Katharina Ganz ist Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen. Der Frauenorden hat seinen Stammsitz in der Nähe von Würzburg, darüber hinaus arbeiten Schwestern in den USA und in Südafrika. 2013 wurde Katharina Ganz erstmals in das Spitzenamt gewählt, 2019 wieder. Sie ist promovierte Theologin, in ihrer Doktorarbeit hat sie sich mit der Ordensgründerin Antonia Werr beschäftigt. Die Oberzeller Franziskanerinnen sind Dienerinnen der Heiligen Kindheit Jesu.
Auffallend viele Ordensfrauen haben gerade genug vom stummen Dienen und melden sich feministisch zu Wort. Die Benediktinerin Philippa Rath zum Beispiel hat missachtete Berufungsgeschichten von Frauen veröffentlicht. Susanne Schneider von den Ordensfrauen für Menschenwürde sagte, sie seien viel zu lange zu devot gewesen. Die Kölner Priorin Emmanuela Kohlhaas hat ein Buch über Ungehorsam vorgestellt, ebenso nun Katharina Ganz mit dem Titel "Frauen stören". Sie sagte im Dlf-Interview, die Ordensfrauen seien vielleicht freier, sich zu gegenwärtigen Themen zu positionieren.
Zuhören, ernst nehmen, freimütig, öffentlich
Katharina Ganz: Ordensfrauen leben aufgrund ihrer Lebensform ihre Berufung nach dem Evangelium mit unterschiedlichen Spiritualitäten und Schwerpunkten. Sie melden sich zu Wort, freimütig, öffentlich, weil wir auch merken, dass das, was Kirche momentan nach außen vertritt und verkörpert, nicht dem entspricht, was die Zeichen der Zeit uns eigentlich gebieten, nämlich auf das Volk Gottes zu hören, die Zeichen der Zeit ernst zu nehmen und uns den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen. Wir sind als Ordensleute unabhängig von Bistümern, von der verfassten Kirche. Vielleicht macht uns das auch freier, uns jetzt zu den gegenwärtigen Themen zu positionieren.
Christiane Florin: Sie haben vor gut einer Woche beim Abschlussgottesdienst des Ökumenischen Kirchentags in Frankfurt gesprochen. An welcher Stelle im Gottesdienst war das?
Ganz: Ich habe mit einer methodistischen Pfarrerin zusammen die Predigt gehalten nach der Lesung.
Florin: Das ist eigentlich für Frauen nicht erlaubt.
Ganz: Laien dürfen in der Eucharistiefeier nicht predigen offiziell, in ökumenischen Kontexten oder in Wortgottesdiensten oder anderen Andachtsformen schon. Gleichwohl war es natürlich jetzt nicht unbedingt selbstverständlich, dass auch in diesem Ökumenischen Kirchentags-Gottesdienst zwei Frauen predigen konnten. Es mussten erst fünf Männer zurücktreten, damit wir zum Zug kamen.
"Eine lange Tradition, Frauen auf den zweiten Platz zu verweisen"
Florin: Was heißt zurücktreten?
Ganz: Zuerst hätten die Liturgen das Recht gehabt zu predigen und dann, als sie sagten, sie machten das nicht, hätten die Verantwortlichen des Kirchentages und vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK) die Möglichkeit gehabt. Das sind auch beide Männer. Erst weil fünf Männer gesagt haben: "Wir wollen ein Zeichen setzen", war es möglich für Frauen, hier diese Bühne zu haben, sage ich jetzt mal.
Florin: Sie haben in dieser Predigt gesagt, Sara sei genauso wichtig wie Abraham. Wer hält Sara für weniger wichtig als Abraham? Sind Sie nicht müde, solche Banalitäten sagen zu müssen auf so großer Bühne?
Ganz: Wenn wir über unsere Wurzeln sprechen, werden oft nur die Patriarchen genannt: Abraham, Isaak und Jakob. In den meisten Bibelstellen wird Abraham genannt als Vater des Glaubens. Sara wird unter den Tisch gekehrt. Wir haben in unserer Kirche eine Jahrhunderte- wenn nicht sogar Jahrtausendelange Tradition, Frauen auf den zweiten Platz zu verweisen und sie als minderwertig zu betrachten. Das hat eine patriarchale Geschichte. Die fängt natürlich im Ersten Testament an und zieht sich aber über die Antike bis weit in die Neuzeit und eben auch ins 21. Jahrhundert.
Florin: Heißt das: Sie haben das auch deshalb gesagt, weil Sie glauben, dass es Menschen in der katholischen Kirche gibt, die immer noch Frauen für minderwertig halten?
Ganz: Die Strukturen in unserer Kirche sind ja so, dass in der Letztverantwortung 100 Prozent geweihte Männer das Sagen haben. Die entscheidenden Positionen, auch die Positionen, die mit Macht, Einfluss, Ressourcen verbunden sind, erfordern die Weihe. Diese Weihe ist nach wie vor ausschließlich Männern vorbehalten. Das sorgt für eine Geschlechterhierarchie in unserer Kirche und für eine Asymmetrie. Solange wir diese Strukturen nicht verändern und die Zulassungsbedingungen zum Weiheamt nicht verändert werden, ist keine Geschlechtergerechtigkeit möglich.
Alle Ämter für Frauen
Florin: Sie haben auch bei diesem ökumenischen Gottesdienst auf dem Ökumenischen Kirchentag alle Ämter für Frauen gefordert. Bischöfe bezeichnen diese Position gerade im Moment in der innerkatholischen Debatte als Maximalforderung. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, der dabei war, der dann auch in der Fernsehübertragung (während Ihrer Predigt) eingeblendet wurde, benutzt ganz gern die Formulierung, solche Maximalforderungen seien "nicht hilfreich", man müsse theologisch sauber argumentieren. Gibt es für Sie einen Schrittchen-für-Schrittchen-Plan zur Gleichberechtigung? Oder geht das nur mit einem großen Schritt?
Ganz: Ich kann letztlich nicht sagen, welche Strategie oder Taktik oder Vorgehensweise zielführend sein wird, was ich eben auch immer wieder höre aus der Bischofskonferenz oder auch beim Synodalen Weg ist diese Scheibchentaktik. Man versucht, das kirchenrechtlich Mögliche zu erreichen, weil man weiß, dass die Frage der Frauenordination im Vatikan kein Gehör finden wird. Um Frust und Enttäuschung zu vermeiden, ist man sehr pragmatisch und sagt: Lasst uns doch mit dem beginnen, was möglich ist.
Gleichzeitig wird man den Frauen nicht gerecht und auch dem ganzen Volk Gottes nicht gerecht, wenn man nicht endlich auch die Ämter-Theologie weiterentwickelt und das, was als Maximalforderungen bezeichnet wird, letztlich als geboten sieht. Denn die theologische Argumentation wird seit 50 Jahren geführt, aber die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Theologie werden vom kirchlichen Lehramt nicht rezipiert.
Ihr habt die Haare schön, sagt der Kardinal
Florin: Rom ist ein gutes Stichwort. In Ihrem Buch "Frauen stören" ist eine Szene, in der Sie die Facette männlicher Herrschaft sehr plastisch beschreiben. Sie waren vor zwei Jahren, im Mai 2019, zusammen mit mehr als 800 Ordensoberinnen im Vatikan eingeladen. Es gab unter anderem ein Treffen mit einem Kardinal, und Sie haben darüber gesprochen, ob Frauen Diakonin werden könnten. Der Vatikan hat eine Kommission eingerichtet, die das prüfen soll. Hören wir mal, was passiert ist, als Sie den Kardinal nach dieser Kommission gefragt haben.
"Als ich an die Reihe kam, stellte ich dem Kardinal die Frage, was denn die Kommission herausgefunden habe, die sich seit 2016 mit dem Frauendiakonat beschäftigt hatte. Auf einmal verfinsterte sich die Miene des vorher so unterhaltungsfrohen und zum Plaudern aufgelegten de Aviz. "Dazu kann ich nichts sagen. Ich habe mit der Kommission nichts zu tun." Punkt. Kein vermittelndes Wort, keine freundliche Erklärung.
Ich konnte gar nicht anders, als mich schlichtweg abgewürgt zu fühlen. Dann folgte ein Nachsatz im chauvinistisch paternalistischen Ton: "Wenn ich in Ihre Runde schaue, sehe ich, wie viel sich im Ordensleben verändert hat. So viele bunte Gewänder, so viele schön gestaltete Frisuren."
Innerlich kochte ich vor Wut. Am Ende der Sitzung schlug ich mich zum Podium durch und wartete geduldig, bis der Kardinal die zahlreichen Wünsche erfüllt hatte, sich mit ihm ablichten zu lassen. "Herr Kardinal, Herr Kardinal, würden Sie den Satz, den Sie vorhin über unsere bunten Ordenskleider und hübschen Frisuren gesagt haben, auch so sagen, wenn Sie zur Mitgliederversammlung der Vereinigung der Ordensoberen eingeladen wären? Würden Sie vor 850 Äbten, Generaloberen und Provinzialen wiederholen? Man könne den Fortschritt, den das Ordensleben in den letzten Jahrzehnten gemacht habe, daran erkennen, dass sie so bunt vor Ihnen setzen und so hübsche Frisuren hätten. Ich sehne mich nach einer Kirche, in der Frauen endlich ernst genommen werden und man mit uns auf Augenhöhe über Inhalte spricht statt über Äußerlichkeiten."
Sichtlich überrascht über meine Aufregung versuchte der Kardinal zu beschwichtigen. "Ich komme aus einer kinderreichen Familie, mit vielen Brüdern und Schwestern. Wir haben immer viel gestritten, das ist ganz normal. Da gab es keine Unterschiede." Bald dämmerte mir, dass es an dieser Stelle keinen Sinn haben würde, weiter zu diskutieren. Die Schlange der Schwestern, die den Kardinal persönlich sprechen wollten, war noch lang. Also verabschiedete ich mich mit den Worten "Machen wir weiter im Einsatz für das Reich Gottes." (Katharina Ganz: "Frauen stören")
Ich konnte gar nicht anders, als mich schlichtweg abgewürgt zu fühlen. Dann folgte ein Nachsatz im chauvinistisch paternalistischen Ton: "Wenn ich in Ihre Runde schaue, sehe ich, wie viel sich im Ordensleben verändert hat. So viele bunte Gewänder, so viele schön gestaltete Frisuren."
Innerlich kochte ich vor Wut. Am Ende der Sitzung schlug ich mich zum Podium durch und wartete geduldig, bis der Kardinal die zahlreichen Wünsche erfüllt hatte, sich mit ihm ablichten zu lassen. "Herr Kardinal, Herr Kardinal, würden Sie den Satz, den Sie vorhin über unsere bunten Ordenskleider und hübschen Frisuren gesagt haben, auch so sagen, wenn Sie zur Mitgliederversammlung der Vereinigung der Ordensoberen eingeladen wären? Würden Sie vor 850 Äbten, Generaloberen und Provinzialen wiederholen? Man könne den Fortschritt, den das Ordensleben in den letzten Jahrzehnten gemacht habe, daran erkennen, dass sie so bunt vor Ihnen setzen und so hübsche Frisuren hätten. Ich sehne mich nach einer Kirche, in der Frauen endlich ernst genommen werden und man mit uns auf Augenhöhe über Inhalte spricht statt über Äußerlichkeiten."
Sichtlich überrascht über meine Aufregung versuchte der Kardinal zu beschwichtigen. "Ich komme aus einer kinderreichen Familie, mit vielen Brüdern und Schwestern. Wir haben immer viel gestritten, das ist ganz normal. Da gab es keine Unterschiede." Bald dämmerte mir, dass es an dieser Stelle keinen Sinn haben würde, weiter zu diskutieren. Die Schlange der Schwestern, die den Kardinal persönlich sprechen wollten, war noch lang. Also verabschiedete ich mich mit den Worten "Machen wir weiter im Einsatz für das Reich Gottes." (Katharina Ganz: "Frauen stören")
Florin: Sie schreiben, es hat keinen Sinn, weiter zu diskutieren. Warum nicht?
Ganz: Heute würde ich sagen. Es hat schon Sinn, weiter zu diskutieren, und es muss weiter diskutiert werden, auch in der Art und Weise. Wie es jetzt auf dem Synodalen Weg geschieht: fundiert, differenziert, abwägend. Nur so kann es gehen. Gleichzeitig glaube ich, dass es Zeichen eines pastoralen Ungehorsams bedarf, wie wir das jetzt auch erlebt haben nach dem Responsum (Antwort) aus Rom zum Thema Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Da hat man ja wie selten zuvor oder nie zuvor gesehen, - seit ich lebe zumindest kann ich mich nicht erinnern -, dass 2600 Seelsorger, Seelsorgerinnen, Professoren, Professorinnen gesagt haben: "Selbstverständlich segnen wir Partnerschaften weiter". Sie haben einfach durch die Pastoral, durch ihre Aktion gezeigt, dass das kirchliche Lehramt vielleicht Macht hat, aber durch die Art und Weise, wie hier gesprochen wird, jegliche Autorität verspielt.
"Der Papst denkt in Geschlechter-Stereotypen des 19. Jahrhunderts"
Florin: Aber die Ordensfrauen, die Sie in dieser Szene beschreiben – es sind immerhin alles leitende Ordensfrauen, Chefinnen von Klöstern - möchten ein Selfie mit dem Kardinal. Ist nicht diese Devotheit, auch dieser Co-Klerikalismus, ein Problem?
Ganz: Selbstverständlich ist es ein Problem. Es gibt ja Klerikalismus nicht nur unter Geweihten, sondern sehr stark auch bei Laien. Diese Dimension muss noch viel stärker reflektiert werden. Und natürlich sind nicht alle Ordensfrauen einer Meinung. Es gab nicht unbedingt Beifall bei der Papstaudienz, wo ich dann auch Papst Franziskus gebeten hatte, die Frauenfrage noch mal neu zu bedenken. Die Frau, die nach mir ans Mikrofon trat, eine Generaloberin, hat erst mich quasi abqualifiziert und gesagt: "Das, was meine Vorrednerin gesagt hat, ist ja nicht so wichtig. Aber jetzt sage ich Ihnen mein Anliegen". Solange es keine Frauensolidarität gibt und solange wir es nicht schaffen, unsere Anliegen gleichberechtigt nebeneinander stehen zu lassen, solange wird sich auch in der Hierarchie das nicht verändern lassen.
Florin: Jetzt haben Sie eine andere Szene angesprochen. In Rom haben Sie im Mai 2019 nicht nur den Kardinal getroffen, von dem vorhin die Rede war. Sie hatten auch eine Audienz bei Papst Franziskus und dort ging es wieder um die Diakoninnenmöglichkeit. Sie haben ihm in Ihrem Statement gesagt, man solle in dieser Kommission, die diese Möglichkeit prüft, nicht die Vergangenheit untersuchen, sondern fragen, was heute gebraucht wird. Der Papst hat darauf in einer sehr eigenartigen Weise reagiert. Er hat erklärt: "Wir müssen die Offenbarung respektieren. Aber wenn eine von ihnen eine andere Kirche gründen will…" Der Rest des Satzes war nicht mehr zu verstehen. Diese Äußerung wurde vom Vatikan als Scherz gedeutet, ein etwas missglückter Scherz. Wie deuten Sie das eigentlich? Das war das doch ein Rausschmiss.
Ganz: Während der Audienz habe ich das selbst nicht so verstanden. Wir hatten eine schlechte Übersetzung. Ich habe das in der Situation nicht als Ohrfeige gesehen. Im Nachhinein natürlich schon. Papst Franziskus wird, ähnlich wie seine Vorgänger, was die Frauenfrage betrifft, keine entscheidenden Schritte nach vorne gehen. Er denkt selber ja auch in den Geschlechter-Stereotypen des 19. Jahrhunderts. Also dass Frauen einen eigenen Ort haben, ein eigenes Wesen haben. Er spricht sehr viel von der Mütterlichkeit. Da ist er ganz in diesem naturalistischen, essentialistischen Denken aus der Scholastik verfangen.
"Die eigene Tradition wird nicht kritisch reflektiert"
Florin: Aber das das ist immer der Knackpunkt, diese naturrechtliche Vorstellung. Platt gesagt: Weil Frauen eine Gebärmutter haben, haben sie ein besonderes Wesen. Aus diesem Wesen folgt eine besondere Bestimmung. Eine weltliche Vorstellung von gleicher Würde und gleichen Rechten gibt es in diesem Sinne nicht, weil das katholische Lehramt sagt: Das ist gar keine Diskriminierung, es ist eine wesensbedingte, gerechtfertigte Ungleichbehandlung. Das heißt doch: Sie reden permanent aneinander vorbei.
Ganz: Das stimmt. Es wird dann gesagt: "Wir sind hier in der Kirche keine Demokratie". Es wird eben so getan, als sei das, was über Frauen ausgesagt wird, eins mit dem Willen Gottes und dem überzeitlichen Willen Jesu Christi und der überzeitlich gültigen Schöpfungsordnung. Es wird nicht kritisch reflektiert, dass das, was die Kirche als überzeitliche, ewige Wahrheit erklärt in der Regel von Männern definierte Glaubenswahrheiten sind. Es ist die Deutungshoheit des Vatikan, zu sagen, was jetzt zum Beispiel göttlichen Rechts ist oder kirchlichen Rechts ist. Man reflektiert die eigene Tradition nicht kritisch.
Florin: Ist es eigentlich ein Vorteil, als Ordensfrau zu schreiben? Wird Ihnen dann mehr mehr Frömmigkeit oder mehr Glaubenstreue zugestanden?
Ganz: Ich höre immer wieder ermutigende Rückmeldungen, ob es jetzt nach der Predigt im Schlussgottesdienst des Ökumenischen Kirchentages ist oder durch meine Mitarbeit im Frauenforum (des Synodalen Wegs), dass man uns Ordensfrauen noch irgendwie als einen Zwischenstand ansieht, also zwischen den Klerikern und den Laien, obwohl wir kirchenrechtlich auch Laien sind. Aber Leute sagen: "Euch traut man noch zu, dass ihr das aus ganzer Überzeugung macht, was ihr tut. Ihr weiht euer ganzes Leben dieser Sache Jesu Christi. Man traut euch auch zu, dass ihr noch betet, dass ihr eine Spiritualität habt, dass ihr also nicht einfach nur politische, kirchenpolitische Forderungen stellt."
Ich glaube, dass deswegen auch unsere Äußerungen ein bestimmtes Gewicht haben. Als Leiterin einer Gemeinschaft - ich bin die geistliche Leiterin, ich bin letztlich auch in der Geschäftsführung letztverantwortlich - weiß ich natürlich, dass Frauen selbstverständlich in der Kirche leiten können und auch seelsorglich wirken oder priesterliche Verantwortung wahrnehmen können. Man sollte das auch durch eine sakramentale Beauftragung verstärken, dass selbstverständlich Menschen allen Geschlechtes sakramental Jesus Christus vergegenwärtigen können.
Ordensfrauen als Zwischenwesen?
Florin: Sehen Sie sich als "Zwischenwesen"? Oder ist das nur eine Zuschreibung?
Ganz: Das ist natürlich hauptsächlich eine Zuschreibung. Ich möchte eben auch nicht in diese Kategorien gesteckt werden. Unsere Kongregation hat sich bewusst entschieden in den 90er-Jahren, dass wir zivil gehen beziehungsweise das Ordenskleid nicht mehr konstitutiv ist für unsere Lebensform, weil wir von diesem Ständedenken weggehen wollten. Das Zweite Vatikanum hat dieses Ständedenken in Kleriker, Priester, Laien, Eheleute, Ordensleute überwunden. Dadurch sollte die Hierarchisierung auch überwunden werden.
Florin: Sie erzählen in Ihrem Buch die interessante Geschichte Ihrer Ordensgründerin Antonia Werr. Sie hat bei Würzburg Mitte des 19. Jahrhunderts eine, so hieß das damals "katholische Rettungsanstalt für verwahrloste Personen des weiblichen Geschlechts" gegründet, also für Frauen, die straffällig geworden waren. Das war, glaube ich, besonders schlimm, wenn Frauen strafffällig wurden. Also tiefer konnte man eigentlich nicht mehr fallen. Warum ist diese Frau heute wichtig?
Ganz: Für mich und meine Mitschwestern ist es natürlich wichtig, weil wir aus ihrem Geist heraus ihr Charisma, ihre Spiritualität und ihren Auftrag in unserer Zeit fortführen. Nach wie vor stehen wir an der Seite von Frauen in benachteiligenden Lebenssituationen. Ob das jetzt Frauen sind, die auf der Straße leben, die durch eine Krise abgestürzt sind oder Jugendliche, deren Eltern das Kindeswohl nicht garantieren können.
Antonia Werr ist für mich auch ein Vorbild, weil sie so kämpferisch in der Kirche war - und das in einer Zeit, wo Frauen ja noch weniger beachtet wurden. Sie sagte einmal: "In der katholischen Kirche habe ich keine Stimme und gelte so viel als tot." Und trotzdem hat sie in dieser Kirche ihre Stimme erhoben, sich, wir würden heute sagen intersektionell, an die Seite von noch benachteiligteren Frauen begeben, darin ihren gesellschaftlichen und kirchlichen Auftrag erkannt und ist eben nicht ausgetreten, sondern hat in der Kirche etwas Neues angefangen. Und das macht mir Mut auch für heute.
"Die Kirche beschneidet sich selbst"
Florin: Es gibt eine aufschlussreiche Kontroverse mit dem Klerus. Antonia Werr hat diesen Frauen die Lebensbeichte abgenommen. Das wurde als Eingriff in ein Männerrecht, in ein klerikales Recht gesehen vom Bischof. Wir hören jetzt, wie sich Antonia Werr gegen diese Vorwürfe wehrte, wie sie sich rechtfertigte.
"Man will es mir nehmlich zur Schuld anrechnen, dass ich mir die große, wahrhaft schwere Pflicht auferlegte, die Büßerinnen zu einer Generalbeicht vorzubereiten. Es wäre albern, einer Mutter verargen zu wollen, die ihr Kind auf dessen Fehler aufmerksam macht. Und für mich sollte es Sünde sein, bei diesen namenlos unglücklichen und besonders in der Religion ganz verkommenen Seelen alles zu tun? Was immer die Kirche mehr erlaubt, dabei jene christliche Bescheidenheit beobachtend, welche mir geziemt. Die oberhirtliche Stelle wird mir wohl so viel Lebenserfahrung und religiösen Sinn zutrauen, dass hiermit kein gewaltsames Eindringen in das Vertrauen der Büßerinnen beabsichtiget wird. Denn diese sind ja nicht gezwungen, sondern freiwillig in der Anstalt. Von Erzielung einer Besserung könnte ja gar keine Rede sein, wenn man selbst in dieser Beziehung ihre Freiheit beeinträchtigen wollte. Nein, es drängt sie von selbst, sich einer Seele anzuvertrauen, von der sie wissen, dass dieselbe alles für sie zu tun imstande ist."
Florin: Eine Frau, die eine Beichte, eine besondere Beichte abnimmt, und Kleriker, die dagegen sind, dass die Frau das macht. Was lernen Sie aus dieser Kontroverse für heute?
Ganz: Antonia Werr hat die Frauen auf die Beichte vorbereitet. Natürlich sind sie dann zum Priester gegangen, um auch das Sakrament der Lossprechung zu bekommen. Ich deute das heute so, dass Antonia Werr wirklich den Frauen helfen wollte, ihre gesamte Lebensgeschichte zu integrieren, um dann mit dem Zuspruch "Du bist weiterhin ein Kind Gottes", dann eben einen Neuanfang zu wagen. Mich selbst ermutigt das eben auch im Heute, dass Frauen pastorale Kompetenzen haben und Charismen und Berufungen, die wichtig sind.
Immer wieder höre ich auch von Gemeindereferentinnen und Pastoralreferentinnen, wie wichtig den Menschen ist, dass sie sich einer Frau anvertrauen können mit Dingen, die vielleicht so intim sind, dass sie das nicht einem Priester in der Beichte erzählen wollen. Indem Frauen aber von der Kirche nicht die Beauftragung bekommen, auch sakramental wirken zu können, beschneidet sich die Kirche letztlich in ihrer Fähigkeit, den Heilsdienst auszuüben.
"Viele Menschen gehen in die innere Emigration"
Florin: "Die Kirche", von der Sie gerade gesprochen haben, ist in diesem Fall die kirchliche Hierarchie, also die Leitungsebene, die nicht erlaubt, dass Frauen diese sakramentalen Vollmachten haben. Nun hat Papst Franziskus vor wenigen Tagen angekündigt, dass er die Weltkirche in einen Synodalen Prozess bringen will. Wenn man Familiensynode, Jugendsynode, Amazonas-Synode Revue passieren lässt, also die Synoden der vergangenen Jahre in seinem Pontifikat, dann ist da eigentlich außer viel Papier und vielleicht einem klerikalen Klassenfahrt-Gefühl nicht so viel rausgekommen. Was bedeutet diese Welt-Synode? Was kann sie anders machen als die bisherigen Synoden?
Ganz: Papst Franziskus hat in vielen Bereichen Prozesse angestoßen. Auch ich bin zum Teil etwas enttäuscht oder glaube auch nicht, dass er noch entscheidende Veränderungen in Gang setzt. Gleichzeitig glaube ich, dass die Prozesse, die er angestoßen hat, sich nicht mehr zurückdrehen lassen. Das lange Pontifikat von Johannes Paul II., in dem sehr viel wieder zurückgenommen worden ist, was an Aufbruchstimmung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil oder der deutschen Synode da war. Da braucht es auch wieder eine Zeit, um mehr Dialog und Synodalität in der Kirche zu fördern. Gleichzeitig schwindet auch bei vielen Menschen die Geduld: "Ja, wie lange sollen wir denn noch warten?"
Florin: Wie lange reicht Ihre Geduld?
Ganz: Ich sage immer wieder, auch in den Foren, beim Synodalen Weg oder in anderen Kontexten, wo ich mit Bischöfen zusammentreffe: Wenn das innerkirchlich nicht vorangeht und gebremst wird oder diese Scheibchentaktik nur ganz kleine Fortschritte bringt, dass sich die Menschen - da meine ich jetzt wieder die Kirche als Volk Gottes - ermächtigen werden, selbst eigene Wege zu gehen. Sie werden nicht mehr darauf warten, was man ihnen erlaubt vonseiten der Bischöfe oder verbietet. Sie werden es einfach tun. Es entstehen völlig neue Sozialformen des Christseins, die wir vor fünf Jahren so in der Dimension nicht hatten. Vielleicht ist das der Weg der Kirche in der Zukunft.
Florin: Die Zahl der Austritte ist hoch. Auch einstmals sehr engagierte Katholikinnen und Katholiken verabschieden sich. Warum sagen Sie nicht: Lasst die Jungs mal unter sich bleiben, lass sie doch spielen, ich gehe auch?
Ganz: Zunächst einmal bin ich ja Teil meiner Gemeinschaft. Wir haben hier viele Möglichkeiten, die ich vielleicht nicht hätte, wenn ich jetzt im Ordinariat angestellt wäre und immer noch einen Chef über mir hätte. Wir sind sehr frei in vielen Dingen und Entscheidungen. Natürlich nicht so sehr im Liturgischen. Also für jede Eucharistiefeier brauchen wir den Geistlichen. Und selbst wenn ich die Gelübde von Mitschwestern im Namen der Kirche entgegennehme, passiert das im Rahmen einer Eucharistiefeier. Und ich bin darauf angewiesen, wie sensibel der zelebrierende Priester ist, um uns da den Raum zu lassen als Gemeinschaft. Es gibt auch Grenzen, die ich schmerzhaft wahrnehme und unter denen auch die jüngeren Mitschwestern mehr leiden. Bei den Älteren erlebe ich auch, dass sie das eher nicht infrage stellen.
Ich erlebe den Spagat, und gleichzeitig möchte ich die Kirche nicht aufgeben zum jetzigen Zeitpunkt, weil ich ihr ja auch sehr viel verdanke und weil ich auch diese Mitverantwortung spüre. Ich bin selber getauft und gefirmt. Wir alle tragen dazu bei, welche Formen, welches Gesicht unsere Kirche annimmt. Da möchte ich meinen Beitrag zu leisten. Ich kann aber nicht sagen, was in fünf oder zehn Jahren ist. Ich erlebe auch Kolleginnen, Freundinnen, die sagen: Der Spagat, den sie innerlich immer wieder hinlegen müssen, ist so enorm. Viele, die wirklich auch noch bis dato sehr engagiert waren, gehen immer mehr in die Resignation oder innere Emigration. Sie machen äußerlich mit, verdienen ihr Geld auch bei Kirchen. Sie merken: Wenn sich nichts verändert, dann verabschieden sie sich innerlich oder dann eben auch äußerlich. Und das tut mir so leid. Die Kirche beschneidet sich selbst.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Katharina Ganz: "Frauen stören. Und ohne sie hat Kirche keine Zukunft."
Echter Verlag. 200 Seiten, 16.90 Euro.
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