Die Kühe im Appenzeller Land sind milchkaffeebraun, eher klein und zäh. Sie lassen sich nicht gerne herumkommandieren und protestieren, wenn sie allzu grob in den Stall getrieben werden.
In gewisser Weise gilt das auch für die Menschen hier, sagt Cornelia Forrer, die in den Achtziger Jahren in den Kanton Appenzell Innerrhoden, in der Ostschweiz, gezogen ist.
"Ich war ein paar Jahre in Luzern, hab mich mit 20 Jahren politisch gleich engagiert, bin in eine Partei eingetreten. Und ja, habe dann erst, ja mein Gott, da kannst ja nicht mal abstimmen."
Amüsiert schüttelt die Endfünfzigerin mit kinnlangen, roten Haaren den Kopf. Heute lacht sie, damals war sie wütend.
"Ich hab dann mit Nachbarinnen darüber gesprochen und denen war das wirklich allen recht. Und ich verstand die Welt nicht mehr, das muss doch einfach so sein, dass wir auch abstimmen können, das geht doch nicht."
Traditionen und Brauchtum sind wichtig
Bundesweit hat die Schweiz das Frauenwahlrecht 1971 eingeführt. Durch eine Volksabstimmung, bei der nur die Männer mitmachen durften. Während sich eine Mehrheit der männlichen Bevölkerung damals für eine Beteiligung der Frauen an politischen Entscheidungen aussprach, verwarfen die Männer im Appenzell Innerrhoden das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene. Um das zu verstehen, muss man ein paar Jahre hier leben, meint Cornelia Forrer.
"Gestaunt hab ich, dass sonst der Kanton eigentlich unglaublich fortschrittlich war. Mädchen die auch im Umgang, man hat nicht gemerkt, dass die jetzt weniger wert sein sollten oder etwas nicht können sollten. Die Appenzellerinnen sind sehr stolze Frauen. Es hat ja Zeiten gegeben, da haben die eigentlich die Familie ernährt mit der Heimarbeit."
Und deshalb kümmerten sie sich traditionell sowohl um Haushalt und Familie als auch um die Finanzen. Nur das Abstimmen an der Landsgemeinde einmal im Jahr, das überließen die Frauen gerne den Männern.
"Die sagten alle, das wollen wir nicht. Und es hieß immer, das sind die Neuzuzüglerinnen, die das wollen. Diese Weiber, die kommen hierher und sagen uns, was wir zu tun haben und sie akzeptieren unser Brauchtum nicht."
Traditionen und Brauchtum sind wichtig, das ist überall zu spüren. Von den 16.000 Einwohnern leben die meisten von der Landwirtschaft und dem Tourismus. Besuchermagnet ist der Landsgemeindeplatz, auf dem seit dem Spätmittelalter einmal im Jahr über kantonale Angelegenheiten und Vorlagen aus dem Landesparlament abgestimmt wird. Per Handzeichen oder, als noch keine Frauen dabei waren, indem Mann den Säbel hob.
"Das war sehr feierlich. Und zu Hause hat man entschieden, was abgestimmt wird. Die ganze Familie, da haben auch die Kinder mitgesprochen, wenn es Relevanz hatte für sie. Und die Frau, die schaute, was dann abgestimmt wird, die haben dann geschaut, dass er das macht, was sie will. Sonst hat es dann auf dem Heimweg geheißen, aber da hast du nicht gemacht, was wir entschieden haben, das geht dann gar nicht. Da hat er dann aber gebüßt zu Hause. Die Appenzellerinnen, die können richtig stur sein."
Erbittert ausgetragener Streit
So wie Esther Ferrari aus Urnäsch. Sie war damals gegen das Frauenstimmrecht – und ist heute noch unglücklich über die Art und Weise, wie es den Appenzellern aufgedrückt wurde. Nämlich per Gerichtsentscheid.
Am 27. November 1990 gaben die Bundesrichter in Lausanne der Klage wütender Frauen statt und erzwangen die Teilnahme der weiblichen Bevölkerung an der Landsgemeinde. Die hatte einige Monate vorher noch gegen das Frauenwahlrecht gestimmt.
"Den älteren Männern tut das immer noch weh und es ist ein Stück verlorene Identität."
Cornelia Forrer ist froh, dass sie jetzt auch kantonal mitbestimmen kann – sie hat ihre Sichtweise auf damals aber geändert. Es ging den Männern vor allem um die Tradition, sagt sie heute.
"An der ersten Landsgemeinde mit den Frauen hat man Frauen aufgestellt und die wurden auch gewählt. Die sind wirklich ein wichtiger Teil. Es ging wirklich nie darum, dass man die irgendwie beschränken wollte in ihrer freien Meinungsäußerung, sondern es ging wirklich darum, diesen Tag möchten wir uns nicht nehmen lassen."
Der erbittert ausgetragene Streit zwischen den Appenzellern und einigen engagierten Frauen und Männern wurde in den übrigen Kantonen mit demselben Erstaunen beobachtet wie im Ausland. In den französisch- und italienischsprachigen Teilen der Schweiz hatten die Frauen bereits das Wahlrecht, bevor es auf Bundesebene eingeführt wurde. Seit 1995 gibt es auch ein Bundesgesetz zur Gleichstellung von Mann und Frau. Im italienischsprachigen Tessin komme das vor allem im Arbeitsrecht zur Anwendung, erklärt Marco Armati, von der Anwaltskanzlei BAB in Lugano.
"Das bedeutet, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen aufgrund ihres Geschlechts weder direkt noch indirekt benachteiligt werden, namentlich nicht unter Berufung auf den Zivilstand, auf die familiäre Situation oder bei Arbeitnehmerinnen auf eine Schwangerschaft."
Damit steht die Lohngleichheit zwar im Gesetz. Aber im Alltag sieht das oft anders aus. Das Thema wird derzeit in der Schweiz heiß diskutiert, weil der Ständerat, die parlamentarische Vertretung der Kantone, große Unternehmen verpflichten möchte, regelmäßig zu prüfen, ob sie ihren männlichen und weiblichen Angestellten bei gleicher Arbeit gleiche Löhne zahlen. Für Cornelia Forrer in Appenzell ist das der nächste wichtige Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung.