In einem Saal des Collège des Bernardins stehen einige Frauen und Männer rund um einen großen Tisch. Teilnehmer des Workshops "Klima-Collage". Jeder hat gerade eine Karte gezogen – die zeigen verschiedene Entwicklungsetappen des Erdklimas.
"Was bedeutet 'Karbonbrunnen'?", fragt eine Mittfünfzigerin. Die Antwort steht auf der Rückseite der Karte: Die Hälfte der Kohlendioxidmenge, die die Menschheit pro Jahr produziert, entweicht in die Atmosphäre, der Rest wird von "Karbonbrunnen" aufgefangen – zum Beispiel vom Amazonas-Regenwald oder von den Ozeanen. Fabian Moos ist einer der Kursleiter.
"Es geht darum, innerhalb von zweieinhalb, drei Stunden den Bericht des IPPCC, des Weltklimarates, die wesentlichen Inhalte zusammenzufassen in Atelierform. Und die Teilnehmer legen die Karten in die richtige Reihenfolge, von Ursache nach Wirkung, und versuchen herauszufinden, wie die Bezüge sind. Es sind insgesamt 42 Karten; also das ist schon ziemlich knackig."
Die Erde als Organismus
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eint der christliche, katholische Glaube. Kursleiter Moos ist Jesuit und studiert in Paris seit einem Jahr Theologie. Er wolle später an einem Jesuiten-Gymnasium unterrichten und dort die Workshop-Arbeit einbringen, so Moos. Denn damit bastele er an einem neuen theologischen Konzept – das den Menschen mehr zur Verantwortung zieht beim Erhalt des irdischen Lebens. Ein theologisches Umdenken strebt auch das Kolloquium an, in dessen Rahmen der Klima-Collage-Kurs stattfand. Das Motto der Tagung: "Gaia und die Theologie". Mit Gaia sei nicht das Symbol von Mutter Erde gemeint, erklärt Fabian Moos.
"Da geht es um das wissenschaftliche Konzept, dass die Erde wie ein Organismus funktioniert, als Ganzes. Und da fügt sich diese Aktivität eigentlich ganz gut ein, weil man da sieht, dass das Klimasystem Erde einfach über Jahrmillionen hin und her sich bewegt hat, sich entwickelt hat und dass jetzt eben der Mensch innerhalb sehr kurzer Zeit diese Mechanismen durcheinander wirbelt. Und dass das letztendlich riskant ist, vor allem für den Menschen selber. Und für das Leben auf der Erde auf jeden Fall."
Seit Galileo hat sich die Kirche vom Kosmos entfernt
Beim Pariser Kolloquium treffen Geistes- und Naturwissenschaftler mit Theologen zusammen. Zwei akademische Welten, die sonst kaum miteinander in Berührung kommen. Zu verdanken ist dieser Brückenschlag Bruno Latour - er ist Soziologe, Anthropologe und Wissenschafts-Philosoph. Latour beschäftigt sich seit Langem mit der Frage, warum die Menschheit angesichts der heraufziehenden Klimakatastrophe eher untätig bleibt.
Er sagt: "Bei vielen löst der Gedanke an den Klimawandel eine Verweigerungshaltung aus oder Katastrophenstimmung, Ängste, ein Gefühl von Ohnmacht – insbesondere bei den Christen. Wir wollen ergründen, warum das so ist. Das hat viel zu tun mit der Historie der Kirche, die trotz der Themen Wiederauferstehung und Schöpfung vor allem Seele und Seelenheil im Blick hat."
Das sei speziell der Fall seit dem 17. Jahrhundert, sagt Latour: Seit die Kirche Galileo Galilei den Prozess machte, weil er entdeckt hatte, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Damals ein ketzerischer Gedanke.
"Seitdem hat sich die Theologie mehr und mehr mit moralischen Fragen beschäftigt, sie hat mit den Begriffen Kosmos und Natur gebrochen."
"Die Kirche könnte viel gewinnen"
Um aber mit den künftigen Bedrohungen des Klimawandels umgehen zu können, brauche es dringend ein neues theologisches Konzept, so Latour. Davon ist auch Jesuit Fabian Moos seit dem Erscheinen der zweiten päpstlichen Enzyklika überzeugt:
"Was seit Laudato si', glaube ich, nicht mehr möglich ist, ist ein Glaubensverständnis, das sozusagen rein Kopfsache ist. Also das Leibliche, das Körperliche, das Irdische noch einmal auf eine ganz andere Weise ernst nehmen in der Theologie, in der Spiritualität."
Das wissenschaftliche Konzept von Gaia, also dem Gedanken, dass alles Leben auf unserem Planeten eine Art Gesamtorganismus formt, könnte den Theologen dienen, die christliche Lehre neu zu formulieren. Das Gaia-Kolloquium war da Höhepunkt einer Seminarreihe, die Philosoph Latour seit drei Jahren auf Bitten des Katholischen Instituts in Paris organisiert. Seite an Seite mit Père Frédéric Louzeau:
"Latour und mir ist bewusst, dass die Kirche sich bislang vom Klimawandel, dem Niedergang der Artenvielfalt, vom heutigen Zustand der Erde zu wenig hat berühren lassen. Ließe sie sich mehr auf diese Themen ein, könnte die Kirche viel gewinnen, um Predigten, Gebete, die Verkündigung des Evangeliums zu erneuern."
Diesbezüglich aber bleibe noch viel zu tun, so der Pariser Priester.
"Paris zählt an die 120 Pfarrgemeinden. In weniger als zehn von ihnen haben sich Gruppen gegründet, die sich mit ,Laudato si' oder einem ökologischen Umdenken beschäftigen. Wir müssen also noch 110 Pfarrgemeinden dazu bringen, die päpstliche Enzyklika zu lesen, vor allem aber beim Umweltschutz aktiv zu werden."
"Von Anfang an war die Offenheit für die Schöpfung da"
Angesichts des heutigen Zustands unseren Planeten stelle er sich als Christ viele Fragen, gibt Fabian Moos zu. Und nennt eine der für ihn wichtigsten.
"Was heißt Heil? Also jetzt in die Zukunft gedacht - mich befriedigt nicht eine Vorstellung, dass es jetzt zum Beispiel beim Heil, das Christus uns gebracht hat, nur um das Seelenheil der Menschen geht, dass man den Rest der Schöpfung ausklammert. Man kann auch biblisch argumentieren, dass das nicht der Fall ist, sondern dass von Anfang an schon die Offenheit für die ganze Schöpfung da war. Aber was heißt dann dieses Heil? Und wie, wenn ich diese Fragen ernst nehme, werde ich mich als Christ oder Christin nochmal bewusst engagieren für dieses Heilsgeschehen Gottes?"
Der Wiederaufbau einer "Hoffnungstheologie" soll der Menschheit helfen, den Auswirkungen des Klimawandels die Stirn zu bieten.