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Giulia Becker: "Das Leben ist eins der Härtesten"
Verzweifeltes Lachen als Rettung

Vier Menschen, die versuchen, in der Kleinstadt Borken ein ruhiges, ganz normales Leben zu führen - davon erzählt Giulia Becker in ihrem Debüt mit bissigem Witz und klugem Humor. Obwohl die Figuren dabei immer wieder scheitern, stecken sie den Kopf nicht in den Sand.

Von Isabelle Bach |
Die Autorin Giulia Becker und ihr Roman "Das Leben ist eins der Härtesten"
Giulia Becker hat ihre Autorinnen-Karriere auf Twitter begonnen (Buchcover Rowohlt Verlag / Autorenportrait (C) Joseph Strauch )
"Männer arbeiten öfter in Chefpositionen, weil sie besser mit dem harten Arbeitsklima umgehen können, das wir ohne sie gar nicht hätten."
So lautet einer der zahlreichen polarisierenden Kommentare von Giulia Becker auf Twitter. Angefangen hat ihre Social Media Karriere in einem Universitätsseminar zum Thema Twitter, in dem sie ein Profil mit dem Pseudonym Schwester Ewald erstellt. Zunächst nur, um die Kommentare anderer Nutzer zu lesen. Doch schon bald beginnt sie auch selbst zu texten. Denn Lust zu schreiben hatte Giulia Becker schon immer, und auf Twitter kann sie ihrer Fantasie freien Lauf lassen:
"Medien wie Twitter oder Instagram sind dafür gut, dass man Leuten zuhört, denen man vielleicht im Alltag nicht begegnet oder denen man nicht in dem Umfang zuhören würde. Dass Leute eine Stimme bekommen, die unterrepräsentiert ist. Dass man sich andere Perspektiven angucken und durchlesen kann."
Feministische Influencerin als Autorin
Giulia Beckers Stimme jedenfalls wird gehört. Unter anderem von Lektoren des Rowohlt Verlags, die von ihren kurzen, pointierten Texten im Netz überzeugt sind und ihr vorschlagen, ein Buch zu schreiben. So werden die sozialen Medien zu einem Sprungbrett in Richtung Traumberuf, denn Becker wollte schon immer Autorin werden.
Mit der 28-Jährigen hat eine weitere feministische Influencerin ein Buch veröffentlicht. Gerade erst ist Sophie Passmanns "Alte weiße Männer – ein Schlichtungsversuch" erschienen. Auch sie hat zuvor im Netz mit feministischen Kommentaren viel Aufmerksamkeit bekommen. Anders als Sophie Passmann wollte Giulia Becker aber kein Sachbuch über Feminismus schreiben. Und an einer Geschichte über eine junge Frau allein in der Großstadt hatte sie auch kein Interesse.
"Was mich reizt, sind Dinge zu erzählen, die nicht so oft erzählt werden. Das zehnte Buch über eine junge Frau, die versucht im Medienrummel klarzukommen mit Popmusik und Drogen, das war mir zu langweilig. Und ehrlich gesagt habe ich mit meinen 28 Jahren auch nicht so wahnsinnig viel erlebt, dass ich da viel erzählen könnte. Ich finde es spannend diese Personen, die eigentlich immer durchs Raster fallen, weil sie nicht großartig viele Dinge erleben, deren Geschichte zu erzählen."
Geschichten, die nicht oft gehört werden
Giulia Beckers Debütroman "Das Leben ist eins der Härtesten" erzählt von vier Figuren, die in Borken leben – einem Ort, den die Autorin als Sinnbild einer Kleinstadt in Ostwestfalen bezeichnet. Da ist der stille, angepasste Willy-Martin, der erst beim Online-Kniffel-Spiel richtig aus sich herauskommt. Da ist die alte Frau Göbel, die unter keinen Umständen aus ihrer Wohnung ausziehen will, aber keine Verwandten hat, die sich um sie kümmern. Und da ist Renate, die ihr Leben ganz nach dem Malteser-Mischling Mandarine Schatzi ausrichtet und für die eine Welt zusammenbricht, als das Tier stirbt.
",Mandarine Schatzi, warum hast du mich verlassen? Mein Liebling, mein einziges Kind.' Renate hat eigentlich wirklich ein Kind, einen Sohn, Thorsten, der kein Hund ist. Aber er ist schwul und eigensinnig und passt nicht in eine Handtasche. Renate findet ihn eher unpraktisch. Mandarine Schatzi konnte sie einfach überallhin mitnehmen. Sie war so ein engelsgleiches Geschöpf, immer freundlich, immer aufgeweckt und stets dankbar. Im Gegensatz zu Thorsten hat sich Mandarine Schatzi nie beschwert. Sie hat auch nie wütend Türen geknallt, wenn Renate mal einen Mann mit nach Hause brachte."
Die Figuren in Giulia Beckers Buch kämpfen mit verschiedenen Alltagsproblemen und scheitern immer wieder daran, ein möglichst normales Leben zu führen. So auch Silke Möhlenstedt, aus deren Perspektive Becker erzählt. Silke versucht immer und überall zu helfen, ist viel zu gutmütig und viel zu nett. Das war auch früher schon so, als sie noch mit ihrem Mann Roland zusammen war, für den sie auch viel zu gutmütig und viel zu nett war, über den sie sich nie beschwert hat, obwohl es allen Grund dazu gegeben hätte. Und weil sie es dann doch irgendwann nicht mehr ausgehalten hat, hat Silke in einem Regionalzug die Notbremse gezogen. Eine Kurzschlussreaktion mit Konsequenzen: Roland lässt sich scheiden, Silke muss Schadensersatz zahlen und arbeitet seither Sozialstunden in der Bahnhofsmission Borken ab. Trotzdem ist Silke sehr zufrieden mit ihrem Leben.
"Sie fährt mit dem Rad zur Arbeit und versucht, so viel Kaffee und Wasser wie möglich in der Bahnhofsmission zu trinken, damit sie zu Hause keinen Durst mehr hat. Außerdem verrichtet sie auch ihr morgendliches Geschäft im Büro, das spart eine ganze Toilettenspülung, manchmal sogar zwei. Über die Ausgaben und Einnahmen führt Silke penibel Buch, wenn Renate zu Besuch kommt, gibt es Wasser und Schnittchen. ‚Liebelein, tust du dir denn auch manchmal was Gutes?‘ fragt die dann besorgt, während sie in ein staubtrockenes Käsebrot beißt. Aber Silke geht es so gut wie lange nicht mehr."
Deprimierend realistisch
Von außen betrachtet mag Silkes Leben banal, ja langweilig wirken. Doch sie erfreut sich an kleinen Dingen wie einem Essen bei Willy-Martins Mutter, die in Alkohol getränktes Fleisch serviert, oder der Erfüllung von Frau Göbels letztem Wunsch, einem Ausflug in den Freizeitpark Tropical Islands in Brandenburg.
Giulia Becker beschreibt den Alltag ihrer Figuren in ironischem, spitzzüngigem Ton. Immer wieder lassen alberne Details und Übertreibungen den Leser schmunzeln oder laut loslachen. Dennoch stellt die Autorin ihre Figuren niemals bloß. Denn sie versteht es, nicht die Figuren selbst zu ironisieren, sondern die äußeren Umstände, mit denen sie konfrontiert werden. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, wie gesellschaftskritisch und deprimierend realistisch der Roman eigentlich ist. In "Das Leben ist eins der Härtesten" geht es darum aufzuzeigen, wer in der Gesellschaft Beachtung findet und wer untergeht, wessen Meinung gehört wird und wessen Stimme keine Rolle spielt. Dabei ist es Giulia Becker in erster Linie wichtig,
"dass man Frauen nicht klischeehaft erzählt, sondern mit vielen Facetten, wie sie sind. Und ich hoffe es ist mir gut gelungen, dass ich verschiedene Frauenbilder in das Buch reinbringen konnte und der Fokus nicht auf den Männern liegt, wie in vielen Büchern".
Vor allem macht Giulia Becker deutlich, dass das Privileg des "Gehört Werdens" nicht länger von Äußerlichkeiten abhängen sollte. Um dies zu verdeutlichen, lässt sie sämtliche Figurenbeschreibungen unter den Tisch fallen und Taten für sich sprechen, die wiederum Schlüsse auf die Charaktere ermöglichen. So beschreibt Becker die Figur Renate, indem sie sie nach etwas Passendem zum Anziehen suchen lässt:
Humor als Strategie
"Sie wirft das Kleid entnervt zurück in den Schrank und greift nach der einzigen gewaschenen Alternative, die ihr noch passt: ihrem pinken Bikini. Zurück vor dem Fernseher beschließt sie, neue Kleidung zu kaufen. Das Haus verlassen will sie dafür nicht, das geht ja auch gar nicht, im Bikini, da wird sie nur wieder schief angeguckt. Außerdem ist Renate nicht bereit Menschen zu begegnen, also zieht sie die einzig logische Konsequenz und zappt auf HSE24, einem großen deutschen Homeshopping-Kanal."
Die Alltagsbeschreibungen der Figuren wirken zu Beginn wie Kurzgeschichten mit unabhängig voneinander agierenden Protagonisten. Doch es gibt immer wieder Berührungspunkte der Handlungsstränge, die im Verlauf des Romans mehr und mehr miteinander verwoben werden. Ob kurz und knapp auf Twitter oder über die Länge eines ganzen Romans – Giulia Becker versteht es, mit Witz und Ironie auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Und nicht zuletzt ist Lachen auch eine Möglichkeit, das Leben selbst zu meistern. Das zumindest findet die Protagonistin des Romans Silke:
",Das Leben ist eins der Härtesten', hatte Silkes Oma immer zu ihr gesagt, wenn die Depressionen im Winter wieder schlimmer wurden und ihr nichts anderes mehr übrigblieb, als über die ganze Sache zu lachen. Es war ein verzweifeltes Lachen, ein alternativloses, aber eben auch ein Lachen."