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Glaube und Corona in den USA
Näher bei Gott in der Not

Mehr als die Hälfte der afroamerikanischen Protestanten geben an, dass sich ihr Glaube seit Beginn der Coronakrise vertieft habe. Das hat historische und aktuelle Gründe: Schwarze in den USA sind überproportional von der Pandemie betroffen.

Von Katja Ridderbusch |
Professor Robert Franklin vor der theologischen Fakultät der Emory University in Atlanta, Georgia
Robert Franklin beobachtet ein Erstarken des Glaubens in afroamerikanischen Gemeinden (Emory University / Kay Hinton)
So sang der Chor der Big Bethel AME Church beim Gottesdienst vor wenigen Monaten. Big Bethel ist eine ältesten und lebendigsten afroamerikanischen Kirchengemeinden in der Südstaatenmetropole Atlanta. Es hört sich an wie der Sound aus einer anderen Zeit. Wegen der Coronakrise sind zahlreiche Gotteshäuser in den USA noch immer geschlossen. Es ist unklar, wann und in welcher Form sie ihre Türen wieder öffnen. Eine Herausforderung für viele Gläubige, vor allem für Afroamerikaner, bei denen Kirchenleben und soziales Leben häufig eng miteinander verwoben sind.
Eine Tradition von Unterdrückung und Leid
Dennoch sind unter der wachsenden Zahl von Menschen, die in den USA für ein schnelleres Ende der Kirchen-Lockdowns auf die Straßen gehen, überwiegend weiße Christen. Mehr als die Hälfte aller schwarzen Protestanten gaben bei einer aktuellen Umfrage des Pew-Instituts sogar an: Ihr Glaube habe sich während der Pandemie noch vertieft. Robert Franklin, Theologieprofessor an der Emory-Universität in Atlanta, ist nicht überrascht.
Schließlich sei die Geschichte der Afroamerikaner eine Geschichte von Unterdrückung und Leiden, sagt Franklin im Gespräch via Zoom – und von einem unerschütterlichen Glauben an eine göttliche Präsenz. In dieser Tradition sehe er auch die verstärkte Spiritualität dieser Tage.
Reverend John Foster hält vor der Corona-Krise eine Predigt in der Big Bethel AME Church in Atlanta, Georgia
Reverend John Foster sagt, seine Leute seien harte Zeiten gewohnt (Big Bethel AME Church)
John Foster kann das nur bestätigen. Er ist leitender Pastor der Big Bethel Church in Atlanta. Seine Leute seien es gewohnt, harte Zeiten zu durchleben, von der Sklaverei über die sogenannte Rassentrennung bis zur Bürgerrechtsbewegung. Und so fühlten sie sich auch in der Covid-Pandemie Gott enger verbunden.
Schwarze sind überdurchschnittlich stark betroffen
Doch außer den historischen gibt es auch praktische Gründe für die wachsende Sehnsucht nach Gottes Beistand: Als ethnische Gruppe sind Afroamerikaner überdurchschnittlich stark von der Seuche betroffen. In einigen Landesteilen liegen die Todesraten um ein Mehrfaches höher als bei weißen Amerikanern. Die Ursachen sind struktureller Natur: Afroamerikaner sind im Durchschnitt ärmer und schlechter krankenversichert. Sie leiden häufig unter Vorerkrankungen wie Übergewicht, Diabetes und Herzproblemen, die sie anfälliger für schwere Covid-Verläufe machen. Seine Gemeinde bestehe zu fast 100 Prozent aus Afroamerikanern, sagt Foster. Auch seien die meisten Mitglieder älter als 60. Deshalb sei seiner Kirche sehr wohl bewusst, dass die Pandemie ihre Mitglieder härter treffe.
Dennoch versuchen viele Gläubige, das Positive in der gegenwärtigen Zwangspause zu sehen. Stan Pritchett zum Beispiel: Der pensionierte Lehrer ist lebenslanges Mitglied von Big Bethel. Für ihn persönlich habe die Krise die Chance gebracht, sich Zeit zum Nachdenken zu nehmen und zum Lesen, auch in der Bibel. Dabei habe er Fragen zu Passagen in der Heiligen Schrift nachgehen können, die er künftig stärker in sein Leben integrieren wolle.
Mit Onlineangeboten junge Menschen erreichen
Viele Kirchen verzeichneten einen Anstieg bei der Teilnahme an Screening-Angeboten, von Gottesdiensten und Andachten über Bibelkreise bis zu Sonntagsschulen, ergänzt Pastor Foster. Ein weiterer positiver Nebeneffekt: Die Online-Angebote hätten dazu geführt, dass auch jüngere Menschen sich wieder mehr für die Kirche interessierten – eine Gruppe, die sich auch in den USA zunehmend von organisierter Religion abgewandt hat.
Reverend Michelle Jones von der progressiven Friendship Missionary Baptist Church in Charleston, South Carolina macht einen fröhlichen Luftsprung und streckt dabei alle Glieder von sich
Reverend Michelle Jones ruft zum Optimismus auf (Privat)
Michelle Jones ist Pastorin der Friendship Missionary Baptist Church, einer progressiven Kirchengemeinde in Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina. Jones und ihre Kollegen arbeiten mit verschiedenen digitalen Formaten – darunter Podcasts, Storytelling-Projekte und informelle Gruppen-Chats. Darin spreche sie auch die Zukunftsängste an, die derzeit viele junge Leute befielen, sagt Jones. Ihre kämpferische Botschaft lautet: Lasst euch nicht von der Angst herunterziehen, sondern von ihr antreiben.
Die leibliche Erfahrung fehlt
Doch die Sorge bleibt: Wie lange können Kirchen ihre Gläubigen mit digitalen Mitteln allein bei der Stange halten? Rebellion und Regelverstöße dürften zunehmen, sagt Theologe Robert Franklin. Beten über Bildschirme fühle sich künstlich an und wärme die Herzen nicht – zumindest nicht so, wie eine physische Gemeinschaft es vermöge.
Diese Art der Glaubenspflege wirke auf afroamerikanische Christinnen und Christen befremdlich. Für sie seien Gottesdienste traditionell eine sehr körperliche Erfahrung, mit Tanz und Umarmungen und gemeinsamem Essen. Stan Pritchett erwartet, dass es für den Übergang eine Mischung aus virtuellem und physischem Kirchenleben geben werde. Er freut sich jedenfalls darauf, die anderen Gemeindemitglieder bald wieder zu sehen, und zwar persönlich. Bis der Chor jedoch wieder in voller Stärke antritt und die Kirchenbänke dicht besetzt sind, bis die Gemeindemitglieder in den Gesang einstimmen und einander an den Händen fassen, werde wohl noch eine Weile vergehen, sagt Pritchett.
Sie könnten nicht einfach Halleluja rufen und einander in die Arme fallen – weil das mit den Geboten des Social Distancing eben nicht gehe, sagt er. Der behutsame und graduelle Wiedereinstieg in das Kirchenleben werde für ihn und die anderen Gemeindemitglieder von Big Bethel ungewohnt sein. Aber darauf müssten sie sich jetzt vorbereiten.