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Giorgio Moroder zum 80.
Papa Disco

Das 17-Minuten-Monster "Love To Love You Baby", mit Gesang und 23 ins Mikrofon gestöhnten Orgasmen von Donna Summer, machte den Produzenten berühmt und die Sängerin zum Weltstar: Giorgio Moroder war entscheidend an Disco-Sound und Hitparaden der 70er- und 80er-Jahre beteiligt. Eine Hommage zum 80.

Von Marcel Anders |
    Porträt der Disco Legende Giorgio Moroder in den 1970er Jahren mit rot getönter Brille und breiten Hemdkragen.
    Schlief anfangs nach Auftritten auch mal in seinem Auto: Giorgio Moroder (Globe Photos)
    Musik: "Love Kills"
    Das Soho House ist der Hotel-Hotspot von Berlin der Anlaufpunkt für die Schönen, Reichen und Berühmten. Aber auch für einen kleinen, älteren Herren mit leichtem Bauchansatz: Giorgio Moroder. Er trägt schwarzes Hemd, Buntfaltenhose, Slippers, schneeweißes Haar und sein Markenzeichen: den Schnauzbart. Der gebürtige Südtiroler lebt seit über 25 Jahren als gut betuchter Privatier in den USA und blickt auf eine lange und erfolgreiche Karriere zurück: Als Erfinder des Disco-Sounds und -Genres. Und als Mann, der Synthie-Pop, New Wave nebst Techno vorweggenommen und ganze Generationen von Musikern beeinflusst hat. Moroder ist der Godfather of EDM. Kurz: Papa Disco. Die meisten Menschen der westlichen Welt, die bereits in den 70ern gelebt haben, dürften seine Produktionen kennen und auch Nachgeborenen gelingt es nur schwer, einem Moroder-Hit aus dem Weg zu gehen. Ende April feiert er seinen 80. Geburtstag. Wegen der Corona-Pandemie nur im kleinen Rahmen. Hätten alle teilnehmen können, die ihm eine Karriere oder einen Hit verdanken es wäre eine gigantische Feier geworden.
    Musik: "Together In Electric Dreams"
    Dass aus Giorgio Moroder mal ein richtiger Musikmogul werden könnte, scheint angesichts seiner Anfangsjahre geradezu unvorstellbar: Der junge Giovanni verdingt sich in der Tourismusbranche von Südtirol. Er spielt Volksmusik auf der Gitarre, wechselt dann an den Bass einer Schweizer Tanzmusikappelle und wird Anfang der 60er Schlager-Sänger.
    Die Anfangsjahre
    Unter dem Künstlernamen "Giorgio" veröffentlicht er Coverversionen und Eigenkompositionen auf Italienisch, Spanisch, Deutsch und Englisch. Das Besondere: Er produziert sich selbst und spielt sämtliche Instrumente im Alleingang. Später schreibt er auch für Uschi Glas und Michael Holm während er sich selbst mehr auf Beat-Musik verlegt. Seine erste Nummer 1 landet er 1969. Vielsagender Titel: "Looky Looky".
    Musik: "Looky Looky"
    Nach seinem ersten Erfolg mit "Looky Looky" zieht es Giorgio Moroder nach München Ende der 60er das Mekka für Tanz- und Partywütige aus ganz Europa. Im Untergeschoss des Arabella-Hochhauses (heute das Sheraton München) richtet er sich ein Tonstudio ein: Music Land, das für damalige Verhältnisse "State of the art" ist und in dem Alben von Deep Purple, Led Zeppelin, Elton John, Queen oder E.L.O. entstehen. Moroder selbst fällt es jedoch schwer, seinen Hit zu wiederholen. Deshalb wechselt er die musikalischen Fronten motiviert durch seinen Freund, die Jazz-Legende Eberhardt Schoener, greift er zum Moog.
    Moroder: "Er hat mir die ersten Klänge vorgespielt. Das war eine tiefe Note, die links und rechts gelaufen ist, wo ich sehr angetan war. Und Tommy, sein Ingenieur, hat dann geholfen eben diese Sounds zu finden. Ich habe dann die Apparatur von dem Eberhard gemietet und dann aufgenommen."
    Eine folgenreiche Begegnung für die Geschichte der Disco-Musik: Denn Moroder, gerade Anfang 30, veröffentlicht daraufhin eine Reihe von elektronischen Alben mit Modular-Synthesizern. Das bekannteste ist "Son Of My Father" mit der gleichnamigen Single. Ein durchwachsener Hit, der aber Kollegen wie Kraftwerk inspiriert. Ein Jahr später veröffentlichen sie ihr monumentales Album "Autobahn".
    Musik: "Son Of My Father"
    1975 erlebt die Karriere des eifrigen Südtirolers einen ersten, nun ja, Höhepunkt: Er entwickelt einen hypnotischen elektronischen Beat und würzt ihn mit einem minimalistischen Text und gespielt ins Mikro gestöhnten Orgasmen. Die US-amerikanische Musical-Sängerin Donna Summer lebt zu dieser Zeit in München und ist, wie sie zunächst annimmt, nur für Demo-Aufnahmen gebucht.
    Verwelkte Blumen vor der Haustür
    Donna Summer: "Ich war eine Christin, aber zu der Zeit hatte ich gerade eine kleine Glaubenskrise – sonst hätte ich den Song nie eingesungen. Wobei ich dachte, ich wäre nur für die Demo-Version engagiert. Denn eigentlich sollte ein anderes Mädchen für die endgültige Fassung verpflichtet werden. Ich habe mich also auf die "Uhs" und "Ahs" konzentriert und ein bisschen improvisiert, denn es gab keinen Text. Es hieß, er würde irgendwann fertiggeschrieben. Aber das war nicht der Fall. Anschließend habe ich monatelang nichts mehr von Giorgio gehört. Ich hatte keine Ahnung, dass er die Aufnahme an Neil Bogart in den USA geschickt hat. Doch als ich von einem Urlaub am Mittelmeer wiederkam, lagen plötzlich Blumen vor meiner Haustür, die verwelkt waren. Und unter meiner Tür waren mehrere Telegramme durchgeschoben worden, in denen mir zu meinem Song gratuliert wurde. Ein Song, den ich gar nicht kannte. Ich war völlig baff und erfuhr dann, dass er in Amerika erscheinen sollte. Dabei hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal einen Vertrag mit Giorgio Moroder."
    Moroder verkauft den Song an Neil Bogart von Casablanca Records. Der erkennt in "Love To Love You Baby" den perfekten Soundtrack zu den hedonistischen, sexuell befreiten Partys der 70er und bittet Moroder um eine längere Fassung. Diese dauert 16 Minuten und 50 Sekunden in denen Donna Summer 23 akustische Orgasmen vortäuscht. Dieser gesungene Sex wird zur Sensation zuerst in den Diskotheken der amerikanischen Ostküste. Mit auf der Tanzfläche: Nile Rodgers, der daraufhin die Band Chic gründet.
    Nile Rogers: "Donna Summer´s ´Love To Love You Baby´ stellte eine richtungsweisende Veränderung in meinem Leben dar. Es sorgte dafür, dass ich Teil dieser Welt sein wollte, in der die Musik nie aufhört. Und das wurde mir in einer Disco bewusst, in der der DJ die einzelnen Stücke ineinander gemixt hat. Ich dachte: ´Das ist ja unglaublich´."
    Musik: Donna Summer - "Love To Love You Baby"
    Moroder hat seinen Sound und seinen Star gefunden, er schwimmt ganz oben auf der Disco-Welle. In den nächsten Jahren hat er eine Reihe von Hits mit dem Studio-Projekt Munich Machine, der New Wave-Band Japan, den amerikanischen Sparks und als Produzent von Donna Summer, die er zur Disco-Queen aufbaut. Im Juli 1977 veröffentlicht er das Stück, das zu seiner Erkennungsmelodie wird. Das als erste Komposition der Musikgeschichte nur auf einem Synthesizer basiert und als Pioniersong der EDM gilt: "I Feel Love".
    Musik: Donna Summer - "I Feel Love"
    Moroders Philosophie als Songwriter ist denkbar simpel: "Klingt eine Idee nach drei Stunden immer noch nicht gut, verwirf sie und mach dich an die nächste Schreib zehn Songs. Einer von ihnen wird schon gut sein Es kommt nur darauf an, eine starke Melodie, einen griffigen Refrain und ein Arrangement zu haben, das nie zu komplex wirkt."
    Die drei Gebote des Giorgio Moroder gelten nicht nur für den Disco-Sound. Sie bescheren ihm auch weitere Welterfolge mit Blondie, Philip Oakey von Human League, Bonnie Tyler oder Limahl von Kajagoogoo. Moroder ist ein Hit-Garant. Alles, was er betreut, generiert Gold- und Platin-Verkäufe. Zudem setzen die Produktionen von "Papa Disco" technische Maßstäbe: Sein ´79er Solo-Album "E = MC2" ist das erste rein digital aufgenommene Album der Musikgeschichte. Laut Moroder eine unfassbar teure und aufwendige Angelegenheit, die allerdings bald Standard wird. Auch sein Songwriting findet viele Nachahmer, gerade unter New Wave- und Synthie Pop-Künstlern: Bronski Beat, New Order, Depeche Mode sie alle greifen den Sound des Südtirolers auf.
    Der italienische Musikproduzent und Komponist Giorgio Moroder singt zum Deutschlandauftakt "The Celebration of the '80s Tour" auf der Bühne im Tempodrom. Foto: | Verwendung weltweit
    Giorgio Morder arbeitet auch noch mit 80 Jahren gerne (Annette Riedl/dpa )
    Moroder selbst lässt die reine Disco-Musik schon Ende der 70er hinter sich zurück. Er agiert in anderen Sphären, ist genreübergreifend erfolgreich und schreibt für alle und jeden. Tanzen, so sagt er lächelnd, sei ohnehin nicht seine Lieblingsbeschäftigung. Moroder ist eher Studiotüftler als Partylöwe. An seinen ersten und einzigen Besuch im legendären Disco-Tempel "Studio 54" erinnert er sich nur ungern.
    "Das war schlimm, weil da waren vielleicht 50 Leute draußen, die gewartet haben. Es war ungefähr 23 Uhr und da dachte ich, ui, da muss was los sein, wenn schon so viele Leute draußen warten. Dann komm ich rein und es war beinahe leer. Und dann hab ich erst mitgekriegt, einmal dass es gar nicht um 11 Uhr abends anfängt, und zweitens, dass die Leute draußen… dass das überhaupt nichts heißt, ob’s drinnen voll oder leer ist. Das ist alles psychologischer Terror, da müssen eben die Leute warten. Und die Leute warten auch."
    Musik: Blondie - "Call Me"
    Moroders Chartpräsenz ruft auch Hollywood auf den Plan. Hier erkennt man schon vor John Hughes und seinem "Breakfast Club", dass erfolgreiche Soundtracks die Zugkraft eines Films steigern gerade, wenn es sich um Werke für ein junges Publikum handelt.
    Mr. Soundtrack
    Da scheint der Erfolgsproduzent der perfekte Zulieferer. In den frühen 80ern vertont Moroder "American Gigolo", "Katzenmenschen", "Scarface", "Flashdance", "Die unendliche Geschichte", "Metropolis" oder "Beverly Hills Cop". Der Disco-Erfinder macht den Sound für das ganz große Kino. Für die Hauptstücke engagiert er angesagte Acts wie Blondie oder Berlin und alte Hasen wie Freddie Mercury, Cher oder David Bowie. Sie alle lassen sich nur zu gerne auf die Zusammenarbeit ein wohlwissend, dass sie davon enorm profitieren. David Bowie ist von "Cat People", dem Titelsong zu 90 Minuten müdem Erotik-Horror mit Nastassja Kinski, sogar so begeistert, dass er es auch auf seinem nächsten Album platziert: "Let´s Dance" von 1983.
    Musik: David Bowie - "Cat People"
    Wie dankbar ihm Hollywood für seine Soundtracks ist, äußert sich in vier Grammys, vier Golden Globes und drei Oscars. Bei seiner ersten Academy Awards-Verleihung ist Moroder noch so nervös, dass er den Text seiner Dankesrede vergisst:
    "Als dann mein Name genannt wurde, da ist man dann schon ein bisschen durcheinander – ist das jetzt wirklich passiert? Und beim Raufgehen bin ich dann auch noch gegen ein Licht gestoßen, und dann steht man oben und schaut dann so runter… Dann war da Steven Spielberg, und ich stehe da oben mit meinem ersten Oscar, und dann wurde es mir ganz mulmig. (lacht) Ich bin sicher nicht der Einzige, der sich da oben absolut nervös gefühlt hat."
    Auszeit & Comeback
    Moroder lebt zu dieser Zeit in einer Villa in den Hollywood Hills und erhält lukrative Offerten. Darunter die Titelmelodien zu den olympischen Spielen 1984 und 1988, aber auch zur Fußball-WM 1990 in Italien, sogenannte "corporate anthems", die ihm beachtlichen Reichtum verschaffen.
    Musik: Giorgio Moroder - "Un´ estate italiana"
    Moroders Arbeitswut hat jedoch ihren Preis: Anfang der 90er ist er ausgepowert und flüchtet sich ins Private. Mit 50 heiratet er, wird Vater und zum ersten Mal sesshaft. Die nächsten 20 Jahre zieht er sich weitestgehend aus der Musik zurück und widmet sich seiner Familie und seinen Hobbies. Dazu zählt die Entwicklung eines 600.000 Dollar teuren Sportwagens, des Cizeta-Moroder V16. Ein gigantischer Flop.
    "Wir haben ungefähr acht Stück verkauft. Dann ging diese Firma pleite, denn 1992 war diese große Wirtschaftskrise weltweit, und da hat kein Mensch mehr diese Autos gekauft. Selbst Porsche ging es nicht mehr sehr gut. Dann hab ich hundert andere Sachen gemacht, ich hab überlegt… wie sagt man… "the grass of the neighbor is always greener", und dann auch Kunst studiert, bin in die Kunst reingegangen und ich wollte dann einfach andere Sachen machen."
    Andere Sachen bedeuten: Moroder entwirft ein Pyramiden-artiges Hotel für die Herrscherfamilie von Dubai, das jedoch nie gebaut wird. Auch sein eigener Cognac verschwindet schnell wieder vom Markt. Dafür taucht seine Musik Ende der 90er immer öfter in HipHop-Tracks auf von Künstlern wie Lil Wayne, RZA oder Outkast, die ihn auf ihrem Album "Aquemini" zitieren. Auch in Dance-Tracks von David Guetta, Aviici oder Tiesto wird Moroder gerne zitiert und erlebt 2013 eine regelrechte Renaissance. Das französische Duo Daft Punk setzt ihm ein Denkmal: "Giorgio By Moroder" vom Album "Random Access Memories". Das wird zum globalen Bestseller und gibt Moroder Gelegenheit, sich an seine Anfänge zu erinnern:
    "And I linked it down to the Moog Modular and thought: hey, this could be the sound of the future. My Name ist Giovanni Giorgio, but everybody calls me Giorgio."
    Musik: Daft Punk - "Giorgio By Moroder"
    Mit Daft Punk ist Moroder zurück im Geschäft: Als 74-Jähriger bastelt er mit Gaststars wie Kylie Minogue, Britney Spears oder Sia an neuen Stücken und veröffentlicht im Juni 2015 "Deja Vu" sein erstes Werk seit 23 Jahren. Ein moderater Erfolg, mit dem er im Nachhinein nicht sonderlich glücklich ist. Es hätte, sagt er, viel besser laufen können, wenn die beteiligten Künstler ein bisschen kooperativer gewesen wären.
    "Die Koordination ist sehr problematisch, weil im Vergleich zu vor 35 Jahren ist jeder Sänger hier in Amerika so was von busy, die haben so viele Sachen zu machen, und die in ein Studio reinzukriegen, ist gar nicht mehr so leicht. Und ich habe auch bemerkt: Die meisten Sänger haben alle ihre eigene technische Entourage. Die haben den Tonmeister, der genau weiß, welches Mikrofon ideal ist für den Sänger. Viele haben, die nennen das Vocal Producer, der macht grundsätzlich, was eigentlich ein Produzent macht. Und deswegen, glaube ich, machen die das viel lieber allein im Studio mit den eigenen Leuten."
    Ein Mann mit nacktem Oberkörper sitzt an einem Pool und spielt auf einem Keyboard. 
    Papa Disco in Aktion: Giorgio Moroder (Getty Images/ Michael Ochs Archives)
    Die Zeiten haben sich geändert, der Südtiroler Giovanni Giorgio aber nicht. Die Musikindustrie ist komplexer geworden und die Charts sind für jemanden wie ihn, der für eine andere Zeit und eine andere Generation steht, nicht mehr so leicht zu erobern. Als Reaktion verlegt sich Moroder auf die Nostalgieschiene: 2019 geht er auf die erste Tournee seiner Karriere. Motto: "The Celebration Of The 80s", ein Retro-Spektakel, das all seine Hits umfasst und zum Triumphzug wird. Für 2021 hat er ein neues Album angekündigt. In welche Richtung es geht und wer ihn dabei unterstützt, ist sein Geheimnis. Es kursieren Namen wie Rihanna, Lady Gaga oder Debbie Harry, seine erklärte Lieblingskünstlerin.
    "Sie ist auch nicht mehr die Jüngste, aber noch voll da. Mit ihren dunkeln Brillen sieht sie immer noch aus wie eine Diva und ich werde vielleicht auch noch ein bisschen mit ihr arbeiten."
    Nicht, weil er das Geld braucht, sondern weil er immer noch Spaß an der Musik hat. Weil er ein Pionier ist, der liebt, was er tut und nach wie vor starke Ideen hat. Warum sollte er also aufzuhören, wenn es gerade am Schönsten ist? 80, so Moroder, ist schließlich das neue 30.
    Musik: Giorgio Moroder – "74 Is The New 24"