Sarah Zerback: Mehr als fünf Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs in Syrien, da steht jetzt einwandfrei fest, dass Assads Truppen Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt haben, ebenso wie die Terrormiliz IS. Das belegt der jüngste Bericht der Vereinten Nationen. Trotzdem allerdings sind die Beratungen im UN-Sicherheitsrat in der Nacht ohne Konsequenzen geblieben.
Über dieses fragwürdige Signal, da möchte ich jetzt sprechen mit Stephan Bierling. Er lehrt internationale Politik an der Universität Regensburg und forscht zur Politik der USA im Nahen Osten. Guten Tag, Herr Bierling.
Stephan Bierling: Ich grüße Sie, Frau Zerback.
Zerback: Nun steht es ja spätestens jetzt schwarz auf weiß im UNO-Bericht: In Syrien wurde Giftgas eingesetzt, in mindestens zwei Fällen auch von syrischen Truppen. Sanktionen gibt es trotzdem keine. Was muss denn noch passieren?
Bierling: Ich glaube, es wird keine Sanktionen geben, solange Russland sich eindeutig hinter Assad positioniert, was im Grunde auch den anderen Sicherheitsratsmitgliedern ganz recht ist. Weil wir erinnern uns: Obama hat ja schon vor einigen Jahren, als er die rote Linie erklärte bei einem Giftgaseinsatz durch die Regierung Assad, da ist er doch auch froh, dass er da nicht wirklich agieren muss. Insofern spielt es im Moment den Interessen aller Beteiligten in die Hände, still zu sitzen und sich nicht in Sanktionsregime einbinden zu lassen.
"Der UNO-Bericht scheint sehr dicht zu sein"
Zerback: Tatsächlich zweifeln Syrien und Russland an dessen Seite ja die Vorwürfe an, vor allem, weil nicht feststehen würde, wer genau dahinter steckt. Welche Beweise gibt es denn dafür?
Bierling: Nun, was wir aus der UNO hören ist, dass dieser Report sehr solide über ein Jahr vorbereitet worden ist. Er scheint wirklich nach allem, was wir von außen überprüfen können, sehr dicht zu sein. Assad war immer im Besitz von Chemiewaffen. Er hat wohl einen Teil abgegeben, damals, als Russland diesen Deal mit den Amerikanern und mit Assad aushandelte. Aber es war immer zu vermuten, dass er einige Giftgasmöglichkeiten zurückbehält, und insofern ist es sehr plausibel, dass Assad nach wie vor auf diese Waffe setzt.
Zerback: Was setzt das denn jetzt für ein Zeichen? Wenn Sie sagen, die Weltbevölkerung und die Politik ist da vielleicht sogar ganz froh, dass sie nicht intervenieren muss, es gibt jetzt keine Sanktionen. Was setzt das für ein Zeichen an alle Schurken dieser Welt, die eventuell auch planen, Chemiewaffen einzusetzen oder das bereits tun?
Bierling: Ich weiß nicht, ob es so viele Schurken auf dieser Welt gibt, die das wirklich tun. Aber es ist natürlich ein weiterer Verlust an Glaubwürdigkeit aller Beteiligten. Und der Syrien-Konflikt lehrt ja eines: Es kann immer noch schlimmer werden. Wir glaubten immer schon seit mehreren Jahren, dass die Situation nicht katastrophaler sein können würde, und das ist ein neuer Tiefpunkt in diesem schrecklichen Konflikt.
"Sicherheitsrat hat keine sehr große Bedeutung mehr"
Zerback: Und schon als sich der Sicherheitsrat damals auf die Syrien-Resolution einigen wollte, hat das ja Jahre gedauert. Sie sagen jetzt gerade, das ist ein großer Vertrauensverlust. Wie viel Bedeutung hat denn der Sicherheitsrat als Institution überhaupt noch?
Bierling: Er hat keine sehr große Bedeutung mehr. Er spielte eigentlich in seiner Geschichte nur ein paar Mal wirklich eine wichtige Rolle. Das war 1990/91, als die Sowjetunion damals unter Gorbatschow und die Amerikaner zusammenarbeiteten. Aber wir sehen im Grunde seit Mitte der 90er-Jahre, seit Ende der 90er-Jahre, damals im Bosnien-Konflikt, später im Irak-Krieg, dass die Großen doch ihre Interessen durchsetzen, und da sie mit einem Vetorecht ausgestattet sind, die fünf permanenten Mitglieder, können sie im Grunde ihre eigene Politik dort verfolgen. Und Russland und vor allem jetzt auch China in den letzten Jahren bemühen sich wirklich, ihre Interessen über dieses Instrument massiv durchzusetzen.
Zerback: Jetzt haben wir gerade schon über die rote Linie Obamas gesprochen. Wir haben auch das Zitat aus 2012 noch mal kurz am Beginn der Sendung gehört. Wenn Obama jetzt im November als Präsident abgelöst wird, welche Bilanz seiner Syrien-Politik bleibt denn dann noch? Ist die gescheitert?
Bierling: Die ist gescheitert. Das ist im Grunde der große Schwachpunkt amerikanischer Außenpolitik unter Obama, der ja angetreten war, Amerika aus vielen dieser, wie er sagte, überflüssigen und unnötigen Konflikte herauszuhalten. Und jetzt sehen wir, dass diese Konflikte ohne amerikanisches Engagement noch schlimmer geworden sind - im Irak, auch in Afghanistan, auch in Libyen, wo man sich nur aus der Luft dazu bequemte, Gaddafi zu bombardieren und dann keine wirklichen Maßnahmen am Boden durchgriff. Das bleibt ein großes Problem amerikanischer Politik, dass sie in dieser gesamten Region und insbesondere in Syrien als nicht mehr handlungsfähig, als nicht mehr glaubwürdig angesehen wird und damit ein Vakuum entsteht, in das nicht nur Mächte wie Russland, sondern auch regionale Hegemonialmächte wie die Türkei, wie Saudi-Arabien, wie der Iran eingreifen. Der Kontrollverlust Amerikas in dieser Region ist eine Katastrophe und die Europäer haben nichts getan, um da irgendetwas dagegen aufzubauen.
"Prinzipiell haben die Amerikaner natürlich die militärischen Kapazitäten"
Zerback: Aus dem, was Sie schildern, da zeigt sich ja ganz deutlich auch das Dilemma der ehemaligen Weltpolizei - "ehemalig" einmal mit Fragezeichen versehen. Wenn interveniert wird, wird das kritisiert; wenn nichts getan wird, ist das auch nicht richtig. Sind die USA da überhaupt noch handlungsfähig als Polizei der Welt und wie kann man es überhaupt lösen?
Bierling: Prinzipiell haben die Amerikaner natürlich die militärischen Kapazitäten, die politischen Kapazitäten, das ökonomische Potenzial, um in solche Konflikte eingreifen zu können. Aber der innenpolitische Wille, so was zu tun, ist natürlich nach den Bush-Jahren quasi auf null gesunken und Obama zieht sozusagen die Lehren aus dieser überaggressiven und überaktiven Politik der Bush-Generation, wenn Sie so wollen. Aber diese Lehren, die er zieht, übertreibt er und diese Lehren sind zum Teil auch falsch, weil er nicht sieht, dass es ein Nullsummenspiel ist in der internationalen Politik. Und wenn die Amerikaner dort an Einfluss verlieren und Einfluss zurücknehmen, wird automatisch jemand anders diesen Einfluss gewinnen, und das sind zum Teil Mächte, die uns sehr, sehr übel gesinnt sind und die in dieser Region Hegemonialbestrebungen betreiben und nicht daran interessiert sind, diesen Konflikt irgendwie zu lösen.
Zerback: Gleichzeitig kommt ja auch die Waffenruhe nicht voran. Die wurde im Februar vereinbart. Jetzt haben sich in der vergangenen Woche noch mal der US-Außenminister Kerry und der russische Außenminister Lawrow zu Gesprächen getroffen. Vereinbart wurde da noch nichts, aber man bleibt im Gespräch. Gleichzeitig sind ja wirklich die Brüche der Waffenruhe eher die Norm als die Ausnahme. Was muss denn da passieren, damit man das wirklich durchsetzt, allein damit man auch die humanitäre Versorgung im Land wieder sicherstellen kann?
Bierling: Sie haben mit der Beschreibung natürlich völlig recht. Das ist im Grunde eine Strategie Russlands, den Amerikanern und dem Westen immer so etwas wie diplomatische Handsalbungen zu geben, damit man als Spieler in dieser Region nicht nur destruktiv, sondern auch positiv wahrgenommen wird. Aber im Letzten wird dieser Konflikt von außen kaum zu lösen sein. Er ist so weit ins Chaos abgeglitten, dass wir damit rechnen müssen, dass er sich über wahrscheinlich nicht nur Jahre, sondern Jahrzehnte ausbrennen wird, solange wir dort im Grunde keinerlei klare Struktur der Konfliktparteien haben. Solange es jeder Partei darum geht, nur nicht zu verlieren und immer mehr Waffen und Kämpfer von außen, von Saudi-Arabien, aus dem Iran, von der Hisbollah, aus Russland und so weiter hineingeführt werden, und zum Schluss jetzt auch noch die Türkei, wird dieser Konflikt - das zeigt uns die ganze Bürgerkriegsforschung, die wir in den letzten Jahrzehnten in der Politikwissenschaft angestellt haben - im Grunde kaum ein Ende finden. Das heißt, wir müssen, so bitter es ist, damit leben, dass es sich hier wahrscheinlich um einen weitgehend unlösbaren Konflikt handelt und wir alle Möglichkeiten, irgendwie Einfluss zu nehmen, als Westen, als USA, in den letzten Jahren verpasst haben.
Steinmeiers Russland-Politik: "hoffnungslos naiv"
Zerback: Ich möchte noch ganz kurz zum Schluss Ihr Stichwort aufgreifen: Russland möchte Player bleiben. Ausgerechnet heute sagt jetzt der deutsche Außenminister, er halte eine Wiederaufnahme Russlands ins G8-Format für möglich, auch wegen der substanziellen Fortschritte bei der Befriedung Syriens. Wie passt das denn zusammen?
Bierling: Ich glaube, da redet sich Steinmeier selbst etwas ein. Das ist eine Linie des Außenministeriums seit Langem, auf diese Modernisierungspartnerschaft mit Russland zu setzen. Die ist schon mal krachend gescheitert über dem Ukraine-Konflikt und jetzt ist es eher quasi eine Halluzination zu glauben, dass die Russen an irgendeiner Form von Befriedung dieses Konflikts interessiert sind. Sie selbst haben die Möglichkeiten, indem sie jetzt ja direkt Kampfpartei sind, den Konflikt immer wieder hochzujubeln. Sie wollen im Grunde gar nicht, dass dieser Konflikt irgendwie abstirbt, weil solange man diesen Konflikt am Köcheln halten kann, wird man im Westen gebraucht. Und einige wie Steinmeier in dem von Ihnen gerade gemachten Zitat fallen offenbar darauf herein, dass man mit den Russen doch irgendwie eine Verhandlungslösung finden können wird. Das halte ich für völlig ausgeschlossen und hoffnungslos naiv.
Zerback: … sagt Professor Stephan Bierling. Er lehrt an der Universität Regensburg und forscht dort zur Politik der USA im Nahen Osten. Besten Dank für das Gespräch heute.
Bierling: Auf Wiederschauen!
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