Herr Giegold, noch dieser Aspekt. Wenn es richtig ist, dass es hohe Schuldenberge zwangsläufig und unausweichlich geben wird, die die Haushalte in den Mitgliedsstaaten auf Jahre, auf viele Jahre noch belasten werden, heißt das dann auch, Europa, die EU muss auf bestimmte Aufgaben verzichten? Welche wären das?
Giegold: Ich glaube erst mal, auch wie wir in Japan sehen können und auch in anderen Staaten, auch mit einem hohen Schuldenstand kann man leben, wenn die Zinsen dauerhaft niedrig sind. Darüber müssen wir uns unterhalten. Es wird nicht funktionieren, dass die schwächsten Staaten die höchsten Zinsen bezahlen. Damit können wir dann auch in die Zukunft investieren. Ich glaube, es wäre aber ein Fehlschluss zu sagen, weil wir hohe Schulden haben, finanzieren wir keine Zukunftsinvestitionen, weil nur Zukunftsinvestitionen sorgen dafür, dass wir angesichts von globalen Digitalgiganten und der chinesischen Herausforderung, dass wir da wettbewerbsfähig sind. Deshalb brauchen wir trotzdem die Zukunftsinvestitionen und die gehen günstiger und besser europäisch.
Barenberg: Zum Schluss noch ganz kurz. Werden sich die Staats- und Regierungschefs heute zusammenraufen können?
Giegold: Ich hoffe das. Ich hoffe, dass Frau Merkel heute sich anders verhält, als wir es in der Eurogruppe durch die Finanzminister gesehen haben. Wir brauchen heute eine Einigung und ein klares Signal und nicht wieder die alten Spaltungen angesichts der alle gleichermaßen betreffenden Krankheit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.