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Glaube und Bildung beim Religionsphilosophen Romano Guardini
"Nicht nur das Herz, auch der Geist soll beten"

Romano Guardini war einer der wichtigsten christlichen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts - ein Universalgelehrter. Der Kern seines Denkens: ein ganzheitliches Bildungsideal. Er schrieb über Heidegger oder Micky Maus. Seine Sätze konnten kurz sein: "Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen."

Von Burkhard Schäfers |
Eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von Romano Guardini im Profil
Romano Guardinis Theologie war nah am Menschen (Katholische Akademie in Bayern)
"Wissen stand ursprünglich im engsten Zusammenhang mit dem Religiösen. Es war göttliche Belehrtheit, Weisheit. Und es war magische Macht." (Romano Guardini)
Helmut Zenz, Guardini-Forscher, ordnet den vielbeachteten Denker so ein:
"Er war auf jeden Fall ein Universalgelehrter noch fast des alten Schlages, also sehr umfassend interessiert. Er war ein sehr kirchlicher Mensch. Aber nicht in einem konservativ engen Sinne, sondern er wollte in einem pädagogisch-bildnerischen Sinne die Kirche wieder attraktiver machen für junge Menschen, für Studenten, für Akademiker, die gerade am Beginn des 20. Jahrhunderts an Kirche und Autorität verzweifelt sind".

"Katholisch, aber auch sehr liberal"

Geistlicher Mentor, glaubwürdiger Erzieher, liturgischer Erneuerer: Romano Guardini, geboren 1885 in Verona, aufgewachsen in Mainz. Prägende Gestalt der katholischen Jugendbewegung. Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils. Priester, Professor, Pädagoge: Guardini lebt aus dem christlichen Glauben – wirkt aber weit über den religiösen Kosmos hinaus. Er hinterlässt Spuren in Kirche und Wissenschaft, in der Jugendarbeit, in Politik und Gesellschaft. Kern seines Schaffens ist ein ganzheitliches Bildungsideal.
"Und, meine Damen und Herren, wir sind doch hier, um tiefer zu fragen als die Oberflächlichkeit. Was geschieht zwangsläufig mit dem Geist der Wissenschaft, wenn er in den Herrschaftsbereich des Geistes des Nutzens kommt?"
Helmut Zenz steht vor der katholischen Akademie Bayern und blickt freundlich in die Kamera
Helmut Zenz beschäftigt sich intensiv mit Werk und Wirken Romano Guardinis (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
Guardini stammt aus einer Kaufmannsfamilie und hat drei jüngere Brüder. Ein Jahr nach seiner Geburt in Italien siedelt die Familie über nach Mainz. Sein Weg ins Priesteramt ist nicht vorgezeichnet, sagt der Theologe Helmut Zenz:
"Sein Vater war ja Geflügelimporteur und Exporteur, ein sehr belesener und auch politischer Mensch mit einem sehr offenen, wenig römisch-katholischen Katholizismus. Also man war katholisch, aber man war auch sehr liberal und kritisch. Deswegen war für ihn am Anfang auch nicht klar, dass er Theologie studieren und Priester werden würde. Sondern er hat eigentlich, um dem elterlichen Willen Genüge zu leisten, etwas Sinnvolles studiert aus väterlicher Sicht, und das war die Chemie."

Auf Umwegen zur Priesterweihe

Weil der junge Romano Guardini sich für Atome und Moleküle nicht so recht begeistern kann, wechselt er zur Nationalökonomie. Doch auch das bricht er ab. Er steckt in der Krise und entscheidet sich schließlich, katholische Theologie zu studieren.
"Er hat sich von Anfang an nie mit dem einen Fach beschäftigt. Er hat immer auch Philosophie nebenbei gehört, Philologie, Literatur studiert. Ging zu der ersten Münchner Vorlesung von Rudolf Steiner, also selbst für die Anthroposophie hat er sich interessiert. Also ganz breit gefächertes Interesse an literarischen, künstlerischen Bewegungen und das hat ihn geprägt."
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1910 wird Romano Guardini im Mainzer Dom zum Priester geweiht. Später promoviert er und habilitiert sich über den Heiligen Bonaventura. Der spätere Gelehrte beschreitet keinen geraden Karriereweg. Er nimmt verschiedene Nebenpfade und gerät kurzzeitig aufs Abstellgleis, erzählt Guardini-Forscher Helmut Zenz. Es ist die Zeit des Antimodernisten-Eids: Katholische Kleriker sollen den sogenannten "Irrtümern der Gegenwart" abschwören.
Guardini muss damit leben, "dass seine Priesterweihe um ein halbes Jahr verschoben worden ist. Als Strafaktion dafür, dass er sich zu offen über Literatur und auch zu kritisch gegenüber dem Seminarwesen geäußert hatte. Und dann hat man ihn einfach mal ein halbes Jahr länger im Seminar belassen und erst dann geweiht."

Von der Welt abgeschieden

Frühe Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen den jungen Guardini: klein von Statur, raspelkurze Haare, markante Stirn und ausgeprägte Nasenpartie. In späteren Jahren kommt eine dunkelumrandete Gelehrten-Brille hinzu. Seine Passion fürs Thema Bildung mag sich bereits aus Erfahrungen in der Kindheit speisen. Es ist eine wohlbehütete, kleine Welt. Zuhause spricht die Familie Italienisch. Während der Vater kontaktfreudig ist, meidet die Mutter andere Menschen und hält sich mit den Kindern überwiegend im eigenen Haus auf. In seinen autobiografischen Aufzeichnungen schreibt Guardini:
"Das Kinderzimmer, dann, als wir größer wurden, das eigene Zimmer mit seinem Bett, seinem Arbeitstisch und seinem Schrank, bildeten unsere Welt. Die Tatsache, daß wir eine deutsche Erzieherin hatten, änderte daran nichts. Was bei den anderen Jungen selbstverständlich war, in Spiel und allerlei Unternehmungen zusammen zu sein, fiel bei uns fast ganz weg. Praktisch gesprochen, gingen wir zu niemand, und niemand kam zu uns. Die Wirkung war, daß ich von den Dingen des Lebens, die der junge Mensch ganz von selbst kennen lernt, indem er mit anderen verkehrt, so gut wie nichts erfuhr."
Auch die Zeit am Gymnasium trägt nach Guardinis Erinnerung wenig dazu bei, seinen Horizont zu erweitern.
"Wenn ich mich frage, mit welchen Gefühlen die Schule für mich verbunden war, so war es vor allem das einer Fremdheit, die sich oft genug zur Furcht steigerte. Das hing gewiß auch mit der Lehrerschaft zusammen. Von ihnen hat keiner ein wirkliches Interesse für eine Sache bei mir zu wecken gewußt."

Burg Rothenfels

Guardini will und wird es anders machen: In den 20er-Jahren lernt er die Jugendbewegung Quickborn kennen. Der katholische Jugendbund versteht Bildung im umfassenden Sinne: Es geht darum, die Dinge zu verstehen anstatt sich reines Wissen anzueignen. Begegnungsort der Quickborn-Bewegung ist die Burg Rothenfels am Main.
"So bin ich denn 1920 zu Ostern selbst hinaufgegangen, und das hat für mich Folgen gehabt wie wenige Dinge sonst; denn damals ist in mein Leben eine starke Welle von dem eingeströmt, was Jugendbewegung heißt."
Eine Außenaufnahme der Burg Rothenfels in Bayern
Burg Rothenfels war einer der zentralen Orte für das Wirken Guardinis (Picture Alliance / dpa / Friedel Gierth)
Auf Burg Rothenfels, westlich von Würzburg gelegen, versammeln sich Hunderte junge Menschen zu Tagungen, Werkwochen und Festen. Romano Guardini wird zum geistlichen Mentor und charismatischen Lehrer der Quickborner. Später leitet er die Jugendburg. Der Philosoph Josef Pieper schreibt 1981:
"So oft mir heute Rothenfels in Erinnerung tritt, denke ich sogleich und fast ausschließlich an Guardini. Mit seiner erstaunlichen Ausstrahlungskraft stellte er vom ersten Augenblick an alle anderen in den Schatten."

"Wesenhafte Bildung wurzelt im Sein"

Guardini ist inspiriert durch die Reformpädagogik, unter anderem durch Maria Montessori, sagt der Theologe und Politikwissenschaftler Helmut Zenz:
"Wo es dann sehr viel um Symbolerziehung geht: das Kind in den Mittelpunkt stellen und das innere Wesen des Kindes in den Mittelpunkt der Erziehung und der Bildung zu stellen. Also nicht mit irgendwelchen Lehrplänen oder vorgegebenen Systemen zu arbeiten, sondern sich zuerst mal um den oder die zu bemühen, die da vor einem sitzt."
Durch Zusammensetzen ausgeschnittener Buchstaben lernen die Kinder die Schriftzeichen kennen.
Lesenlernen in einer Montessori-Schule im Kinderhaus Hamburg 1925 (dpa / picture alliance / akg-images)
Entsprechend hat Guardini ein schwieriges Verhältnis zum Begriff "Wissen".
"Bildung darf nie nur Wissensvermittlung oder Unterricht sein. Das war immer sein Credo. Und wer da zu technisch oder zu nützlichkeitsorientiert oder nach irgendwelchen Schemas arbeitend von ihm empfunden worden ist, dem hat er widersprochen und sein eigenes Modell deutlich dagegengesetzt."
"Unsere Bildungsanstalten sind Wissensvermittlungen, und gebildet ist, wer an diesen Anstalten allerhand Wissen in sich aufgenommen hat. Mit wirklicher Bildung hat das alles wenig zu tun. Wesenhafte Bildung wurzelt nicht im Wissen, sondern im Sein. Schon das Wort sagt es: ‚Gebildet‘ ist, wer aus einem inneren Gestaltgesetz heraus geformt wird; wem Sein und Tun, Denken und Handeln, Person und Umgebung aus einem inneren Bilde heraus bestimmt sind."

Das Spiel der Liturgie

Guardini hadert mit einer, wie er einmal schreibt, tiefen Ungebildetheit. Seit der Aufklärung sei viel von Bildung die Rede – doch die sieht er im Schwinden. An ihre Stelle trete ein – Zitat – "Wissen von einiger, höchst fragwürdiger, Vollständigkeit".
Er kritisiert ein Insel-Denken - die Ausrichtung von Bildung und Wissenschaft auf einen bestimmten Zweck.
"Das muss zu einer Krise im Ethos des Akademikers selber werden. Früher war in ihm das Bewusstsein einer besonderen Verantwortung wirksam. Und das bestand nicht nur darin, dass seine Resultate richtig sein mussten, weil sonst irgendwo eine Maschine in die Luft ging. Sondern hing mit dem Begriff des Forschens und der Wahrheit als solchem zusammen. Das ist weithin verschwunden. Der Wissenschaftler wird weithin identisch gesetzt mit seiner Leistung. Die Leistung aber gilt so viel als sie nützt."
Chiara Lubich und ihre Fokolar-Bewegung - Eine moderne Mystikerin
Sie hat einem Papst abgerungen, dass immer eine Frau an der Spitze ihrer katholischen Organisation steht. Chiara Lubich, die Gründerin der Fokolar-Bewegung, hat ihre Kirche immer wieder irritiert.
Mit 33 Jahren veröffentlicht Romano Guardini sein erstes Werk, das Aufmerksamkeit erlangt: "Vom Geist der Liturgie". Damit gibt er der sogenannten liturgischen Bewegung in der katholischen Kirche wesentliche Impulse:
"Auch darin besteht also die Aufgabe der Erziehung zur Liturgie, daß die Seele lerne, nicht überall Zwecke zu sehen. Sie muß die Rastlosigkeit der zweckgetriebenen Tätigkeit wenigstens im Gebet aufgeben lernen; muß lernen, für Gott Zeit zu verschwenden, Worte und Gedanken und Gebärden für das heilige Spiel zu haben."
Er möchte, dass die Gläubigen mitvollziehen können, was in der Heiligen Messe geschieht. Neben Latein soll die Volkssprache zum Einsatz kommen. Rituale und Zeichen, Musik und Text sind Guardini wichtig – ihren stimmigen Wechsel nennt er das "Spiel der Liturgie":
"Nicht immer etwas tun, etwas erreichen, etwas Nützliches zustande bringen wollen, sondern lernen, in Freiheit und Schönheit und heiliger Heiterkeit vor Gott das Gottgeordnete Spiel der Liturgie zu treiben."

Ein Konservativer mit Blick nach vorne

Neben wissenschaftlich-theologischen Werken veröffentlicht Guardini auch liturgisch Praktisches:
"Im Sinne, dass er ja auch eine Kreuzwegandacht geschrieben hat mit einem für die damalige Zeit sehr jugendgemäßen Text, vor allem überwiegend deutsch. Bis hin zu dem, dass er mit Felix Messerschmid, auch einem Quickborner, 1930 das Deutsche Kantual herausgibt. Also eine Sammlung von Liedern, Texten, Gebeten, um den Gottesdienst zu bereichern und in der deutschen Sprache mitzugestalten. Auch wenn der Kern natürlich damals noch lateinisch geblieben ist."
Manche in der Theologie hegen Vorbehalte gegen den Religionsphilosophen. Nicht traditionell genug, lautet der Vorwurf.
"Es gibt von ihm eine Selbstbezeichnung, die sagt, er sei ein Konservativer mit Blick nach vorne. Das heißt, er erneuert, aber versucht das, was bewährt ist eben auch zu retten – und das über Jahrhunderte und Epochen hinweg. Also auch durchaus aus dem Mittelalter. Aber er war kein Nostalgiker, sondern es ging ihm immer um die Zukunft."

"Er hat einen dialogischen Anspruch gehabt"

Als Professor lehrt Romano Guardini in Berlin, Tübingen und München katholische beziehungsweise christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie. Seine Lehre überschreitet klassische Fächergrenzen. Er behandelt Fragen der Theologie, der Philosophie, Kunst und Literatur, spricht über Sokrates, Platon und Heidegger ebenso wie über Dante, Hölderlin und Rilke. Im Laufe seines Lebens schreibt er mehrere hundert Texte: Briefe, Aufsätze und Bücher.
"Seine ganzen Schriften, auch seine Vorlesungen, sind Antworten auf Fragen, die er in Gesprächen mitbekommen hat. Er hat also immer einen dialogischen Anspruch gehabt. Also nicht irgendwelche Dinge zu beantworten, nach denen keiner fragt. Daraus haben sich dann ganze Vorlesungen oder Bücher entwickelt, aber es war eigentlich immer das gesprochene Wort. Das hat ihm den Ruf eingebracht, dass er sehr nah an den Themen dran ist, die zu diesem Zeitpunkt wirklich interessiert haben."
Der katholische Intellektuelle Hans Maier - Orgel, Campus, Kabinett
Hans Maiers Werdegang ist ungewöhnlich: Organist, Professor, Minister, Publizist und oberster Laie, der die Auseinandersetzung zwischen katholischer Kirche und moderner Demokratie zu seinem Lebensthema gemacht hat.
Der Religionsphilosoph ist zugleich im Hörsaal und in der Kirche zuhause. 1939, kurz vor Kriegsbeginn, hält er eine Reihe geistlicher Abendvorträge in der Jesuitenkirche Sankt Canisius in Berlin-Charlottenburg – später veröffentlicht als Buch mit dem Titel "Theologische Gebete".
"Gib mir großen Ernst in allem, was den Glauben betrifft. Lehre mich erkennen, wessen er bedarf, um bestehen und Frucht tragen zu können. Mache mich vertraut mit seiner Kraft, aber auch mit seiner Schwäche. Und wenn sich im Gang der Jahre mein Empfinden wandelt, und mit ihm die menschliche Form meines Glaubens, dann lehre mich, diesen Wandel zu verstehen."
Romano Guardini, gekleidet im Priestergewand, eröffnet die geistlichen Abendvorträge mit einem Kirchenlied. Anschließend hält er seine Ansprache. Nach einem weiteren Lied spricht er am Altar ein selbstverfasstes Gebet, thematisch entwickelt aus dem Vortrag.
"In unserem dahingehenden Leben, o Herr, ahnen wir Deine stille Ewigkeit. Die Dinge beginnen, und haben ihre Zeit, und enden.
Im Anfang des Tages fühlen wir voraus, wie er im Abend sinken wird. In jedem Glück mahnt schon das kommende Leid. Du aber, o Herr, lebst, und keine Vergänglichkeit rührt an dich."

"Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen"

Glaube und Bildung bedingen bei Guardini einander.
"Wir müssen wieder lernen, daß nicht nur das Herz, sondern auch der Geist beten soll."
Guardini nutzt seine Predigten regelmäßig zur liturgischen Bildung. Helmut Zenz:
"1920/21 gibt es eine ganze Reihe über die einzelnen Schritte der Messe: Was bedeutet das Kyrie, was bedeutet das Vaterunser. Auch darf man nicht übersehen, dass ein sehr wichtiges Buch von ihm über die Heiligen Zeichen im Prinzip auch Predigten waren."
Guardinis theologisches Denken ist maßgeblich geprägt von den Kirchenlehrern Augustinus und Bonaventura. Es kreist um den Menschen, der die Wahrheit sucht. Und um die Bildung des Herzens. 1952 wird der Religionsphilosoph auf dem Katholikentag in Berlin über eine seiner Grundüberzeugungen sprechen: "Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen."
"Da lebt der Mensch, tut dies und das, hat aber vergessen wer er ist. Und damit fehlt seinem ganzen Leben der Mittelpunkt. Da geht er rum und fragt: 'Wer bin ich denn?' Aber keiner antwortet ihm. Wer den Namen Gottes vergisst, vergisst seinen eigenen. Man kann nicht den Namen des lebendigen Gottes vergessen und seines eigenen Namens, seines eigenen Lebenssinnes und Lebensweges inne bleiben. Das geht ebenso wenig, wie eine Brücke stehen könnte, wo sie steht, wenn man die Ufer wegstieße, auf denen sie steht."

Der NS-Staat übersieht ihn lange

Romano Guardini ist ein gläubiger und zugleich ein politischer Mensch. Er schreibt über politische Bildung und Demokratie, hält einen Vortrag über den indischen Unabhängigkeitskämpfer Mahatma Gandhi. Guardini ist Mitglied der Zentrumspartei.
1939 verliert er seine Professur für katholische Weltanschauung in Berlin. Die Jugendburg Rothenfels wird aufgelöst, die katholischen Jugendverbände werden verboten. Helmut Zenz:
"Er hat selber nach dem Krieg ein Interview gegeben, wo er gefragt worden ist, wie es sein konnte, dass er so lange in Berlin diesen Lehrstuhl für katholische Weltanschauung innehatte. Das hat damit zu tun, dass er nicht zu denen gehörte, die aktiven Widerstand geleistet haben. Seine Idee davon war, in seinen Vorlesungen, auf Burg Rothenfels Rückzugsräume einer offenen Diskussion so lange wie möglich aufrechtzuerhalten."

Die Menschen aufbauen

In den 50er-Jahren initiiert er die Gründung der Akademie für Politische Bildung im bayerischen Tutzing. Auch die der Katholischen Akademie Bayern. 1952 wird Romano Guardini mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Eine Anerkennung für die von ihm entwickelte Gegensatzlehre. Sie soll dazu beitragen, dass die Menschen Spannungen und Polaritäten auszuhalten lernen.
"Immer hat mich nämlich das Problem beschäftigt, wie derart verschiedenartige Stellungnahmen der Menschen zu den Fragen ein und desgleichen Daseins möglich seien. Und ob es nicht möglich sei, dieser Verschiedenheit eine aufbauende Kraft abzugewinnen."
Die Menschen aufbauen – das ist ein zentrales Motiv Guardinis. So versteht er die Freiheit als Voraussetzung, Atmosphäre und Ziel pädagogischer Arbeit, schreibt über 'Die Glaubwürdigkeit des Erziehers':
"Jeder aber, der erziehen will, fühlt irgendeinmal die Frage: Wie kommst du eigentlich dazu, einen andern erziehen zu wollen? Woher nimmst du das Recht zu durchblicken, zu beurteilen, zu fordern? Wenn der Mensch eine Person ist, mit Freiheit und Würde – wie kommst du dazu, diesem Menschen sagen zu wollen, wie er werden soll?"
100. Geburtstag des Theologen Eugen Biser - Verstehen statt gehorchen
Ein katholischer Priester, der seine Doktorarbeit über Nietzsche verfasste und die Kirche immer wieder scharfsinnig kritisierte. Aus Sicht Eugen Bisers drehte sich das Christentum zu sehr um sich selbst.
"Wenn man so will, ist Guardini in der Bildung der Vertreter des Ansatzes 'Bildung zur Selbstbildung'. Das setzt Gleichberechtigung voraus und das Ernstnehmen des guten Kerns, den er in jedem vermutet, weil jeder Kind Gottes ist. Das ist ein sehr religiöser Ansatz, der aber interessanterweise in seiner unmittelbaren Umgebung selbst agnostischer Art auf sehr viel Interesse gestoßen und auf fruchtbaren Boden gefallen ist."
Der Pädagoge und Theologe Helmut Zenz forscht seit vielen Jahren zu Guardini. Eine der Grundüberzeugungen des Religionsphilosophen sei, dass auch Lehrende ihr Leben lang lernen müssten.

"Er würde sich heute mit Harry Potter auseinandersetzen"

In Guardinis Privatbibliothek gibt es eine große Abteilung mit Märchen und Sagen. Und eine noch größere mit Kriminalromanen, auch auf Englisch und Französisch.
"Ich glaube, er würde sich heute mit Harry Potter auseinandersetzen, weil er weiß, dass es ein Thema ist. Er hat sich damals immer zeitgenössisch – kritisch, offen – mit Dingen auseinandergesetzt, die sich gerade entwickelt haben. Er hat auch im Kino-Bereich Filmbesprechungen gemacht, er hat einen ganzen Aufsatz über Micky Maus geschrieben. Also nicht immer nur die hohe Kultur der Literatur, zu der hat er dann die Vorlesungen gehalten."
Eine Schwarz-weiß-Fotografie des katholischen Religionsphilosophen und Theologen Romano Guardini in hohem Alter.
Romano Guardinis Bildungsideal war auch für Nicht-Katholiken anschlussfähig (Picture Alliance / dpa)
Auch die existenziellen Krisen des Menschen beschäftigen den Universalgelehrten Guardini, der sich selbst als schwermütig bezeichnet und im Alter an einer schweren Nervenkrankheit leidet. Am 1. Oktober 1968 stirbt Romano Guardini in München – im Alter von 83 Jahren. Sein Bildungsideal reicht über Fächergrenzen hinaus: Wer andere bilden will, muss alle Sinne des Menschen ansprechen. Leib, Seele und Intellekt im Zusammenhang betrachten.
"Sehr ernste Erzieher haben darauf hingewiesen, daß für die Bildung gerade des heutigen Menschen bloßes Sagen, intellektuelles Erklären,
formales Organisieren nicht genügen. Daß die Organe des Schauens, des Tuns, des Gestaltens geweckt und in den bildenden Vorgang einbezogen werden müssen; daß das musikalische Moment mehr ist als eine bloße Verzierung; daß die Gemeinschaft anderes bedeutet als ein Zusammensitzen."
Romano Guardini sieht den eigentlichen Fortschritt darin, dass der gebildete Mensch mit sich selbst ins Reine kommt. Dass er alle Spannungen und Widersprüchlichkeiten, die zu ihm gehören, ins Gleichgewicht bringt. Es ist das Bildungsideal des glaubenden Intellektuellen.
"Dieser Mensch ist fieberhaft tätig. Er leistet Ungeheures, um immerfort sich selbst zu bestätigen. Er bringt die Welt in seine Macht, um sie als sein Werk aufzurichten. Im Grunde weiß er aber nicht mehr, wer das Wesen ist, das das tut, noch woher es kommt, noch wohin es geht."