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Glaube unter Tage
Berggeister im Harz

Wo die Sonne nie scheint, gehen Geister um: Im ehemaligen Bergwerk Rammelsberg im Harz lernen Museumsbesucher den "Schwarzen Abt" kennen, der die Kumpel beschützte - oder in den Schacht stieß. Goethe soll durch die Stollen inspiriert worden sein zu seinen Höllenszenen im "Faust".

Von Christian Röther |
    Martin Wetzel (rechts) in einem Stollen unter dem Rammelsberg
    Martin Wetzel (rechts) in einem Stollen unter dem Rammelsberg (Deutschlandradio/Christian Röther)
    Tief unter dem Rammelsberg im Harz. Hier herrscht immer Kühlschranktemperatur: acht bis zehn Grad, im Sommer wie im Winter. Die Jahreszeiten haben hier keine Macht, genauso wenig die Tageszeiten. Von den Holzverkleidungen im Stollen tropft das Wasser. Immer an die gleichen Stellen. Mit ihrer Hartnäckigkeit schlagen die Tropfen Löcher in den Boden und die Schienen. Das hier ist ein ganz anderer Ort als die Welt über Tage. Unter Tage konnten den Bergleuten auch schon mal ganz andere Wesen über den Weg laufen, sagt Martin Wetzel. Der Historiker arbeitet im Bergbaumuseum Rammelsberg.
    "Man war allein, begegnet Kälte, Feuchtigkeit, es tropft. Es sind also auch viele Geräusche, die auf einen einwirken, wo man vielleicht nicht unbedingt die Ursache sieht. Und dann bewegt man sich in gebückter Haltung, nur mit einem kleinen Licht, was eine offene Flamme ist. Also im Prinzip, als ob wir heute ein Feuerzeug oder ein Strichholz hier entzünden würden oder eine Kerze. Was sich sehr unruhig bewegt. Wo natürlich riesige Schattenbilder entstehen."
    Geister, Zauber und Gebete
    War es ein Schatten - oder doch ein Geist? Der "Schwarze Abt" soll im Rammelsberg umgegangen sein, auch "Bergmönch" genannt. Ist er noch da, oder mit den Bergleuten gegangen? Seit fast 30 Jahren wird hier nichts mehr abgebaut. Zuvor war das Bergwerk über 1.000 Jahre im Betrieb. Generation um Generation hat dem Fels Erze abgerungen. Vor allem, um Kupfer, Blei und Zink zu gewinnen. Aber auch Silber und ein bisschen Gold. Fast 30 Millionen Tonnen Erz wurden in einem Jahrtausend gefördert - trotz des Schwarzen Abtes. Oder wegen seiner Hilfe?
    "Berggeister tun Gutes und Böses. Und wenn man sich in seinem normalen Leben gut geführt hat, fromm war, redlich war, dann war es natürlich so, dass der Berggeist einem geholfen hat. Wenn man das Gegenteil dessen war, dann konnte durchaus passieren, dass man sich erschrak und in den Schacht gefallen ist und das nicht überlebt hat. Es gibt also Bergamtsakten, die das genau so sehen. Und dass es im Gegenzug dazu natürlich auch nachweisliche Gebete gab. Priester oder Pastoren, die gesagt haben: 'Gut, wir konnten ihn dadurch vertreiben, indem wir dafür oder dagegen gebetet haben.'"
    Eine Lore im Bergwerk Rammelsberg
    Eine Lore im Bergwerk Rammelsberg (picture alliance / dpa / Swen Pförtner)
    Gegen den unchristlichen Schwarzen Abt halfen also mutmaßlich christliche Gebete. Aber auch mit unchristlichem Zauber probierten es die Bergleute, erklärt Martin Wetzel.
    "Es gab natürlich auch so - aus strenger katholischer Sicht vielleicht gesehen - so heidnische Handlungen. Dass man wie Schutzzauber, so würde ich es mal sagen, mitnahm. Also so kleine Glücksbringer. Es ist also in Hüttenöfen gefunden worden, dass ein kleines Holunderzweig am Boden der Hüttenplatte war, was irgendwie ein heidnisches Ritual war, um der Sache immer Glück zu verheißen. Also es ist sicherlich nicht zum Nachteil gewesen."
    Goethes Höllenszenen
    Glück konnten die Bergleute auch gebrauchen, wenn sie unter Tage Feuer entfachten, um die Erze aus dem Fels zu lösen. Wenn die Flammen erloschen, schufteten die Kumpel bei bis zu 60 Grad und Schwefelgeruch. Zeuge dieser Szenerie wurde kein geringerer als Goethe, der den Rammelsberg dreimal besucht hat. Noch heute erzählen sich die Menschen hier, …
    "… dass das, was er dort gesehen hat - dieses Feuersetzen, was wohl sehr beeindruckend gewesen sein muss. Es hat geknistert, es wurde warm, der Fels begann zu knacken. Es fielen also schon erste Teile, sprengten sich raus -dass er genau diese Eindrücke, die da sicherlich auch sehr unvorbereitet auf ihn einwirkten, für seinen Höllen- und Teufelsszenerien im Faust verwendet hat."
    Luther, der Bergmannssohn
    Trotz Teufeln und Geistern war das Bergwerk bis 1988 in Betrieb. Dann waren alle Erze abgebaut. Seit 25 Jahren ist der Rammelsberg Weltkulturerbe der UNESCO. Das Museum erzählt die Geschichten der Bergleute, ihrer Geister, Gebete - und ihrer Schutzheiligen. Während im Ruhrgebiet die Heilige Barbara über die Bergleute wachte und wacht, machte hier im Harz die Reformation Schluss mit der katholischen Heiligenverehrung. Nur eine einzige Heilige akzeptierten die Protestanten noch: Anna, die Mutter Marias und Großmutter Jesu. Martin Luther selbst hat diese Tradition begründet.
    "Durch Luthers Anna-Anrufung während des Gewitters. Er war ja Bergmannssohn. Und in dem Gewitter bei Schlotheim, wo er festlegte, er möchte Mönch werden, damit er nicht vom Blitz erschlagen wird, rief er ja die heilige Anna an. Das gilt so als der Ursprungsmythos der Annenverehrung im Bergbau."
    Denn wie der Bergmannssohn Luther will auch der Bergmann nicht erschlagen werden.
    Bezahlung für den Besuch des Gottesdienstes
    Zurück über Tage. Wenige hundert Meter vom ehemaligen Bergwerk entfernt steht die alte Kirche der Bergleute. Hier baten sie Gott um Hilfe gegen die Tücken der Tiefe und die Geister der Grube. Allerdings waren viele Bergleute offenbar nicht sonderlich motiviert, in den Gottesdienst zu gehen, sagt Martin Wetzel.
    Das ehemalige Bergwerk am Rammelsberg im Harz
    Das ehemalige Bergwerk am Rammelsberg im Harz (Deutschlandradio/Christian Röther)
    "Die Bergleute hätten mit Sicherheit nicht an ihnen teilgenommen, wenn die nicht bezahlt worden wären zum Teil. Dass es also wie ein Teil der Schicht angesehen worden ist. Man musste früher aufstehen, man musste in eine sehr kalte, im Winter wohl auch undichte, zugige, nasse Kapelle gehen, die sich am Stadtrand befunden hat - ohne Licht, weil man den Brennstoff für den Untertagebetrieb natürlich aufgehoben hat. Und man musste eine Stunde dem Gottesdienst lauschen. Was auch durchaus sanktioniert worden ist, wenn man sich da irgendwie daneben benahm oder nicht kam."
    Und wenn einen über Tage nicht der Priester erwischte, dann unter Tage vielleicht der Schwarze Abt.
    Dieser Beitrag wurde erstmals ausgestrahlt am 15. August 2017.