Für Journalisten sei es damals "reizvoll" gewesen, Zeitzeugen zu sein und zu berichten, so Schicha. Doch dann sei "das Ganze völlig aus dem Ruder gelaufen": Journalisten hätten Interviews mit den Verbrechern geführt, ihnen eine Bühne geboten und dabei die Polizeiarbeit behindert.
Am 16. August 1988 überfielen Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner im nordrhein-westfälischen Gladbeck eine Bank und fuhren nach ihrer Tat mit wechselnden Geiseln zwei Tage lang durch Deutschland und die Niederlande. Zahlreiche Medienvertreter folgten ihnen dabei. Drei Menschen kamen ums Leben.
Noch immer Grenzüberschreitungen
Zwar hätten die Medien ihre damalige Rolle inzwischen aufgearbeitet, glaubt Christian Schicha. Eine "Mischung aus Überforderung und Sensationsgier" habe eine "Grenzüberschreitung" zur Folge gehabt, beteiligte Journalisten zeigten sich inzwischen selbstkritisch.
Dennoch sei es noch immer "gang und gäbe", beobachtet der Nürnberger Medienethiker, dass Journalisten Persönlichkeitsrechte verletzen, indem sie beispielsweise nach Amokläufen "Opfer, Angehörige oder Nachbarn behelligen".
Die Opferperspektive berücksichtigen
Die entscheidende Frage laute, so Schicha: "Was hat meine Berichterstattung für langfristige Konsequenzen?" So könne Berichterstattung über Straftäter dazu führen, "dass andere zu Straftaten angeregt werden".
Für Journalisten müsse es immer besonders wichtig sein, die Opferperspektive zu berücksichtigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.