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Giftpillen für Fidel Castro

Der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA hat mehr als 30 Jahre alte Akten veröffentlicht, die ein Licht auf die US-Spionage im Kalten Krieg werfen. Die "Familienjuwelen der CIA" enthalten unter anderem Informationen zu Mordplänen an Fidel Castro, geschmiedet von den Kennedy-Brüdern Robert und John.

Von Klaus Jürgen Haller |
    26. Juni am späten Vormittag: In der Gelman Bibliothek der George-Washington-Universität, nur ein paar Straßenzüge vom Weißen Haus entfernt, wird ein Karton angeliefert. Adressat ist das in dieser Bibliothek residierende National Security Archive, eine private Forschungseinrichtung, der Absender die Central Intelligence Agency, der Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten. Im freundlichen Anschreiben heißt es:

    "Wir kommen der ältesten anhängigen Anforderung nach dem Freedom-of-Information-Gesetz nach; es ist Ihre. Hier sind sie."

    Die Akten, knapp 700 Seiten, über 30 Jahre alt und bereits vor 15 Jahren angefordert. Bis sich Geheimdienste, wenn überhaupt, von ihren Geheimnissen trennen, vergeht die Zeit. Dafür ging es dann um so schneller. Kaum waren die 697 Seiten gescannt, konnte sich jedermann weltweit den kompletten Aktensatz herunterladen, sofern er Zugang zum Internet besaß. Die ersten, die sich darauf stürzten, waren wie nicht anders zu erwarten die Medien.

    "Die Familienjuwelen der CIA, einst ihr dunkelstes, tiefstes Geheimnis, sehen endlich das Tageslicht."

    "1960, Kubas Präsident Fidel Castro sollte ermordet warden."

    "Der Plan, Fidel Castro mit Giftpillen zu töten; das geheime Testen von LSD an Bürgern; die illegale Überwachung von Vietnamkriegsprotestlern und amerikanischen Journalisten."

    Einige der Schlagzeilen gerieten ein paar Nummern zu groß, weil die Verfasser wie zu vermuten kaum Zeit fanden, sorgfältig 697 Seiten zu studieren.

    "Die Pläne, die Führer des Kongo und der Dominikanischen Republik zu ermorden."

    Solche Pläne gab es. Aber in den endlich freigegebenen Papieren findet sich dazu wenig, zu Patrice Lumumba, dem ersten legal gewählten Regierungschef des Kongo, der 1961 von innenpolitischen Gegnern ermordet wurde, gerademal zwei nicht sonderlich erhellende Sätze.

    Nichts zu Rafael Trujillo, dem Diktator der Dominikanischen Republik, der seinerseits versucht hatte, Venezuelas Präsident Betancourt in die Luft sprengen zu lassen, der ebenfalls 1961 ermordet wurde. Bekannt sind diese Fälle seit langem. Im Gefolge des Watergate-Skandals, der Präsident Nixon zum Rücktritt zwang, beschäftigten sich Mitte der 70er Jahre gleich drei Untersuchungsausschüsse mit den Machenschaften der CIA. Insbesondere die 14 Berichte der Church-Kommission, die in Auszügen nach und nach bekannt wurden, hellten dieses dunkle Kapitel auf. In einem Memorandum des Justizministeriums vom 3. Januar 1975 sind all die Machenschaften säuberlich aufgelistet. Und zu den Mordplänen heißt es:

    "Die CIA 'plante' anscheinend die Ermordung einiger ausländischer Führer, Castro, Lumumba und Trujillo eingeschlossen. Die CIA spielte bei Lumumbas Ermordung am 17. Januar 1961 jedoch keine Rolle."

    Lumumba wurde von innenpolitischen Gegnern umgebracht. Belgische Soldaten hätten ihn jederzeit in Sicherheit bringen können, weshalb sich die belgische Regierung im Februar 2002 zu einer moralischen Mitverantwortung bekannte.

    "In Bezug auf Trujillos Ermordung am 3. Mai 1961 spielte die CIA 'keine aktive Rolle', hatte aber eine 'schwache Beziehung' zu der Gruppe, die sie ausführte."

    Womöglich lieferte die CIA den Attentätern Handfeuerwaffen. Was die Pläne zur Ermordung Fidel Castros betrifft, ist ein Gespräch aufschlussreich, das Präsident Ford am 4. Januar 1975 mit Außenminister Kissinger führte, der offenbar eine hochnotpeinliche Durchleuchtung des Geheimdienstes befürchtete. Wenn das FBI eine Jagdlizenz für die CIA bekomme, sei das für das Land schlimmer als Watergate, führte Kissinger aus.

    "Helms - ein früherer CIA-Direktor - sagt, all die Geschichten seien nur die Spitze des Eisbergs. Wenn sie herauskommen, fließt Blut. Zum Beispiel leitete Robert Kennedy persönlich die Operation zur Ermordung Castros."

    Robert Kennedy war Justizminister der Vereinigten Staaten. Obendrein war er der engste Vertraute seines Bruders, des Präsidenten John F. Kennedy. Und einer von beiden - oder beide - planten, den Regierungschef eines anderen Landes zu ermorden. Gary Thomas, der Sicherheitsexperte der Voice of America:

    " Eine Menge kam vom Weißen Haus und den Bundesbehörden, die das erledigt haben wollten. Bobby Kennedy wollte Fidel Castros ermordet sehen."

    Die Kennedys wollten sich anscheinend nicht damit abfinden, dass Castro die von der CIA unterstützte Invasion von Exilkubanern in der Schweinebucht überlebt hatte. Überlegungen, den kongolesischen Premierminister Patrice Lumumba umzubringen, gab es offenbar schon unter Präsident Eisenhower. Sidney Gottlieb, Chemiker in Diensten der CIA, soll ein zahnpastaähnliches Gift entwickelt und eigenhändig in den Kongo transportiert haben. Dann passierte allerdings etwas Unvorhergesehenes.

    "Der dortige Stationschef nahm Gottliebs Gifte und warf sie in den Kongofluss. Er weigerte sich, eine solche Operation auszuführen."

    So etwas gab es also auch. CBS-Reporter Daniel Schorr, der in Besitz von Unterlagen der Pike-Komission geraten war, wurde bei CIA-Direktor Colby vorstellig.

    "Ich sagte, 'Mr. Colby. habt Ihr je versucht, Menschen zu ermorden?' Er sagte, 'nicht mehr', was ich für ziemlich aufschlussreich hielt."

    Von all diesen Mordplänen ist in den "Familienjuwelen" kaum die Rede. Warum? Es sind keine Operationspläne, keine Einsatzberichte, sondern ungewöhnlich genug innerbetriebliche Schuldeingeständnisse. Im Juni 1972 wurden in Washington fünf Männer beim Einbruch in ein Büro der Demokratischen Partei im renommierten Watergate-Komplex erwischt. Dass enge Mitarbeiter Präsident Nixons dahintersteckten, dass sich der Präsident dann persönlich an der Vertuschung beteiligte und deshalb im August 1974 zurücktreten musste, war noch nicht abzusehen. Aber die Sache wurde ungemütlich. Die verhinderten Einbrecher verlangten Schweigegeld. Einer von ihnen, Howard Hunt, sagte vor einer Grand Jury aus, sein früherer Arbeitgeber, die CIA, habe sie mit falschen Ausweispapieren, Perücken und anderen Dingen ausgestattet. Die Presse bekam Wind davon und James Schlesinger, gerade erst zum CIA-Direktor ernannt, handelte.

    John Prados vom National Security Archiv: "Schlesinger war wütend. Er wollte wissen, was CIA-Leute angestellt hatten, was den Dienst in juristische Schwierigkeiten bringen konnte. Er und sein Stellvertreter William E. Colby forderten per Anordnung jeden CIA-Mitarbeiter auf, alles rechtlich Fragwürdige zu melden, ob er beteiligt war oder nur davon gehört hatte."

    Das war im Frühjahr 1973. Das Ergebnis dieser betriebsinternen Selbstbezichtigungsaktion sind diese nunmehr freigegeben Papiere. Die ironische Bezeichnung "Familienjuwelen" hat damit zu tun, dass sie so gut behütet waren, nicht, dass sie so ansehnlich wären. Zu Watergate erfährt man jetzt, dass CIA-Angehörige den Einbrechern auch einen Fachmann für das Knacken von Schlössern vermittelt hatten. Dass in den Papieren so wenig über die Attentatspläne auftaucht, mag auch damit zusammenhängen, dass sie bereits bekannt waren. John Prados vom National Security Archive:

    "1967 hat der Generalinspekteur der CIA eine umfassende interne Untersuchung aller Mordpläne angestellt. Dies Dokument liegt seit langem vor."

    Was die Pläne, Fidel Castro zu ermorden, betrifft, stößt man doch auf ein paar Neuigkeiten, wie man seit Sommer 1960 - also noch unter Verantwortung des Präsidenten Eisenhower - versuchte, Gangster der Mafia anzuheuern, die daran interessiert waren, von neuem in das kubanische Glücksspielgeschäft einzusteigen. Die Kontakte liefen über einen Johnny Roselli, der im Vergnügungsviertel von Las Vegas die Eismaschinen kontrollierte. Die CIA bot 150.000 Dollar, aber daran war niemand interessiert. Die Mafiosi - zwei tauchten auf, die bereits auf der Liste der meistgesuchten zehn Verbrecher standen - schlugen vor, Castro zu vergiften. Tatsächlich wurden sechs Giftpillen übergeben.

    "Nach mehreren erfolglosen Versuchen, vergiftete Pillen in Castros Nahrung zu platzieren, wurde der Plan fallengelassen."

    Im Übrigen kam wohl auch die fehlgeschlagene Invasion in der Schweinebucht dazwischen.

    "Castro ist gesund und munter; Roselli nicht. Seine Leiche steckte in einem Ölfass, das auf einem Kanal in Florida trieb."

    Unter öffentlichem Druck kam Präsident Ford der Forderung der Church-Kommission nach, die Ermordung ausländischer Führer zu verbieten. Präsident Reagan hat diese Verordnung 1981 ausdrücklich bekräftigt. Trotzdem haben diese Pläne, ob ausgeführt oder nicht, dazu geführt, dass bei jedem Umsturz inzwischen, wo auch immer, zunächst einmal gefragt wird, ob die CIA dahinter stecken könnte. Die Schlagzeilen zu diesem Thema waren im Ausland jetzt größer als in den Vereinigten Staaten. Hier konzentrierte sich die Aufregung auf illegale Abhörpraktiken und die massive Überwachung von Amerikanern in den Vereinigten Staaten zur Zeit des Vietnamkrieges. Dieses Thema ist nämlich brandaktuell. Heute geht es um Terroristen, damals um Kommunisten. Tim Weiner von der "New York Times":

    "Zwei Präsidenten, Lyndon Johnson und Richard Nixon, glaubten, dass Kommunisten in der alten Sowjetunion und in China die Bewegung gegen den Vietnamkrieg in den Vereinigten Staaten steuerten. Sie befahlen, die Kommunisten aufzuspüren, die hier angeblich die Antikriegsbewegung führten."

    Und damit verstieß die CIA massiv gegen die gesetzlichen Grundlagen, die Ermittlungen im Inland ausdrücklich untersagten.

    "Die CIA sammelte Informationen über wahrscheinlich 300.000 Amerikaner und legte Dateien über vielleicht 7000 an. Sie schleuste CIA-Angehörige in zahlreiche Friedensgruppen, Antikriegsgruppen und linke Gruppen ein; sie gaben sich mit langen Haaren, Bärten und Jeans als Linke aus."

    1971/72, das war eine spannungsgeladene Zeit, erinnert sich Michael Getler, früher bei der "Washington Post", heute Ombudsmann von National Public Radio:

    "Es gab noch den heißen Krieg in Vietnam und einen ziemlich strengen Kalten Krieg mit der Sowjetunion. Es gab einen Angriff auf die Presse durch Vizepräsident Agnew; die Pentagonpapiere waren veröffentlicht worden."

    Papiere des Pentagon über das Zustandekommen des Vietnamkrieges, die geheim bleiben sollten. Aber in Washington blieb nichts geheim, und deshalb verfiel man auf die Idee, amerikanische Journalisten geheimdienstlich überwachen zu lassen. Das begann am 26. Juli 1962 mit einem Artikel des Militärkorrespondent Hanson Baldwin auf der ersten Seite der "New York Times" über Anstrengungen der Sowjets, die Silos ihrer Interkontinentalwaffen zu härten. Das ließ Rückschlüsse auf die Existenz von Aufklärungssatelliten zu. Baldwin bezog sich auf Äußerungen amerikanischer Militärs, im Falle eines Nuklearangriffs der Vereinigten Staaten seien diese sowjetischen Maßnahmen wirkungslos. Offensichtlich war Baldwin im Besitz der jüngsten Geheimdienstanalyse, die zwei, drei Wochen zuvor in der Regierung verteilt worden war. Präsident Kennedy war außer sich. Das Beratergremium für die Auslandsaufklärung empfahl, innerhalb der CIA eine ständige Gruppe zur Überwachung bestimmter Journalisten einzurichten, um herauszufinden, wer ihnen was steckte. CIA-Direktor McCone war einverstanden, Präsident Kennedy war angetan. Auch wenn man jetzt genau hinhören muss, denn das Diktiergerät, das am 1. August 1962 mitlief, war nicht von hervorragender Qualität.

    Kennedy: "Was die Einrichtung einer Gruppe da drüben betrifft, bin ich derselben Auffassung; sie könnte das zweifellos genau verfolgen; da geht eine Menge Zeug raus."

    Aus dem Pentagon beispielsweise. Das sei die effektivste Empfehlung überhaupt, ließ sich der Rechtsanwalt und Präsidentenberater Clark Clifford vernehmen:

    "Meines Wissens ist das noch nie geschehen, und es ist lange überfällig."

    Clark Clifford, der Berater vieler Präsidenten, war nicht irgendwer. Ausgerechnet er hatte 1947 den National Security Act entworfen, das Gesetz über die Nationale Sicherheit, das unter anderem den Nationalen Sicherheitsrat ins Leben rief und das die CIA begründete, den ersten Geheimdienst der Vereinigten Staaten in Friedenszeiten. Den Weltkriegsgeheimdienst OSS hatte Präsident Truman schon Tage nach der Kapitulation Japans kurzerhand wieder aufgelöst.

    Prados: "Als die Charta der CIA in den National Security Act von 1947 geschrieben wurde, gab sie dem Dienst ausdrücklich keine Polizeigewalt. und sie verbot ihm ausdrücklich, in den Vereinigten Staaten aktiv zu werden."

    Und Clark Clifford, der Mann der dies Gesetz entworfen hatte, befürwortete die geheimdienstliche Beobachtung von Journalisten in den Vereinigten Staaten. Und dabei blieb es natürlich nicht. Bald wurden innenpolitische Gegner überwacht, insbesondere die Gegner des Vietnamkrieges. Am New Yorker Flughafen wurden bis 1973 Briefe mit Absendern oder Empfängern in der Sowjetunion geöffnet und fotografiert, über 215.000, in Los Angeles die mit Absendern oder Empfängern in der Volksrepublik China. Der langjährige Chef der Gegenspionage in der CIA, James Jesus Angleton, hatte eine vergleichsweise einfache Begründung:

    "Wir hielten für extrem wichtig, alles nur Mögliche über Kontakte amerikanischer Bürger mit kommunistischen Staaten zu wissen."

    Das ließ der Kongress nicht durchgehen: Mitte der 70er Jahre wies er die Geheimdienste, voran die CIA, in ihre Schranken. Die Überwachung von Ausländern in den USA musste nunmehr von einem nicht öffentlich tagenden Gericht ausdrücklich genehmigt werden. Aber 2005 wurde bekannt, dass Präsident Bush diese Maßnahme nach den Anschlägen des 11. September 2001 außer Kraft gesetzt hatte, was ein Richter inzwischen für gesetzwidrig erklärt hat. Präsident Bush will nun, dass der Kongress das Verfahren legitimiert. Unter anderem geht es auch darum, wie sich nun zeigt, dass Telefongespräche und E-Mails vom Ausland ins Ausland, die trotzdem über amerikanische Glasfasernetze laufen, im großen Stil abgeschöpft werden können.

    Mitte der 70er Jahre wurden Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden streng getrennt. Nach den Anschlägen des 11. September tauchte die Frage auf, ob diese durchgängige Abschottung wirklich sinnvoll war. Der CIA waren mindestens zwei der Attentäter vom 11. September bekannt. Der Geheimdienst wusste, dass beide Einreisevisen für die USA besaßen, aber die Strafverfolgungsbehörden, voran das FBI, das die beiden Attentäter im kalifornischen San Diego hätte dingfest machen können, erfuhr davon nichts. Hätte der 11. September andernfalls verhindert werden können, wenn es eine, wie soll man sagen, unbedenklichere Inlandsaufklärung der Geheimdienste gegeben hätte? Oder wären die bürgerlichen Grundrechte, auf die Amerikaner so stolz sind, dann endgültig gefährdet gewesen? Was bewirkt denn die Veröffentlichung dieser sogenannten Familienjuwelen? Wahrscheinlich werden sie die alte Diskussion "Mehr Freiheit oder mehr Sicherheit?" anfachen, wobei jeder weiß, dass der nächste Anschlag alle Überlegungen über den Haufen werfen kann.

    "Die heutige Aufsicht über die CIA ist völlig anders. Deshalb brauchen Amerikaner nicht auf diese Dokumente zu schauen und zu sagen: Oh, mein Gott, was machen die da!"

    Das sagt der alte Geheimdienstler John McLaughlin, der es bis zum geschäftsführenden CIA-Direktor brachte. Andere sind vorsichtiger. Abwarten, sagen sie.