Über den Premierengipfel möchte ich jetzt reden mit dem stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich. Ich grüße Sie, Herr Mützenich. Guten Morgen!
Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Heinlein.
Heinlein: Was erwarten Sie? Bringt der Gipfel mehr als schöne Bilder von Strand und Palmen?
Mützenich: Es ist ja schon angedeutet worden in dem Vorbericht, dass wir noch gar nicht wissen, ob es ein Abschluss-Kommuniqué gibt. Zumindest das, was ich gelesen oder gehört habe, wird daran noch gearbeitet. Und das zeigt damit auch die Schwierigkeiten, die mit diesem Gipfel verbunden sind.
Heinlein: Welchen Sinn macht es denn aus Ihrer Sicht, überhaupt mit der Arabischen Liga als Block zu verhandeln? Denn in den meisten Fragen, die auf der Agenda stehen, sind sich diese 22 Mitgliedsländer ja alles andere als einig.
Mützenich: In einer besseren Welt wäre es genau das Richtige, dass man nach regionaler Kooperation für gemeinsame Probleme sucht. Und Sie haben vollkommen recht: Die Arabische Liga ist in einer Krise. Aber man muss natürlich auch sagen: Die Europäische Union ist in vielen Fragen nicht einig. Und das sind natürlich relativ schlechte Voraussetzungen, wenn es in der Tat auch Probleme zwischen diesen beiden Regionen nicht nur am Mittelmeer, sondern insgesamt gibt.
Heinlein: Die Arabische Liga, Herr Mützenich, gibt es ja seit 1945. Warum hat es denn überhaupt so lange gedauert, bis sich die EU zu diesem gemeinsamen Gipfel entschlossen hat, und dann noch zu einem solchen Zeitpunkt, der nicht sehr günstig ist, wie Sie gerade gesagt haben?
Mützenich: Ich kenne das nicht in den Einzelheiten, wie es in den vergangenen Jahren oder Jahrzehnten eben nicht dazu gekommen ist. Aber ich glaube, erst in den letzten Jahren ist die Erkenntnis gestiegen, gerade auf europäischer Seite, dass man mit den Nachbarstaaten gemeinsam zusammenarbeiten muss. Und immerhin scheint ja auch Ministerpräsident Orbán angereist zu sein, der alles unternimmt, dass die Europäische Union nicht zu gemeinsamen Beschlüssen in Fragen der Flüchtlingsfragen oder auch anderer Punkte kommt. Und vielleicht ist es eine neue Entwicklung, die wir auch dann in den nächsten Monaten erkennen können, dass die Europäische Union gemeinsam versucht zu arbeiten.
"Wir sehen an erster Stelle die schlechte Regierungsführung"
Heinlein: Viktor Orbán, Herr Mützenich, wäre sicherlich noch mal ein eigenes Thema. Blicken wir aber auf die arabische Welt. Dort sind ja die Staats- und Regierungschefs in vielen Ländern alles andere als lupenreine Demokraten, sondern eher Autokraten, die mit harter Hand regieren. Wie heikel ist diese Tatsache für Deutschland und die EU auf diesem Gipfel und darüber hinaus?
Mützenich: Ich glaube, das ist sehr heikel, und es wird darauf ankommen, ob die Bundeskanzlerin es schafft, nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, sich insbesondere mit diesen Potentaten gemein zu machen. Auch in dem Vorbericht ist angedeutet worden: Wir haben gesellschaftliche Verwerfungen. Im Sudan wird zurzeit eine Protestbewegung von jungen Menschen unterdrückt, und es ist gar keine Frage, vielleicht noch eine Frage der Zeit, dass es auch wieder zu Umbrüchen in einzelnen arabischen Ländern kommt. Und wir sehen an erster Stelle die schlechte Regierungsführung von denjenigen, die zurzeit nach Ägypten gereist sind, und auf der anderen Seite, dass sie ihre Konflikte mit Gewalt lösen.
Heinlein: Sie haben die Kanzlerin angesprochen, Herr Mützenich. Sollte Angela Merkel den Gastgeber, Ägyptens Präsident Al-Sisi auf dem Gipfel offen kritisieren und zur Einhaltung der Menschenrechte, zur Wahrung des Rechtsstaates in seinem eigenen Land ermahnen?
Mützenich: Es wäre mein Wunsch, wenn die Bundeskanzlerin hier deutlich sprechen würde. Ich glaube, es ist angebracht, nicht nur die Frage der Menschenrechte, sondern auch, wie die Wirtschaftspolitik dort betrieben wird. Ich habe große Sorge, dass gerade die Großprojekte, die in Ägypten unternommen werden, teilweise auch mit europäischen Krediten oder internationalen Krediten bedient werden, nicht den Herausforderungen gerecht werden einer hohen Arbeitslosigkeit junger Menschen, die nach Zukunft schauen. Und insbesondere die Frage von Wohnungsnot oder auch schlechter Infrastruktur, sauberem Wasser, alles das wird dadurch nicht gelöst.
Heinlein: Wieviel Kritik ist denn möglich, offene Kritik an Al-Sisi, an Ägypten? Denn die EU und auch Deutschland wünschen sich ja Sammellager für die im Mittelmeer aufgegriffenen Flüchtlinge auf nordafrikanischem Boden, auch in Ägypten.
Mützenich: Ja, das ist genau das, was, glaube ich, jetzt in den nächsten Stunden darauf ankommt, dass man auf der einen Seite versucht – und das kann ja nicht die Antwort der Sammellager sein -, auch dazu zu kommen, zu einer gemeinsamen europäischen, aber dann mit der Arabischen Liga abgestimmten Flüchtlingspolitik, aber auf der anderen Seite deutlich zu machen, dass die sozialen Eruptionen, die in diesen Ländern zurzeit stattfinden, eben auch nicht die Sicherheit der Europäischen Union erhöhen. Und da kommt es nicht nur auf die Bundeskanzlerin an, sondern insbesondere auch auf Herrn Tusk oder auf der anderen Seite den gemeinsamen europäischen auswärtigen Dienst.
"Das Militär spielt eine besondere Rolle"
Heinlein: Glauben Sie, dass die ägyptischen Potentaten diese Argumentation nachvollziehen können, die Sie gerade gemacht haben?
Mützenich: Da bin ich sehr skeptisch, aber man muss es immer wieder versuchen, weil natürlich das, wie sie zurzeit regieren, ihre einzige Chance ist, sich in dieser Situation zu halten. Und wir sehen ja nicht nur zum Beispiel in Lateinamerika, sondern gerade hier, dass das Militär eine besondere Rolle spielt und natürlich insbesondere auch in Ägypten.
Heinlein: Anderes Land, nicht nur Ägypten. Anderes Land, aber ein ähnliches Thema: Saudi-Arabien und der Mord an dem Journalisten Kashoggi. Kann denn das Königreich vor diesem Hintergrund überhaupt ein Partner sein, mit dem man verhandelt, mit dem man sich an einen Tisch setzt über das Thema Jemen, das ja auf diesem Gipfel auch eine durchaus bedeutende Rolle spielen soll?
Mützenich: Jemen muss eine bedeutende Rolle spielen, auch in der deutschen Innenpolitik. Wir wissen um den Streit, den wir auch innerhalb der Koalition letztlich um die Frage der Rüstungsexporte haben. Auf der einen Seite haben wir es mit einem Land Saudi-Arabien zu tun, was einen unheimlich großen Einfluss auf die einzelnen Länder hat. Auf der anderen Seite verhält es sich wie ein Land, was nicht bereit ist, Konflikte einzuhegen. Ich hoffe, dass unter dem Dach der Vereinten Nationen eine Lösung für den Jemen auf der langen Strecke gefunden wird, aber das muss auch jetzt deutlich werden und unser Angebot ist zum Beispiel, dass in einem Waffenstillstand noch mehr humanitäre Hilfe im Jemen geleistet werden kann. Das wäre ein durchaus wichtiger Ansatz. Vielleicht gibt es ja auch das Versprechen.
Heinlein: Nicht nur Saudi-Arabien, die Arabische Liga insgesamt hat ja eine schwierige Haltung zu Israel, zu einer Lösung des Nahost-Konfliktes. Wie kann denn die EU mit der Liga sprechen, ohne Israel, den Partner Israel ins Abseits zu stellen?
Mützenich: Dieser Konflikt macht mich persönlich mittlerweile ratlos, weil wir sehen einen Wahlkampf in Israel, der diese ganze Frage nur letztlich auch extrem beantwortet. Auf der anderen Seite ist die palästinensische Seite nicht einig, und ich befürchte, dass auf diesem Gipfel die Frage Israel-Palästina nur als Feigenblatt betrachtet wird und nicht auch einer Lösung zugeführt wird.
Heinlein: Eine echte Gratwanderung dieser Gipfel, wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Mützenich. Ist es dennoch richtig, dass sich die Regierungschefin, die Kanzlerin und nicht ihr Außenminister oder ein Staatssekretär persönlich auf den Weg gemacht hat ans Rote Meer, ein Signal gesendet hat, seht her, arabische Welt, ihr seid uns wichtig, wir wollen mit euch reden?
Mützenich: Doch, das finde ich schon. Insbesondere wenn sie sich mit diesen Machthabern auch nicht gemein macht, wäre das ein deutliches Zeichen. Und das ist nun mal ein Gipfel, wo die Ministerpräsidenten und Regierungschefs letztlich auch erwartet werden. Das ist ein gutes Signal und wir müssen letztlich daraus lernen, was die Umbrüche in der arabischen Welt bedeuten, auch für die Zukunft der Europäischen Union. Wenn man das ansprechen kann, wäre das schon durchaus ein kleiner Fortschritt.
Heinlein: Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke, Herr Mützenich, für das Gespräch und Ihnen einen schönen Tag und eine gelungene Karnevalswoche.
Mützenich: Ja, vielen Dank! Danke für die Einladung.
Heinlein: Gerne.
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