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Giftgasangriff in Syrien
"Beide Seiten haben schlechten Grund, Chemiewaffen einzusetzen"

Für den Giftgas-Einsatz in Syrien könnten sowohl das Assad-Regime als auch die Rebellen verantwortlich sein, sagte Linken-Politiker Jan van Aken im DLF. Die Version Moskaus von einem Raketeneinschlag in einer Chemiefabrik halte er jedoch "für eine schlechte Ausrede". Es begrüßte die Untersuchung des Vorfalls durch Chemiewaffen-Inspekteure der UNO.

Jan van Aken im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion
    Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion (imago/Müller-Stauffenberg)
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Jan van Aken von der Linkspartei, außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Bundestag, dort auch mit Abrüstungspolitik befasst. Guten Tag, Herr van Aken!
    Jan van Aken: Einen schönen guten Tag.
    Dobovisek: Rund um den möglichen Einsatz von Chemiewaffen in Syrien erleben wir gerade etwas, das uns nicht ganz neu ist. Die Opposition ist sich sicher, Assads Luftwaffe habe die Zivilisten bombardiert. Moskau als Assads Unterstützer sagt dagegen nein, die syrische Luftwaffe habe eine Chemiewaffen-Fabrik der Rebellen zerstört. Was klingt für Sie plausibler?
    "Ich halte die Geschichte aus Russland für eine schlechte Ausrede"
    van Aken: Es ist beides totale Spekulation. Ich glaube tatsächlich die Geschichte, die im Moment aus Russland kommt, eher weniger, denn wenn es tatsächlich so gewesen wäre, dass eine normale Rakete ein Chemiewaffen-Lager oder eine Chemiefabrik getroffen hätte, dann hätten wir davon schon längst Bilder gesehen. Die gibt es nicht. Deswegen halte ich das für eine schlechte Ausrede.
    Dobovisek: Der UN-Sondergesandte für Syrien, de Mistura, sagt ja, der Angriff sei aus der Luft gekommen. Das stützt ja noch beide Thesen, also auch die bombardierte Chemiefabrik.
    van Aken: Ja, wobei ich weiß gar nicht, wo der Herr de Mistura das her hat, dass es aus der Luft kommt, denn im Moment kann man wirklich gar nichts sagen. Es gab Luftangriffe, aber ob jetzt diese Chemiewaffen-Granate oder Rakete tatsächlich aus der Luft kam oder nicht, das halte ich im Moment für Spekulation. Deswegen finde ich es auch gut, dass jetzt die Chemiewaffen-Inspekteure der UNO entschieden haben, sie untersuchen den Vorfall. Die können das ganz gut.
    Dobovisek: Gehen Sie davon aus, dass am Ende Assad die Schuld trägt?
    "Beide Seiten haben Grund, Chemiewaffen einzusetzen"
    van Aken: Schwierig zu sagen. Ich glaube, dass beide Seiten es gewesen sein können. Die UNO hat in der Vergangenheit ja schon verschiedene Chemiewaffen-Angriffe untersucht. Zweimal haben sie eindeutig nachgewiesen, dass ein Chlorgas-Angriff vom Assad-Regime kam, einmal ein Senfgas-Angriff vom sogenannten Islamischen Staat, und ich gehe davon aus, dass beide Seiten möglicherweise noch über einzelne Chemiewaffen - Raketen oder Granaten - verfügen, und beide haben guten Grund, das auch einzusetzen – einen schlechten Grund!
    Dobovisek: So oder so ein Kriegsverbrechen?
    van Aken: Auf jeden Fall ein Kriegsverbrechen und es ist ganz klar, das muss aufgeklärt werden. Im Moment kann die UNO das untersuchen und wenn irgendwann dieser Krieg vorbei ist in Syrien, dann muss es Konsequenzen haben. Die Täter müssen zur Verantwortung gezogen werden.
    Dobovisek: Aber wird es überhaupt die Möglichkeit geben, in dieser Situation das aufzuklären?
    van Aken: Vielleicht nicht im Detail, wer den Befehl gegeben hat. Aber in der Vergangenheit hat die UNO gezeigt, dass ihre Leute in der Lage sind, zumindest in einzelnen Fällen klar zu sagen, der Angriff kam von dieser oder jener Seite. Und ich gehe mal davon aus, dass sie das in diesem Fall auch tun kann.
    Dobovisek: Alle von Syrien deklarierten Bestände zur Produktion von Chemiewaffen sind vollständig zerstört worden, meldete vor zweieinhalb Jahren die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen, die OPCW, die die Zerstörung überwacht hat. Jetzt lernen wir, da war wohl noch einiges übrig. Überrascht Sie das?
    van Aken: Nein, gar nicht, und das wird auch die OPCW nicht überraschen, denn wir wissen das aus dem Irak. Da ist ja schon Mitte der 90er-Jahre das Chemiewaffen-Arsenal von Saddam Hussein komplett zerstört und abgebaut worden, und trotzdem findet man bis heute immer noch vereinzelt Raketen oder Granaten, die mit Chemiewaffen gefüllt sind. Das lässt sich zu 100 Prozent immer gar nicht machen, wenn ursprünglich da so hunderttausende von diesen Raketen unterwegs waren. Entweder haben wir jetzt den Fall, dass das Assad-Regime oder Teile von Milizen des Assad-Regimes da die eine oder andere Kiste bei Seite geschaffen haben, oder aber eben Rebellen, die im Laufe des Bürgerkriegs dort mal in einem Waffenlager des Regimes so was erbeutet haben. Einzelne von diesen Dingern werden immer noch unterwegs sein.
    Dobovisek: Der frühere US-Präsident Barack Obama hatte einst von roten Linien gesprochen. Dann hat Assad sie ganz offensichtlich überschritten und mindestens genauso offensichtlich gab es keine ernsthaften Konsequenzen danach. Jetzt sitzt Donald Trump im Weißen Haus, verkündet, dass er sich auch eine Zukunft Syriens mit Assad vorstellen könne, und eine Woche später sterben Menschen im Giftgas-Nebel. Sehen Sie da einen Zusammenhang?
    Zusammenhang zwischen Trumps Aussage und dem Giftgas-Angriff
    van Aken: Das kann gut ein Zusammenhang sein, und zwar von beiden Seiten. Das Assad-Regime kann sich so sicher fühlen, dass es jetzt wieder zu solchen Kriegsverbrechen greift. Es kann aber auch sein, dass die Rebellen gesagt haben, wenn jetzt Trump plötzlich sagt, er kann sich eine Zukunft mit Assad vorstellen, dann wollen wir ihn doch mal in den Krieg hineinziehen, und deswegen von ihrer Seite aus diesen Angriff gemacht haben. Beides ist totale Spekulation, aber es könnte da wirklich einen direkten Zusammenhang geben.
    Dobovisek: War es ein Fehler Donald Trumps?
    van Aken: Ich weiß gar nicht, ob das ein Fehler ist, denn alle, die sich im Moment mit Syrien beschäftigen, sagen, es geht im Moment nicht so sehr um die Frage, ob Assad noch das eine oder andere Jahr mit dabei bleibt. Es geht im Moment darum, eine Waffenruhe, eine Friedenslösung hinzubekommen, und wenn das nur mit Assad geht, dann ist das leider so. Insofern hat er nur das ausgesprochen, was eigentlich von allen Seiten im Moment gedacht und gesagt wird.
    "Große Kritik an Moskau"
    Dobovisek: Aber wie gefährlich ist das, wenn Moskau einerseits fest an der Seite Assads steht und sich auf der anderen Seite jetzt Trump mit seinen Aussagen ebenfalls auf seine Seite zu schlagen scheint? Wie gefährlich ist das für die Situation, dass wir am Ende gar keinen Frieden in Syrien finden werden in den nächsten Jahren?
    van Aken: Diese Gefahr besteht im Moment tatsächlich, denn wir haben ja eigentlich seit Ausbruch des Bürgerkrieges vor über fünf Jahren die Situation, dass mal die eine, mal die andere Seite militärisch die Oberhand hat und dann jeweils nicht bereit war, eine Friedenslösung zu verhandeln. Das war auch mal der Westen, jetzt ist es gerade irgendwie Assad mit Putin an der Seite. Ich habe da auch große Kritik an Moskau, denn ich denke, es müsste auch im Interesse Moskaus sein, diesen Chemiewaffen-Angriff jetzt vorbehaltlos aufzuklären, und da mit zu einer halbseidenen Geschichte jetzt rauszukommen, das dient tatsächlich nicht einer Friedenslösung.
    Dobovisek: Aber haben Sie den Eindruck, dass Moskau die Aufklärung blockieren wird?
    van Aken: Blockieren weiß ich nicht. Aber dass sie jetzt diese Ausrede nehmen, ohne irgendeine Art von Beleg dabeizulegen, das zeigt mir, dass sie nicht gewillt sind, ausreichend Druck auf Assad auszuüben, solche Kriegsverbrechen in Zukunft sein zu lassen.
    Keine Friedenslösung in Syrien abzusehen
    Dobovisek: Wie kommt die Weltgemeinschaft aus diesem Teufelskreis, den Sie mit der militärischen Oberhand auf der einen und auf der anderen Seite ja gerade beschrieben haben, wieder raus? Am Nachmittag wird wieder eine Sitzung des Weltsicherheitsrates stattfinden. Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis heraus?
    van Aken: Das ganz große Problem ist, dass wir eigentlich in fast jedem Krieg erst dann zu einer Friedenslösung kommen, wenn alle beteiligten Kriegsparteien kriegsmüde sind, und in Syrien ist das leider nicht abzusehen. Denn das ist ja nach wie vor ein Stellvertreterkrieg, in dem viele Länder ihre Interessen vertreten. Das geht von der Türkei über Iran bis zu Saudi-Arabien. Und all diese Länder sind leider nicht kriegsmüde und ohne die wird es keine Friedenslösung geben.
    Dobovisek: Klingt nicht besonders hoffnungsfroh. Was bedeutet das für die Zukunft auch hier in Europa?
    van Aken: Das heißt, dass wir in Zukunft daraus lernen müssen. Das letzte Mal gab es ja 2012 schon die Situation, da war Assad militärisch in der Hinterhand, hat vorgeschlagen eine Friedenslösung, wo er dann auch bereit war, innerhalb von zwei Jahren, das heißt bis zum Jahr 2014 zurückzutreten. Das hat damals der Westen abgelehnt und ich glaube, das ist einer der zentralen Fehler. Damals hätte es die Möglichkeit gegeben. Assad wäre jetzt schon drei Jahre weg und das wurde damals nicht angenommen. In Zukunft heißt das, wenn es irgendwann mal die Lösung gibt auf eine friedliche Lösung, selbst wenn man gerade militärisch glaubt zu gewinnen, dann muss man die auch eingehen.
    Dobovisek: Fast ein Drittel aller Syrer sind bereits auf der Flucht. Erwarten Sie weitere Flüchtlinge?
    van Aken: Ja, solange der Krieg so in der Form weitergeht. Das sind ja nicht nur diese Chemiewaffen-Angriffe, das sind die Fassbomben, das sind die Selbstmordanschläge der verschiedenen islamistischen Rebellen. Es ist ein einziges Schlachtfeld im Moment in Syrien und die Menschen vor Ort haben meist nur die eine Chance, wenn sie überleben wollen, dass sie fliehen.
    Dobovisek: Jan van Aken, Außenpolitiker der Linkspartei. Vielen Dank für das Interview, das wir aus Termingründen vor gut einer Stunde aufgezeichnet haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.