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Glaswerkstatt "Tohu und Bohu"
Social Design mit Schliff

Das polnisch-schweizerische Designerinnen-Duo "Tohu und Bohu" will mithilfe von Arbeitslosen, Obdachlosen und Crowdfunding eine Glaswerkstatt aufbauen. "Kaltes" Recycling von Glas und Besinnung auf altes Handwerk: Sämtliche Parameter sollen in dem "Social-Design-Konzept" bedacht und neu gedacht werden; auch der inzwischen etwas abgedroschene Begriff "Nachhaltigkeit".

Von Peter Backof |
    Auf einem Tisch stehen mehrere recycelte, flaschengrüne Gläser. (Bild von Autor Peter Backof)
    Zu schade für den Container: Glaskunst von Tohu und Bohu. (Peter Backof )
    Es geht zu, wie auf einer Thermomix-Verkaufsparty: Rund zwanzig Gäste besuchen die Produktpräsentation der Designerinnen Tohu und Bohu in Berlin, Prenzlauer Berg. Freunde werben Freunde. Gucken und Testen. Der Ort, ein Häuschen, das sich wie eine Ziehharmonika zusammen- und auseinanderfalten lässt; die "Reh-Hütte", eine Architekturidee aus DDR-Zeiten, trägt zur Brainstorming-Atmosphäre bei: Was ist gutes Design?
    "Wir nutzen das 'kalte' Recycling. Da kommen bei der Glasverarbeitung nur viel Wasser und Schleifgeräte zum Einsatz. Das Einschmelzen, die industrielle Wiederaufbereitung, lassen wir aus",
    erläutert Daria Wartalska. Sie ist wie Prisca Wüst 30 Jahre alt. Zusammen sind sie Tohu und Bohu. Auf Tischen ausgestellt ist die Produktpalette, ein komplettes Service, vom Eierbecher bis zur Teekanne. Man erkennt sofort die Transformation - von Bierflaschen, wie sie auch die Partygäste in der Hand halten, zu Gläsern, Vasen, Whiskeykrügen. Ein an die Wand gebeamtes Werkstattvideo demonstriert: Beim 'kalten' Recycling ist Gehörschutz unverzichtbar.
    Transformation von Bierflaschen
    "In Polen, woher jetzt diese Gläser stammen, gibt es eigentlich auch kein Pfand oder kein Recycling. Da wird eigentlich alles in den Müll geworfen",
    sagt die Schweizerin Prisca Wüst. Daria relativiert:
    "Ja doch, es gibt schon Container, aber nicht sehr weitverbreitet. Für Polen gesprochen geht es um das Etablieren von Recycling. Und für Deutschland wollen wir die Produktion wieder aus den Fabriken hervorholen."
    Prisca Wüst: "Es ist eine Werkstatt, die wir am Aufbauen sind mit einem Künstlerkollektiv aus Breslau. Ziel war, dass wir ein Modell ausprobieren, auch mit obdachlosen Menschen oder mit Menschen, die jetzt keine Arbeit haben. Und dann, in einfachen Prozessen, beginnend mit Glasproduktion, eigentlich selber herzustellen."
    "Arts and Crafts Movement"
    Produktion, etwas marxistisch, wieder "zurück" zu "entfremden"? Oder, wie William Morris im England des 19. Jahrhunderts mit seinem "Arts and Crafts Movement", die Menschen durch Handwerk dem Leben näher zu bringen? Prisca und Daria nicken zustimmend. An so etwas hatten sie gedacht. Aber können Arbeitslose und Obdachlose mit solchen Konzepten etwas anfangen? Und kann die Glaswerkstatt mit möglicherweise alkoholisierten Obdachlosen etwas anfangen? Noch einmal zurück zur Theorie:
    Prisca Wüst: "'Housing First', eine Theorie, die aus New York kommt: 'Housing First' heißt, dass man Menschen, die einmal aus dem System rausgefallen sind, zuerst ein Heim zur Verfügung stellt, also ein Haus. Und dass diese Menschen dann selbst wieder Verantwortung übernehmen."
    Das hat also etwas von dem Vertrauensvorschuss, den man bei der Einführung eines Grundeinkommens gewähren müsste. Wie würde das bei der Glaswerkstatt in Berlin konkret gehen? Ohne festen Stundenlohn? Beteiligung am Direktverkauf der gerade fertigen Produkte wäre eine Lösung. Oder doch eine staatliche Förderung? Arbeitsrechtlich ein Experimentierfeld. Daria Wartalska hat es pilotweise in Breslau ausprobiert und fühlt sich ermutigt.
    "Nachhaltiges Glashandwerker-Know-how"
    Auf der Präsentationsparty sind indes keine Obdachlosen. Seit drei Wochen erst läuft ein Spendenaufruf via Crowdfunding.
    Daria Wartalska: "Wir fragen nach 15.000 Euro. Und haben jetzt 5000 zusammen."
    Für die Miete einer Werkstatt und für Werkzeug. Es ist ein Zukunfts-Experiment. Darüber vergisst man fast, dass die Designs auch ästhetisch ganz frisch sind. Und für manches Stück wird altes Glashandwerker-Know-how gebraucht und eingebunden; was dann zum Erhalt traditioneller Betriebe beiträgt. Den Designerinnen geht es um mehr als das Etablieren ihrer Marke, das ist zunächst klar erkennbar.
    Prisca Wüst: "Wir sind auch noch am Brainstormen, wie man das jetzt nennt. 'Nachhaltigkeit' ist so ein gebrauchter Begriff. Ob das jetzt Smart Design ist, oder intelligentes Design? - Dass man alles einbezieht."