Das Recherchenetzwerk Bellingcat hat Videos und Fotos zu dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Duma ausgewertet und verglichen. Das Ergebnis: Es sei höchstwahrscheinlich, dass kürzlich mindestens 34 Menschen durch einen Giftgasangriff in der Stadt getötet wurden, schreiben die Journalisten. Und: Der Hubschrauber, der die Fassbombe abwarf, sei auf einem Flughafen der syrischen Luftwaffe gestartet.
Assad und Russland: Es gab keinen Giftgasangriff
Assad und sein engster Verbündeter Russland weisen jede Verantwortung für einen Giftgasangriff von sich. Sie behaupten sogar, es habe gar keinen Giftgasangriff gegeben. Dagegen meldet die Weltgesundheitsorganisation WHO: Ihren Informationen zufolge seien rund 500 Menschen von einem Chemiewaffenangriff in Duma betroffen gewesen.
Aber welches Interesse sollte Assad an einem Giftgasangriff haben? Offenbar ging es darum, den letzten verbliebenen Aufständischen in Duma den entscheidenden Schlag zu verpassen. Kurzfristig war der syrische Präsident erfolgsgekrönt: Die sich bis dahin hartnäckig zeigende Gruppierung Dschaisch al Islam ließ sich unmittelbar nach dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz auf einen Abzug ein. Damit kam Assad seinem Ziel, Ost-Ghouta wieder vollständig zu kontrollieren, einen wichtigen Schritt näher.
Auffällig ist: Assad- und Russland-nahestehende Medien hatten schon Tage zuvor darüber berichtet, dass ein Giftgasangriff bevorstehen würde – ausgeführt von den Aufständischen. Der syrische UN-Botschafter Bashar al Jaafari:
"Wir sagen Euch: Die Terroristen werden bald Chemiewaffen in Syrien einsetzen. Drei türkische LKWs beladen mit Chlorgas sind nach Syrien gebracht worden. Unsere Informationen weisen darauf hin, dass die Terroristen einen Terrorangriff vorbereiten, bei dem sie weiträumig Chlorgas einsetzen werden, um es dann der syrischen Armee in die Schuhe zu schieben."
Eine wahre Prognose – oder vielmehr die Vorbereitung der Öffentlichkeit auf eine spätere Verteidigungslinie? Wie so oft im Syrienkrieg gibt es zwei Wahrheiten – die sich diametral gegenüberstehen. Gegen die Theorie, der Giftgaseinsatz sei von den Aufständischen selbst durchgeführt worden, spricht die Machbarkeit. Wie sollte das Giftgas oder die Substanzen in eine umlagerte Stadt oder Region gelangen? Und gerade Sarin ist ein äußerst schwer zu handhabender Kampfstoff – nichts für Hinterzimmer-Chemielabore.
Als Obama über seine rote Line stolperte
Doch oft ist die Aufklärung der Giftgasangriffe sehr schwierig. Bis die unabhängigen Ermittler vor Ort sind, vergeht Zeit – wenn sie überhaupt ins Land und die Region gelassen werden. Dann beginnt eine mühsame Indiziensuche. So war es auch bei dem verheerenden Giftgasangriff im August 2013 in Ost-Ghouta, dem ersten großen Chemiewaffeneinsatz – als Obama über seine selbst gezogene rote Linie stolperte. Genau ein Jahr zuvor hatte Obama erklärt:
"Wir sind sehr deutlich zum Assad-Regime aber auch zu anderen Akteuren in der Region: Unsere rote Line ist, wenn Chemiewaffen eingesetzt werden. Das würde meine Kalkulationen ändern."
In Ost-Ghouta starben damals mehr als 1.400 Menschen durch das tödliche Nervengas Sarin. Und Obama sagte aufeinmal: "I didn’t set a red line!" - "Ich habe keine rote Linie gezogen!"
Statt militärisch einzugreifen, handelte Washington gemeinsam mit den Russen aus, dass Assad all seine Chemiewaffen vernichten sollte. Medienwirksam wurden die deklarierten syrischen Bestände außer Landes gebracht. Aber wurde wirklich alles deklariert? Und was ist mit Chlorgas – ein Giftstoff, der da er auch einen zivilen Nutzen hat, gar nicht vernichtet werden musste?
April 2014: Chlorgasangriff in Nordsyrien, mindestens elf Tote.
März 2015: Chlorgas-Angriff in der Provinz Idlip, mindestens sechs Tote.
April 2017: Sarin-Angriff in Chan Cheichun. 83 Tote.
Januar 2018: Chlorgasangriff in der Provinz Idlip. Viele Verletzte.
April 2018: mutmaßlicher Chlorgas- und/oder Sarin-Angriff in der Stadt Duma, mindestens 34 Tote.
Nur eine Auswahl von insgesamt mehr als 50 Fällen, die Aktivisten und Beobachter seit der offiziellen Chemiewaffen-Vernichtung 2013 melden. Mehrmals konnten später Experten der Vereinten Nationen und der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen der Assad-Regierung den Einsatz von Giftgas nachweisen, so beispielsweise bei dem verheerenden Chemiewaffenangriff vor einem Jahr, im April 2017, mit mehr als 80 Toten in Chan Scheichun.
Keine eindeutigen Beweise 2013 in Ost-Ghouta
Neben Assad wurde bislang nur einer anderen Kriegspartei im Syrienkrieg der Einsatz von Giftgas nachgewiesen – und das war der IS. Beim verheerenden Angriff 2013 in Ost-Ghouta gibt es keine eindeutigen Beweise, die zum Täter führen. Viele Assad-Anhänger betonen bis heute, der Vorfall gehe auf das Konto der Aufständischen. Dagegen schreibt der UN-Menschenrechtsrat:
"Die vorliegenden Beweise hinsichtlich der Art, der Qualität und der Menge des eingesetzten Sarins legen nahe, dass die Täter Zugang zum Chemiewaffenarsenal des syrischen Militärs hatten - sowie die nötige Ausrüstung und Expertise, um große Mengen chemischer Kampfstoffe sicher zu handhaben."
Das bestätigen später auch Experten der OPCW: Sie hatten Sarin-Proben von den Giftgasangriffen in Ost-Ghouta und Chan Scheichun mit Proben aus den Assad-Beständen verglichen, die zur Vernichtung freigegeben wurden. Das Ergebnis: eine frappierend eindeutige Übereinstimmung der Zusammensetzung – das Material komme aus den gleichen Beständen, hieß es.
Auffällig ist auch beim jüngsten Fall das Datum: Der mutmaßliche Chemiewaffenangriff in Duma ereignete sich offenbar auf den Tag genau ein Jahr nach dem US-Präsident Trump eine syrische Militärbasis hatte angreifen lassen - als Reaktion der USA auf den Chemiewaffenangriff in Chan Scheichun. Eine unmittelbare Botschaft an Trump – eine direkte Provokation der USA?
Immerhin: Der US-Angriff im April vergangenen Jahres hat Beobachtern zufolge seine abschreckende Wirkung nicht verfehlt: Acht Monate lang wurden danach keine Chemiewaffen-Vorfälle mehr gemeldet. Erst Anfang dieses Jahres gingen sie wieder los – die Giftgasangriffe in Syrien.