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Gigantin: Tödlicher Schredder in Tumorzellen

Schon der Name lässt aufhorchen: Doch bei dem Enzym Gigantin handelt es sich um einen Allerweltsstoff aus der Gruppe der Ribonukleasen oder RNasen, die die Proteinproduktion in Zellen regulieren. Und doch lohnt es sich, einen genaueren Blick auf Gigantin & Co. zu werfen. Denn manche RNasen töten Tumorzellen ab, wie sich in Labortests herausstellte. Das weckt Hoffnungen auf neue, verträglichere Krebsmedikamente.

Von Volker Mrasek |
    Das Molekül dieser Woche heißt Gigantin.

    Arndt: "Kommt von Aspergillus giganteus, ein Pilz."

    Daher also der großartige Name! Doch lassen wir uns nicht täuschen! Gigantisch oder sonst wie spektakulär sind weder der Schimmelpilz noch sein Biomolekül.

    Arndt: "Gigantin gehört zu den Ribonukleasen. Findet man überall eigentlich auch bei Bakterien, bei höheren Pflanzen, auch bei Tieren."

    Warum aber nicht Gigantin als Aufhänger benutzen, um sich näher mit Ribonukleasen zu befassen? Oder kurz: RNasen. Das sind Enzyme, die die Herstellung von Proteinen in lebenden Zellen regulieren. Manche von ihnen töten aber auch Tumorzellen ab, wie man in Labortests herausfand. Wissenschaftler hoffen nun auf einen neuen Ansatz in der Krebstherapie.

    Seine Heimat sind Feuchtgebiete Nordamerikas. Dort fühlt er sich wohl, der Leopardfrosch.

    Arndt: "Sie sind so grün-bräunlich gescheckt. Also, man könnte ganz entfernt auf einen Leoparden tippen."

    Warum die Biologin Michaela Arndt vom Leopardfrosch erzählt? Weil aus seinen Eiern ebenfalls eine Ribonuklease isoliert wurde:

    Arndt: "Die nennt sich Onconase."

    Arndt: "Das war die Sterilwerkbank, unter der wir unsere Tumorzellen kultivieren."

    Mit dem Gigantin-Verwandten aus dem Leopardfrosch wird auch in Heidelberg gearbeitet, am neu gegründeten Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen.

    Bötticher: "Ich weiß gerade nicht, ob der misst. Ist da irgendwas drin in dem Plate?"

    Ribonukleasen sind dann aktiv, wenn der genetische Code abgelesen wird, um Proteine herzustellen. Dabei produziert die Zelle zunächst eine Matrize der benötigten Abschnitte auf der Erbsubstanz DNA. Diese Abschrift nennt sich RNA und wird quasi in Proteine übersetzt. Ribonukleasen regulieren diesen Prozess. Am Ende schreddern sie die RNA, damit nicht zu viel Protein fabriziert wird.

    Das Gleiche macht Onconase in Krebszellen. Und das ist es, was Michaela Arndts Arbeitsgruppe in Heidelberg an dem Frosch-Enzym so fasziniert:

    "Man weiß, dass Onconase in Tumorzellen eindringen kann. Und dadurch, dass sie eben dann die RNA von der Tumorzelle zerkleinert, geht der Tumor zugrunde."

    Allerdings funktioniert das bisher nur bei bestimmten Krebszellen. In Heidelberg geht man deshalb einen Schritt weiter:

    Arndt: "Wir verwenden jetzt Onconase oder andere RNasen und kombinieren diese RNasen mit Antikörpern"

    Denn die erkennen alle möglichen Krebszellen an ihren spezifischen Oberflächenstrukturen.

    "Wenn ein Antikörper dann mit einer RNase fusioniert ist, transportiert dieser Antikörper das zu den Tumorzellen und schleust dann die RNase spezifisch in diese Tumorzelle ein."

    Seit Kurzem laufen nun erste Versuche mit Mäusen, die an Krebs des Lymphsystems leiden.

    Arndt: "Und man schaut dann, ob man diese Mäuse durch die Behandlung heilen kann."

    Onconase selbst wurde sogar schon an Lungenkrebs-Patienten getestet, in den USA.

    Arndt: "Wenn diese klinischen Studien positiv verlaufen, hätte man die erste RNase, die als Therapeutikum zugelassen würde."

    Da Onconase gezielt Lungenkrebszellen ansteuert, sollte sie gesundes Körpergewebe verschonen - ein Vorteil gegenüber heutigen Chemotherapien mit ihren ernsten Nebenwirkungen.

    Am Ende könnten sich Gigantin und Co. also doch noch als großartige Moleküle erweisen.