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Glatt an der Höchststrafe vorbei

Die Duisburger Kraftzentrale mit ihren gewaltigen Dimensionen ist der Schauplatz für Lemi Pontifasios "Prometheus"-Interpretation - einer modernen Vermarktung mythischer Ritualisierung.

Von Frieder Reininghaus |
    Es ist vielleicht verständnisfördernd, sich gelegentlich in Erinnerung zu rufen, dass die Ruhrtriennale nicht um des innovativen Musiktheaters willen ins Leben gerufen wurde. Die Gründung des performativen Festivals in Industriebrachen des 19. Jahrhunderts zu Beginn des 21. erfolgte vornehmlich zu Zwecken der neuen Nutzung von steuerlich und überhaupt abgeschriebenen Industrieimmobilien rechts und links des Niederrheins. Im Sinn dieser originären Zweckbestimmung hat Heiner Goebbels seine Leitungstätigkeit im Raum Duisburg-Bochum-Gelsenkirchen konsequent begonnen

    Auch bei der Aufbereitung von Carl Orffs in "ältester mythischer Zeit" angesiedeltem "Prometheus" durch den von der Insel Samoa stammenden Philosophen und Theatergruppenleiter Lemi Ponifasio wurde vorrangig ein Raum gezeigt. Eine ruhige Rauminstallation bildet die dominierende Basis der "Kreation": Vor einer hohen seitwärtigen Empore, auf der das Orchester postiert ist, unter einer langen und zeitweise metallglänzenden Wand mit unregelmäßig gehämmerter Struktur erstreckt sich eine spiegelglatt polierte dunkle Fläche in die Tiefe des Raums, die von unten zu erleuchten ist. Auf ihr wartet der singsprechende Prometheus auf einer harten Bank, die aussieht, als wäre sie aus Stein. Weit hinten steht zeitweise eine Metall-Liege für einen Prometheus-Mimen zu Verfügung, der auch mit Wasser überschüttet wird. Ansonsten glänzt die Leere, die durch sehr ruhiges Schreiten einer Handvoll solistischer Singsprecher und der blond uniformierten Choristinnen vom ChorWerk Ruhr zelebriert wird.

    Aischylos ließ in seiner theatralen Anordnung die "Strafe am Fleisch" verhandeln: Da spricht vor allem einer, der sich gegen emporgekommene neue Götter empörte, deren endliche Herrschaft und physisches Ende sich allerdings abzeichnet. Man kann den Text als Kommentar auffassen, der dem Aufklärer Prometheus ein Denkmal setzt: einem, der für die von ihm selbst und aus seiner Sicht dargestellte Unterstützung des Menschheitsfortschritts mit mehr als der Höchststrafe büßen muss. Ergänzt wird die äußerlich undramatische "Handlung" durch die Klage und Anklage der in eine Kuh verwandelten Io Inachis bezüglich der sexuellen Nachstellungen durch den Parvenü Zeus und dessen dauerhaft eifersüchtige Gattin Hera.

    Die Partie ermöglicht Brigitte Pinter, eine große Palette stimmlicher Optionen vom trockenen Sprechen über das Deklamieren und Rezitieren bis zur kantablen Linie eines Arioso und wild-zerklüfteter Gesangs-Lineatur vorzuführen. Ein mindestens ebenso großes Kompliment soll an den Prometheus gehen: an Wolfgang Newerla, der eine gewaltige Menge altgriechischen Textes absolvieren muss und dies über weite Strecken mit großer referierender Gelassenheit tut. Indem der Zeremonienmeister Ponifasio die Schönheit der altgriechischen Sprache unbedrängt von Regie-Einfällen zum Zug kommen lässt, entfaltet das (rhythmisch von seitwärts oben unterstützte) Sprachmelos sein dunkles Raunen. Es will 'Magie' suggerieren. Zu argwöhnen bleibt, dass selbst regelmäßig trainierende Altphilologen den metaphernreichen und mit elaborierten Satzverschränkungen operierenden Aischylos-Text nicht verstanden haben dürften. In Duisburg zeigten sich keine Obertitel, noch nicht einmal irgendwelche szenischen "Spickzettel" in der kühl möblierten und modisch schick kostümierten Welt zwischen Hephaistos dem Schmied und David Bennent als Hermes. Nein, auf Sinn und Verständlichkeit zielte hier nichts. Es ging darum, regressive Ritualisierung als modern zu vermarkten. Es scheint, als wäre die Rechnung aufgegangen.