Christiane Florin: "Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen", das sagte einmal die SPD-Legende Herbert Wehner, nachdem Abgeordnete unter Protest den Saal verlassen hatten. Diese Weisheit mag für den Deutschen Bundestag gestimmt haben. Für die Kirchen stimmt sie nicht. Rund 210.000 Protestanten und 180.000 Katholiken kündigten im vergangenen Jahr ihre Mitgliedschaft auf, aus Protest oder aus Desinteresse, die allermeisten von ihnen kehren wohl nicht wieder. Es gibt allerdings Wege zurück. Ein Gespräch mit dem Pfarrer, eine Teilnahme am Abendmahl und vor allem eine gründliche Gewissensprüfung sind dafür die Voraussetzung, wieder in die evangelische Kirche aufgenommen zu werden. Wer wieder katholisch sein will, muss in einer Zeremonie erklären, dass er den Austritt bereut, der Priester erteilt dann die Absolution von der Exkommunikation. Exakt 6.474 Wiedereintritte verzeichnete die katholische Kirche 2015.
Unser Studiogast Nina Achminow gehört zu dieser seltenen Spezies. Sie ist katholisch getauft, trat später nach reiflicher Überlegung aus der Kirche aus und kehrte, auch nach reiflicher Überlegung, wieder zurück. Über ihren Weg hat sie ein Buch geschrieben. "Gott - glaube ich" heißt es, mit Gedankenstrich zwischen "Gott" und "glaube". Im Hauptberuf ist sie Inspizientin am Berliner Renaissance-Theater und aus Berlin ist sie uns jetzt auch zugeschaltet. Guten Morgen, Frau Achminow.
Nina Achminow: Guten Morgen, Frau Florin.
Florin: Und mit ihr im Berliner Studio ist Niels Reinhard, 27 Jahre alt, Unternehmensberater. Er hat vor zwei Monaten ein Start-up gegründet, das bei den Formalitäten eines Kirchenaustritts hilft und die Nutzer dazu verpflichtet, die gesparte Kirchensteuer an Hilfsorganisationen zu spenden. Mit dem Slogan "Kirchenaustritt leicht gemacht" und der Website Dein-Kirchenaustritt.de will er eine Diskussion über den freiheitlichen Charakter des Glaubens anstoßen. Eine solche Diskussion wollen wir auch jetzt im Deutschlandfunk führen. Guten Morgen, Herr Reinhard.
Niels Reinhard: Hallo und guten Morgen.
Florin: Frau Achminow, Religion hat ja in Ihrem Leben immer schon eine große Rolle gespielt. Ihr Vater war Nachfahre eines russisch-orthodoxen Priesters, selbst aber nicht getauft. Ihre Mutter, eine Katholikin aus den Niederlanden, hat sie katholisch erzogen. Was hat Sie so erzürnt, dass Sie während des Pontifikats von Johannes Paul II. beschlossen haben: Dieser Kirche will ich nicht mehr angehören?
Achminow: So eine Riesenrolle hat Religion nicht gespielt, außer dass wir natürlich von unsere Priester-Ahnenschaft wussten und auf die amüsiert stolz waren. Aber wir sind nicht sehr geschlossen katholisch aufgewachsen. Das Wissen um die Orthodoxen war eher ein Wissen, dass Dinge wie der Zölibat in der einen Kirche existieren und in der anderen Kirche halt nicht. Die Kirche war eigentlich immer ein unkompliziert offener Raum in der Kindheit, in der Jugend. Das war relativ kurz nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, und da ging eine gute Stimmung durch die Gemeinde, in der ich aufwuchs. Und was mich erzürnt hat, ja; es war sicherlich eine allgemeine Entfremdung, wie sie sehr typisch ist. Man wird erwachsen, es gibt andere Schwerpunkte, man zieht mehrfach um, hat keine direkten Kontakte mehr. Aber wenn ich daran denke, dann sehe ich ein Bild, eine junge Frau aus der katholischen Jugendarbeit, die in München beim Papstbesuch 1980, da war ich 17, Fragen stellt, die auch die meinen hätten sein können.
Florin: Zur Sexualmoral hauptsächlich.
Achminow: Ich denke, das war das damals. Ich habe mir den Inhalt gar nicht gemerkt. Es war nur so: Sie hat Fragen gestellt und der Papst hat nicht geantwortet. Und es gab eine Unruhe und dann ging man zum Protokoll über und später hieß es, sie sei vom Protokoll abgewichen. Und dann hieß es, die Fragen seien angemeldet gewesen, seien aber irgendwo in der Organisation untergegangen. Wie auch immer, dieses Bild, das ich damals nur so halbbewusst gespeichert habe, das hat sich für mich verfestigt in dem, was ich dann von der Kirche noch mitbekommen habe, was ich noch gesehen habe, welche Gespräche ich noch wahrgenommen habe. Und irgendwann, sehr viel später, habe ich relativ kurz entschlossen gesagt: Nein, ich gehe raus. Ich bin zum Amtsgericht gegangen, das ist ja ein recht einfacher Vorgang, habe gesagt: Ich möchte aus der Kirche austreten. Und die Frau hat mir den Zettel hingehalten und hat gesagt, ich müsse hier unterschreiben und damit könne ich dann meine Steuerkarte ändern lassen. Und ich dachte: Na schön, es interessiert sich ja keiner dafür, warum ich eigentlich austrete.
"Die soziale Infrastruktur soll nicht geschwächt werden"
Florin: Herr Reinhard, "Kirchenaustritt leicht gemacht" heißt Ihr Werbespruch. Nun haben wir gerade von Frau Achminow gehört, so schwer ist es ja nicht, aus der Kirche auszutreten. Man geht entweder zum Amtsgericht oder zum Standesamt. Also wem wollen Sie diesen Schritt leicht machen?
Reinhard: Genau, richtig. Das ist aber eigentlich auch das größte Problem, dass man physisch auftauchen muss bei der jeweils zuständigen Behörde. Wir kennen das alle aus unserem Alltag: Sobald wir einen Behördentermin wahrnehmen müssen, schieben wir diesen gerne auf. Das heißt, viele Leute wissen zunächst erst einmal gar nicht, wie dieser Prozess abläuft. Diese Information stellen wir bereit, das heißt, wir liefern Informationen über die Öffnungszeiten von den Amtsgerichten, von den Standesämtern, die zuständig sind dafür, sagen auch, wie hoch die Austrittsgebühr ist, welche sonstigen Bedingungen beachtet werden müssen. Und sobald das der Fall ist, können diese Personen das dann selbst durchführen. Den Schritt können wir leider nicht erleichtern, da sind die Regularien relativ klar definiert.
Florin: Meinen Sie, viele sind nur noch in der Kirche, weil sie zu bequem sind, diesen letzten Schritt zu tun, die Formulare zu beantragen und dann zur Behörde zu gehen?
Reinhard: Das kann ich sicherlich nicht gesamtheitlich bewerten. Ich kenne aber schon viele Personen aus meinem Freundeskreis und erweiterten Bekanntenkreis, die durchaus der Meinung sind oder bei sich selbst beobachtet haben, dass sie einfach nur zu träge sind, um diesen Schritt durchzuführen. Man ist sich auch gar nicht so bewusst, dass man natürlich im Hintergrund relativ viel Kirchensteuer weiterhin zahlt, die sonstigen Dienstleistungen der Kirche aber eigentlich auch gar nicht mehr in Anspruch nimmt.
Florin: Nun verbinden Sie diesen Austritt damit, dass diejenigen, die Ihre Dienste in Anspruch nehmen, sich verpflichten, an eine Hilfsorganisation, an eine Nichtregierungsorganisation zum Beispiel, zu spenden. Spüren Sie bei Ihren Kunden ein schlechtes Gewissen, dass sie sagen: "Wenn ich nicht mehr Kirchensteuer bezahle, dann werden ja auch einige Sachen, die ganz gut sind, zum Beispiel im Bereich der Caritas und der Diakonie, nicht mehr mit meinem Geld unterstützt und deshalb möchte ich eben auf anderem Weg etwas spenden?"
Reinhard: Ob das ein schlechtes Gewissen ist, das weiß ich gar nicht so sehr. Aber ich glaube, die Resonanz, die wir in diesen bisherigen Monaten bekommen haben, bestätigt uns eigentlich darin, dass viele Leute schon der Meinung sind, dass sie einen Beitrag zur sozialen Infrastruktur leisten wollen. Wir wollen mit unserem Angebot Dein-Kirchenaustritt.de dazu beitragen, dass die 450.000 Kirchenaustritte pro Jahr nicht dazu beitragen, dass die soziale Infrastruktur in Deutschland geschwächt wird und wollen in dem Moment, wo sich die Person schon entschieden hat, die Kirche zu verlassen, einfach Informationen darüber bieten, wie man an eine Hilfsorganisation spenden kann, an welche Hilfsorganisationen man auch vor allen Dingen spenden kann. Und auch da merken wir bei vielen Leuten, dass sie sich noch ein bisschen informieren wollen und nachfragen, welche Hilfsorganisationen beispielsweise bestimmte Zwecke unterstützen.
"Weg aus dem Schneckenhaus"
Florin: Frau Achminow, das Band zwischen Ihnen und der Kirche ist nie richtig durchtrennt worden. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie am Gottesdienst teilgenommen haben, dass Sie auch die Kommunion empfangen haben, obwohl es verboten ist. Hatten Sie ein schlechtes Gewissen dabei?
Achminow: Erst mal überhaupt nicht. Ich bin ab und an in der Messe gewesen und ich hatte das Gefühl, wenn ich zur Kommunion gehe, das ist wie ein Weg aus meinem Schneckenhaus, mich mehr zu trauen, überhaupt noch.
Florin: Und wer oder was hat dazu geführt, dass Sie dann gesagt haben, Sie möchten nicht nur in den Gottesdienst gehen, sondern Sie möchten auch wieder "zahlendes Mitglied" dieser Kirche sein?
Achminow: Naja, das "zahlende Mitglied" … Ich habe gespendet, weil mich der Kirchensteueraspekt tatsächlich auch geärgert hat. Der Gedanke, dass ich durch den Kirchenaustritt das Geld der Kirche, die ich ja eigentlich gut finde, vielleicht der Nachbargemeinde, entziehe. Aber der Weg war dann ein ganz anderer: Ich habe eine Kind bekommen, eine Tochter. Es war für mich nie ein Zweifel, dass ich meiner Tochter die Chance geben möchte, im Glauben aufzuwachsen, den Glauben kennenzulernen. Und die Frage war, wie mach ich das? Und dann habe ich gefragt, ob dieses Kind getauft werden könne, obwohl ich nicht wieder eintreten will, weil die Fragen für mich noch nicht geklärt sind. Ich hatte ein langes Gespräch mit einem Priester und dann wurde mein Kind getauft, ohne dass ich wieder eintrat. Dann habe ich sie begleitet und viele gute Erfahrungen gemacht mit ihrem Aufwachsen, mit dem Raum, den die Kirche bietet, über Dinge zu sprechen.
Ein Beispiel wäre, sie besucht eine katholische Schule und es passierte recht plötzlich, dass in der Schulklasse ein Vater gestorben ist. Und ich war an dem Tag als Lesepatin in der Klasse und da kam diese Hammernachricht rein. Und dann sind wir mit der Klasse in die Kapelle gegangen und haben gebetet und den Kindern Raum gegeben, ihre Gefühle zu äußern. Wunderschön und heilsam und tröstlich. Es ist so viel Kostbares in diesen entwickelten Ritualen und Formen. Ja. Und dann war das Kind acht und es wurde Zeit für die Erstkommunion und das heißt, wir mussten ja jetzt irgendwo hin gehen. Ich musste eine Gemeinde suchen. Und dann habe ich einerseits die Warmherzigkeit in dieser Gemeinde erlebt und andererseits eben auch erlebt, dass man die Dinge weniger entspannt sehen kann, als ich das tue. Gerade beim Thema des Kommunionsausschlusses. Wir lernten ja die Kinder kennen, gleichaltrig, und die Kinder hatten Eltern und manche dieser Elternpaare waren gültig katholisch verheiratet und andere Elternpaare waren nicht gültig katholisch verheiratet und hätten, wenn sie es ernst nehmen, nicht mit zur Kommunion hinzutreten dürfen.
"Ich hab zu streiten angefangen"
Florin: Und sind sie mit hinzugetreten?
Achminow: Ich?
Florin: Nein, nicht Sie, sondern die Eltern, die, wie Sie sagten, nicht gültig katholisch verheiratet waren.
Achminow: Das habe ich nicht beobachtet, aber ich habe zu streiten angefangen. Ich habe gesagt, ich möchte wissen, wie das gemeint ist, was dahinter steht. Und auch die Frage gestellt, was ist mit mir? Darf ich hinzutreten? Will ich das überhaupt? Was bedeutet es mir, was bedeutet Glaube, was bedeutet die Institution? Und dann habe ich erst mal im Internet und dann in unendlich vielen Büchern und dann in Gesprächen versucht herauszufinden, was es mir bedeutet, wie ich dazu stehe und ob ich "ja" sagen kann zu dieser Institution und warum ich das tue.
Reinhard: Das, was Sie gerade sagen, ist eine relativ wichtige Unterscheidung zwischen Glaube und Institution in dem Sinne. Es ist ja so, dass die Kirchenaustritte nicht einmal dazu führen, dass es weniger Kirchensteuereinnahmen gibt für die katholische Kirche, bzw. für die Kirchen als Gesamtheit, weil natürlich die Kirchensteuer an das Einkommen der jeweiligen Personen gekoppelt ist und bei einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung steigt dem entsprechend auch die Kirchensteuer.
Achminow: Jaja, das wissen wir ja.
Reinhard: Genau. Bitte lassen Sie mich kurz ausreden. Was das Problem dabei dann ist, dass die Institution als solche natürlich diese Kirchenaustritte gar nicht mal so negativ wahrnimmt, in dem Sinne. Wenn es einen größeren negativen Einfluss hätte, dann würde man vielleicht auch wieder den Schwerpunkt darauf legen, in solchen Situationen, wie Sie sie ansprachen, dem Sterbefall oder eben sonstigen Situationen, dass man dort eben dann bessere …
Achminow: Entschuldigung, nein, das ist falsch! Entschuldigung, das ist falsch. Nach meiner Erfahrung ist das falsch. Ich habe die Dienstleistung, von der Sie sprechen, erlebt und ich wurde nicht gefragt, ob ich Mitglied bin. Man hat mich nicht gefragt, ob ich meine Steuer abdrücke. Man ist mir entgegengetreten mit Offenheit und mit Freundlichkeit. Ich hatte geistliche Begleitung, also ein Priester, mit dem ich viele Gespräche geführt habe. Und die wirklich spannende Erfahrung dabei war ja, dass ich alle diese zornigen Fragen, die ich von außen auf die Kircher draufprojiziere - auf diese Kirche jetzt, die katholische, die meine - dass diese Fragen innerhalb der Kirche durchaus diskutiert werden und diskutiert werden dürfen.
Und ich habe gemerkt, dass es mein eigenes Grollen ist, das das ich bei anderen ausgetretenen Eltern im katholischen Umfeld natürlich auch gemerkt habe. Da wird dann immer gestänkert: die Kirche, die Kirche. Dass das innerhalb der Kirche ausgesprochen werden kann, und die Tatsache, dass Geld reinkommt, weil die Leute besser verdienen, ja. Nur ich finde, man zäumt es vom falschen Ende auf, wenn man so fragt, wenn man sagt, die Dienstleistung, zum Beispiel die heilige Messe am Sonntag, die gehörte Beichte, das getaufte Kind, die schöne Feier. Das ist nicht der Punkt. Wenn ich jetzt anschaue, beispielsweise die Telefonseelsorge, das ist das erste Beispiel, das mir einfällt in dem Zusammenhang, die wird zu starken Mitteln, ich konnte jetzt nicht herausfinden, wie genau, durch Kirchensteuer mitfinanziert. Die Ehrenamtlichen, die da arbeiten, das sind Gläubige, das sind auch Ungläubige. Aber die Struktur, die entwickelte Struktur, die aufgebaut worden aus kirchlichen Zusammenhängen mit kirchlichen Mitteln.
Reinhard: Ich bin da absolut bei Ihnen. Und ich glaube, mein Punkt ist einfach der, dass es die Aufgabe der Kirche in dem Moment sein sollte, eben genau das zu kommunizieren, dass die Kirche für alle offen ist in diesen Situationen, in Situationen, die für alle Menschen, von der Geburt bis zum Sterbefall, relevant sind. Lebenssituationen, Änderungen. Dass dort die Kirche Antworten bieten kann und, wenn Sie es ja schon sagen, dass es überhaupt Problematik war, dass bestimmte Sachen nur für Gläubige in Anspruch genommen werden können, dann ist das ja das essentielle Problem, dass das eben nicht der Fall sein sollte.
Achminow: Das ist nicht Nicht-in-Anspruch-nehmen-Können, sondern das ist ein theologisches Problem, die Frage, ob man zur Kommunion hinzutritt, ist eine theologische Frage, keine organisatorische. Selbstverständlich kann ich da hingehen. Übrigens, ich bin auch nie weggeschickt worden, auch nicht von Priestern, die wussten, dass ich ausgetreten bin.
Florin: Herr Reinhard, Sie waren ja selbst Messdiener. Ihre Eltern sind kirchlich engagiert, Ihr Onkel ist Theologieprofessor. Was sagt Ihre Verwandtschaft zu dem Angebot "Dein Kirchenaustritt"?
"Die Kirchensteuer trägt zur Trägheit der Institution bei"
Reinhard: Grundsätzlich finden sie es erst mal gut, dass ich etwas in diese Richtung unternehme. Trotz des Engagements meiner Familie in der Kirche, das ich auch sehr zu schätzen weiß, ist es so, dass durchaus kritisch mit der Institution als solcher umgegangen wird. Ich kenne das von meiner Mutter, die verschiedene Initiativen auch in der Gemeinde anstoßen wollte und da immer wieder gegen Wände gerannt ist und sie auch gefragt hat: Warum mache ich das hier eigentlich? Ich bin so engagiert, ich möchte verschiedene Initiativen anstoßen. Sodass ich glaube, dass ein kritischer Umgang damit, mit der Institution Kirche als solcher, durchaus gewünscht ist. Und ich glaube, gerade nachdem wir unser Angebot gestartet haben, haben wir verschiedene Rückmeldungen auch bekommen. Und eigentlich ist das auch sehr bestärkend, weil das Thema Kirche ist für viele Leute immer noch sehr, sehr relevant. Aber die Kirche schafft es nicht, darauf irgendwie aufzubauen und Sie, Frau Achminow, sprachen ja eben auch schon die Telefonseelsorge an. Da wäre es beispielsweise auch an der Kirche auch diese Angebote auf neue, moderne Technologien umzusatteln, beispielsweise SMS-Services und so weiter anzubieten.
Florin: Stimmt nicht, digitale Angebote gibt es. Aber noch mal, Herr Reinhard: Was stört Sie am Kirchensteuersystem so sehr, dass Sie sagen, es wäre besser, wenn jeder selbst entscheiden kann, an welche Organisation er spendet?
Reinhard: Ich glaube grundsätzlich, dass die Kirchensteuer, so wie sie aktuell entrichtet wird, zur Trägheit der Organisation beiträgt, zur Trägheit der Kirche. Ich glaube, dass die Kirche optimistisch sein sollte, zuversichtlich sein sollte, dass die Gläubigen, so wie sie aktuell sind, auch einen freiwilligen Beitrag leisten wollen, um diese Institution als solche zu unterstützen, die ihnen einen Halt im Leben gibt. Das mit einer Kirchensteuer, die mehr oder weniger im Hintergrund abgerechnet wird, zu tun, führt meiner Ansicht nach zu einer Trägheit der Organisation, die eben nicht dazu führt, dass man sich permanent damit auseinandersetzen muss, wie kann ich weiter eine Relevanz im Leben vieler Leute spielen.
Achminow: Es führt allerdings auch dazu, dass zum Beispiel die langweiligen Hintergrunddinge, der Alltag ebenfalls mit abgedeckt wird. Wenn es nämlich nur eine Spendensache ist, dass man sagt, ich spende jetzt für das soziale Projekt, was ich richtig wichtig finde, dann fallen die alltäglichen, notwendigen Dinge weg, die eben mit der Kirchensteuer auch finanziert werden. Und Telefonseelsorge ist ja übrigens nicht primär kirchlich. Aber es ist eben etwas, wo von der Kirche Mittel hin fließen.
Achminow fühlt sich als kritische Katholikin willkommen
Florin: Frau Achminow, in Ihrem Buch steht unter anderem, dass Sie sich darüber geärgert haben, dass die Rolle der Frau in der Kirche nicht diejenige ist, die ihr wirklich entspricht. Dass die Kirche eine Männerdomäne ist, noch dazu eine Domäne alter Männer. Nun hat sich daran nicht wirklich etwas verändert. Franziskus hat in der vergangenen Woche noch mal die Ablehnung der Frauenweihe, die schon Johannes Paul II. ausgesprochen hatte, bestätigt. Fühlen Sie sich jetzt als kritische Katholikin willkommen?
Achminow: Oh ja, absolut.
Florin: Haben Sie gar nicht erwartet, dass sich substantiell etwas verändert, geht es nur um die Stimmung?
Achminow: Die Frage ist nicht, ob etwas, was durch eine jahrhundertealte Tradition, aus meiner Sicht, festgefahren ist, geändert werden kann, in der Form, dass der in der bis jetzt männliche Gemeindepriester durch den weiblichen Gemeindepriester ersetzt wird oder ergänzt wird. In welcher Weise sich die Kirche entwickeln wird, da gibt es ja sehr unterschiedliche Weisen: Frauen sind in der Seelsorge tätig, Frauen sind in Leitungspositionen tätig, die Kirche hat da, glaube ich, eine bessere Bilanz als die DAX-Unternehmen. Und vielleicht wird in Zukunft die Zentralfigur des Gemeindepriesters nicht mehr so wichtig sein. Aber der wesentliche Punkt für mich ist, dass ich mich nicht auf das fokussiere, was die Kirche in meinen Augen falsch macht, und bei der Gelegenheit übersehe, wie unendlich viel sie richtig macht, gut macht. Was für ein gigantisches Angebot, was für ein Erbe, das ja weggeworfen wird, wenn wir es den Kindern nicht mehr weiter geben, um das ist es schade und um diese vielen spirituellen Traditionen, die es gibt. Mein Beispiel ist immer … für mich war immer diese ignatianische Tradition, Spiritualität unglaublich erhellend. Anderen Leuten ist das zu intellektuell, die sind vielleicht an ganz anderen Orten der Kirche unterwegs und fühlen sich da aufgehoben. Es ist ein gigantischer Reichtum, es ist ein großes Erbe. Und um das ist es schade.
"Austritte als Chance begreifen"
Reinhard: Lassen Sie mich da vielleicht noch einmal kurz den Bogen spannen zu dem, was sie auch am Anfang sagten, dass bei Ihrem Kirchenaustritt nie jemand gefragt hat, warum Sie eigentlich austreten wollen. Da ist doch wieder genau so ein Punkt, dass wenn wir dieses Erbe oder diesen unglaublichen Wert, den die Kirche und auch der Glaube für Menschen bieten kann, wenn wir das nicht leichtfertig wegwerfen wollen, dann wäre es Aufgabe der Kirchen, da eben anzusetzen. Wie jedes andere, und diesen Vergleich wollte ich nicht unbedingt bringen, Unternehmen guckt natürlich auch: Warum verliere ich meine Kunden? Wie kann ich das besser machen, was ich mache, was mein Kern ist? Und ich glaube, wenn man da eben diese 450.000 Austritte auch als Chance begreift und schaut, warum treten diese Leute denn aus und wie kann ich vielleicht das, was ich aktuell mache, besser machen, dann wären wir vielleicht wieder auf dem richtigen Weg, um mehr als aktuell 6.000 Wiedereintritte zu bekommen.
Florin: Das heißt, Herr Reinhard, Sie wollen eigentlich auch die Kirchen reformieren und setzen da beim Hebel des Geldes an?
Reinhard: Ich glaube, das ist jetzt sicherlich nicht mein großes Motiv, mit dem ich hier durch die Welt fahre. Aber es ist auf jeden Fall so, dass ich glaube, dass man sich damit auseinandersetzen soll und dass jeder, der schon mal ein Unternehmen geleitet hat, in dem Sinne, weiß, dass das essentielle Fragen sind. Und wenn ich mich nicht damit beschäftigen muss, ob ich Kunden habe oder ob ich keine Kunden habe, sondern mich mit ganz anderen Sachen beschäftige, dann bricht irgendwann das Geschäftsmodell weg. Das auf den Glauben, bzw. auf die Kirche als solche zu übertragen, ist sicherlich etwas kritisch und nicht eins zu eins machbar, aber ich glaube, man kann durchaus Inspiration daraus ziehen. Vor Kurzem hat das Erzbistum Köln einen interessanten Hack-Fond organisiert. Einen Hacker-Fond, wo junge Software-Developer neue, ich sage mal, Konzepte entwickeln sollten, die es der Kirche besser ermöglichen, im 21. Jahrhundert ihre Mitglieder zu behalten. Wenn so etwas schon passiert, dann denke ich, darf auch die Debatte gestartet werden, ob nicht weitere Inspiration aus weiteren Feldern gezogen werden kann.
Florin: Meine letzte Frage geht an Sie, Frau Achminow. "Wer glauben will, muss zahlen", ist das eigentlich der richtige Grundsatz? So ist es ja in Deutschland.
Achminow: Das stimmt doch nicht. Erstens stimmt das nicht. Zweitens mal, das, was ich zahlen muss, ist jetzt bei meinem niedrigen Theatergehalt wesentlich weniger, als ich auf der Straße für Straßenmusiker spende. Naja, nicht wesentlich. Wir geben doch alle Geld auch für gute Zwecke. Das wesentliche an der Kirchensteuer ist doch nur, dass sie in einer fairen Weise wirklich am eigenen Einkommen dran hängt und dass derjenige, der kein Geld hat, nicht zahlt. Und dass die Projekte eben nicht davon abhängig sind, ob jetzt die reichen Leute was gegeben haben und die Reichen die Projekte, diese Dinge gut finden. Es ist nicht so, dass die wohlhabenden Diözesen die tolle Kirche haben und die anderen Gemeinden haben nicht mal einen Pfarrer, sondern das wird aufgeteilt. Das ist fair.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.