Dirk Müller: Möglicherweise wieder ein neuer, ein weiterer Giftgas-Einsatz in Syrien durch die Truppen von Baschar al-Assad. Offenbar mehr als 70 Tote, darunter 20 Kinder. Das berichtet jedenfalls die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Amerikaner, Briten und Franzosen setzen das Ganze jetzt auf die Tagesordnung im UN-Sicherheitsrat. – Wir erreichen nun den CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Guten Morgen!
Karl-Georg Wellmann: Guten Morgen, Herr Müller! Ich grüße Sie.
Müller: Herr Wellmann, kann das Ganze wahr sein?
Wellmann: Ja, das ist ein Albtraum und ein schlimmes Verbrechen. Giftgas ist ja immer die rote Linie gewesen, die niemand gewagt hat zu überschreiten. Assad hat es jetzt schon mehrfach gemacht. Man steht halbwegs fassungslos vor solchen Verbrechen.
"Die, die dort militärisch eingreifen, tragen schwere Verantwortung"
Müller: Ist für Sie ganz klar, das war Assad, das waren die Regierungstruppen?
Wellmann: Nein, das ist nicht ganz klar. Aber Indizien deuten darauf hin. Die Russen haben ja eine andere Version verbreitet, haben gesagt, es sei bei Luftangriffen eine Giftgas-Fabrik getroffen worden, die für die Rebellen Giftgas produziert. All das kann man unabhängig nicht überprüfen. Aber es zeigt sich mehr und mehr, dass diejenigen, die dort eingreifen, militärisch eingreifen in den Konflikt, schwere Verantwortung tragen und sehr viel mehr tun müssten, um den Konflikt zu beenden.
Müller: Das ist ja nie wieder gutzumachen.
Wellmann: Nein, das ist nie wieder gutzumachen. Das was Assad den Sunniten angetan hat in dem Land, wird Hass auf Jahrzehnte erzeugen. Das werden die nicht vergessen. Das ist eine Spirale des Hasses. Durch die Gewalt wird die immer weitergedreht. Es ist ja ein Irrtum zu glauben, dass man mit militärischen Mitteln solche Konflikte beenden könnte. Man erzeugt nur mehr Hass, man trägt ihn in weitere Generationen hinein, und das ist eine Spirale ohne Ende, wenn man nicht wirklich politische Lösungen jetzt endlich unter Beteiligung aller, auch der Regionalmächte, auch des Iran, auch der Saudis ins Auge fasst.
Müller: Herr Wellmann, viele schauen jetzt fassungslos wieder auf die jüngsten Zahlen, auf die neuesten Nachrichten, die wir gestern am frühen Abend zum ersten Mal wieder bekommen haben. Sie haben sich viel mit der Person Baschar al-Assad beschäftigt in den vergangenen Jahren, auch mit dessen Motivation. Warum kann er in der jetzigen Situation, gerade jetzt 2017, wo es um mögliche Friedenslösungen geht, ein Interesse daran haben, mit Chemiewaffen gegen sein eigenes Volk zu operieren?
Wellmann: Er will sich um jeden Preis an der Macht halten. Und auch Aleppo hat gezeigt, dass ihm offenbar jedes Mittel recht ist. Und andere wie Russland haben ihn unterstützt. Ohne die russische Unterstützung wäre er nicht mehr im Amt, hätte er diesen Krieg längst verloren. Aber das Entscheidende ist wahrscheinlich weniger Assad, sondern das Entscheidende sind die Regionalmächte, die gegeneinander kämpfen: Auf der einen Seite der Iran, auf der anderen Seite die sunnitischen Golf-Königtümer. Das ist ein ewiger Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten und dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden. Das redet sich so leicht dahin, Teufelskreis durchbrechen, aber wir haben ja keine andere Chance. Dieser Konflikt ist immer latent, ein Konflikt, der sich ausweiten kann, der zu einem großen Konflikt werden kann, und wir müssen unsere Anstrengungen verstärken und dürfen nicht nachlassen, zu einer neuen Friedensordnung im Nahen Osten zu kommen.
Wellmann: Nicht vorstellbar, dass Assad in zukünftigem Syrien noch herrscht
Müller: Und da müssen wir immer noch sagen, auch nach dem, was jetzt passiert ist, mit großer Wahrscheinlichkeit dann doch auf das Konto von Assad zurückgeht, dass auch in den nächsten Jahren wir fest damit rechnen müssen, vor allem die Syrer fest damit rechnen müssen, dass das Ganze mit Baschar al-Assad geschieht, ein neues Syrien.
Wellmann: Das ist nicht vorstellbar. Syrien ist ja längst als Syrien, wie wir es von früher kennen, untergegangen. Es ist ja längst fragmentiert und es ist gar nicht mehr vorstellbar, dass Assad der Staatschef über ein Syrien, wie es noch auf den Landkarten verzeichnet ist, herrschen könnte. Insoweit ist das eine Illusion. Und er hat zu viel angerichtet, als dass er noch eine Perspektive hätte in diesem Land. Wie gesagt: Das was den Sunniten angetan wurde dort, werden die auf Jahrzehnte nicht vergessen.
Müller: Aber wie soll das gehen ohne ihn? Wie sollen die nächsten Jahre funktionieren ohne ihn?
Wellmann: Wir müssen Illusionen aufgeben. Wir hätten die Gespräche schon viel früher anfangen müssen. Ich erinnere mich an einen Besuch des damaligen Außenministers Steinmeier in Syrien gegen großen Protest. Er wollte Gespräche anfangen, das war damals richtig, wäre richtig gewesen. Jetzt haben wir 300 oder 400.000 tote Menschen, jeden Tag kommen neue hinzu, Zivilisten, meine ich. Wir haben eine Region, die in Flammen steht. Da hätten wir viel früher ansetzen müssen, aber es ist nicht einfach. Es ist ja der Konflikt zwischen großen Mächten und Mittelmächten in der Region, und den müssen wir versuchen zu befrieden.
Müller: Aber der Machthaber in Damaskus wird nicht freiwillig dort seinen Platz räumen. Wie soll das denn gehen?
Wellmann: Der wird nicht freiwillig seinen Platz räumen, aber er wird ihn räumen müssen, weil eine Zukunft dieser Region mit ihm ist nicht vorstellbar.
Müller: Wer wirkt auf ihn ein? Ist das Russland, ist das Moskau, Teheran?
Wellmann: Russland hat durch das Eingreifen in diesen Konflikt Verantwortung übernommen. Das sage ich meinen russischen Freunden auch immer wieder. Wenn ihr euch einmischt – die Erfahrung haben die Amerikaner ja auch im Nahen Osten gemacht, im Irak und anderswo -, dann habt ihr auch Verantwortung für das, was da passiert. Einmal reingehen, Flugzeuge hinschicken, Bomben werfen, reicht nicht aus. Und da müssen die Russen sehr viel mehr politisch investieren, gemeinsam mit den Amerikanern, um zu Lösungen zu kommen.
Müller: Aber die Russen haben ja offenbar ganz andere Interessen als die Amerikaner. Die Russen unterstützen ja offenbar nach wie vor Baschar al-Assad.
Wellmann: Ja, aber alles hängt mit allem zusammen. Die Russen werden so in den Konflikt reingezogen. Wir haben ja gerade den islamistischen Anschlag erlebt in Petersburg. Wenn sie Kriegspartei sind, dann geraten sie auch zur Zielscheibe. Der russische Botschafter in der Türkei ist ermordet worden. Das heißt, da gibt es keine sauberen chirurgischen Eingriffe, sondern man ist dann plötzlich verantwortlich, man wird reingezogen. Davor haben die Russen auch große Angst. Und wir müssen immer wieder sagen: Militärisch gibt es keine Lösung. Es muss politische und diplomatische Lösungen geben. Und da Russland einer der großen Spieler ist, im Gegensatz zu uns Deutschen, müssen sie zusammen mit den Amerikanern mehr politisch in dieser Region investieren.
"Muss einen Friedensprozess geben zwischen Iran und den Saudis"
Müller: Es gibt da die strategischen, die geostrategischen Erwägungen, haben Sie auch schon kurz angesprochen, Herr Wellmann. Schiiten-Sunniten, immer das große Thema, haben Sie auch gesagt, was Assad den Sunniten angetan hat. Viele berichten ja auch von Tendenzen umgekehrt, Schiiten wiederum, die über Sunniten herfallen. Wir haben das ja in vielen Regionen, dass beide Volksgruppen, Religionsgruppen, Glaubensgemeinschaften da gegeneinander kämpfen. Inwieweit kann man auf den Iran einwirken, dass der Iran konstruktiv an einer Friedenslösung mitarbeitet?
Wellmann: Iran hat Interessen, hat nicht nur Sicherheitsinteressen, sondern hat auch ökonomische Interessen. Wir sind ja durch das Abkommen mit dem Iran über die Atomrüstung einen großen Schritt weitergekommen. Dieser Weg muss weiter beschritten werden. Und es muss einen Friedensprozess geben zwischen Iran einerseits und den Saudis andererseits. Sonst gibt es keine Ruhe in der Region. Dieser Krieg in Syrien wird ja von außen gesteuert, durch Waffen, durch Geld, durch Unterstützung, durch Söldner. Es kämpfen ja auch iranische Söldner in der Region. Es droht immer wieder, das Gleichgewicht aus der Balance zu geraten mit Israel. Israel sieht zurecht mit großer Sorge das, was sich in Syrien tut. Also das ist ein brodelnder Topf mit großen Gefahren für alle, auch für Russland. Russland hat 15 Prozent muslimische Bevölkerung inzwischen. Russland hat schwierige Provinzen im Nordkaukasus. Auch Russland muss ein Interesse haben, dass dieser Konflikt allmählich abkühlt.
Müller: Heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann. Danke Ihnen für das Gespräch und Ihnen noch einen schönen Tag. Auf Wiederhören!
Wellmann: Danke auch! – Auf Wiederhören.
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