Agnes Obel - oder wie sie sich auf gut dänisch ausspricht:
"My name ist Au-ness Obel"
...ist eine Ausnahmeerscheinung in der Singer-Songwriter-Szene. Ihr Sound klingt ein bisschen wie Minimal Music oder Fingerübungen auf dem Klavier. Sperriges für Musik-Intellektuelle vermutet man aber nur so lange, bis einen die einzigartige Stimme der zurückhaltenden Dänin verhaftet.
Mitte September in Berlin-Neukölln. Agnes Obel stellt ihr neues Album vor. Sie lebt seit zehn Jahren in der deutschen Hauptstadt, spricht im Interview aber doch lieber Englisch. Am Abend gibt Obel ein Konzert mit ihrer Frauenband: Sie an den Tasteninstrumenten, zwei Cellistinnen, eine Perkussionistin. Durchaus ungewöhnlich, die Besetzung - wie auch Thema und Sound von "Citizen of Glass", einer Art Konzeptalbum. Viele Songs handeln vom "gläsernen Bürger". Ein Begriff, der die Musikerin fasziniert.
"Weder im Englischen noch im Dänischen ist mir dieser Ausdruck begegnet. Ich glaube, es gibt ihn nur in Deutschland. Ich mag den Begriff. Er ist schön, fast poetisch. Weil er beschreibt, wie sehr der Einzelne unter Beobachtung steht. Eben so, als wäre er aus Glas. Das ist schön!"
"Wir werden alle dazu gedrängt, uns selbst zu offenbaren"
Nun, ganz so toll findet Agnes Obel das Gläserne, das ja auch ein bisschen das Los des Künstlers ist, nicht. Sie lacht viel im Interview, auch wenn ihre Geschichten traurig und ihre Protagonisten scheu sind. Agnes Obel ist blond und sehr schmal. Ob sie sich selbst als zerbrechlich empfindet? Ja, vielleicht.
"Im Lied "Trojan Horses" versuche ich zu beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn man aus Glas gemacht ist. Wie ich mich fühle, wenn ich aus Glas bestehe. Wie es ist, mich selbst anzuschauen oder wie ich glaube, von anderen betrachtet zu werden."
Wenn Agnes Obel singt, dass ihre nackten Knochen aus Glas bestehen, klingt das so unangenehm, dass man der Sängerin schnell etwas zum Anziehen überwerfen will. Geschichten von zerbrechlichen Seelen, durchsichtige Lügen und der Verlust des Privaten treiben Agnes Obel um. Nicht nur als Künstlerin, die sich im Spiegel der Öffentlichkeit reflektiert, sondern auch als Teil der digitalen Gesellschaft, in der die Menschen ihre Fotos, Videos und Nachrichten in den Sozialen Netzwerken teilen und sich im Internet selbst darstellen.
"Ich glaube, das ist heute nicht mehr nur ein Problem von Musikern oder Schriftstellern - also von Leuten, die hauptsächlich sich selbst als Material benutzen. Es ist ein Problem für jeden von uns. Wir werden alle dazu gedrängt, uns selbst zu offenbaren. Indem wir unsere Autobiografie online stellen und unsere eigene Geschichte erzählen. Es sind Medien entwickelt worden, die uns suggerieren, dass wir das wollen. Es ist interessant, dass heutzutage jeder das Problem hat, ob oder wann etwas zu privat ist."
Einen Klang für das Gläserne finden
"Citizen of Glass" klingt tatsächlich ein wenig anders als Agnes Obels bisherige Werke. Da dominierte das Piano als Instrument, die Dänin bespielte es oft mit fließenden, fast meditativen Figuren. So als wären ihre Lieder Folk-Etüden. Das Fließende blieb auf "Citizen of Glass" erhalten, aber es kommen sehr viel mehr exotische Instrumente zum Einsatz: das Trautonium, ein deutscher 20er-Jahre-Vorläufer des Synthesizers - dazu alte Tasteninstrumente wie Celesta oder präpariertes Klavier. Und die Streicher spielen dazu - sehr viel Pizzicato.
Agnes Obel möchte für das Gläserne einen Klang finden. Aber - wie klingt Glas eigentlich?
"Ich denke an hohe Töne. An etwas, das transparent und reflektierend ist. Etwas Helles und Schönes, das aber auch unbehaglich und hässlich sein kann. Es kann Bilder biegen oder zerstören. Zerbrochenes Glas beispielsweise. Du kannst das Bild erkennen, aber es sieht anders aus als vorher."
Das Zerbrechliche setzt Agnes Obel in ihren Geschichten überzeugend in Klänge um. Ihre Sounds schaffen ein Kunststück: Sie sind gleichzeitig metallisch und sphärisch-warm. Dazu gibt es kunstvoll gewobene Arrangements, Instrumente, die im Pop ungewöhnlich sind und großartige Stimmen. Die übrigens, selbst wenn sie männlich klingen, alle von Agnes Obel stammen und mit Hilfe von Effektgeräten eingesungen wurden. Als Beweis hierfür noch einmal der Refrain des Songs "Familiar", der von einer geheimen Liebesaffäre erzählt. Der Mann ist dabei so geheim, dass er zum Geist im Leben der Frau wird. Ein Geist mit zugegeben schöner Stimme – wie passend für Agnes Obel.