"Man darf doch nicht drumherum reden, die Quoten waren wichtig, aber das Ziel muss Parität sein, Parität überall."
Eine klare Ansage, die Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich anlässlich von 100 Jahren Frauenwahlrecht gemacht hat. Von Parität, also quantitativem Gleichstand der Geschlechter, ist der Bundestag derzeit aber noch weit entfernt: Gerade einmal rund 31 Prozent der Abgeordneten sind weiblich. Es ist der geringste Frauenanteil seit mehr als 20 Jahren.
AfD-Fraktion mit elf Prozent Frauen
Die AfD hat mit rund elf Prozent den niedrigsten Frauenanteil. Bei der Union ist rund jede fünfte Abgeordnete weiblich; die FDP kommt auf weniger als ein Viertel - und das in dem Jahr, in dem sich die Einführung des Frauenwahlrechts zum einhundertsten Mal jährt. So war Parität auch bei der Feierstunde im Bundestag im Januar ein Thema. Christine Bergmann, ehemalige Bundesfrauenministerin der SPD:
"Wollen wir, liebe Frauen und Männer, darauf warten, dass die Einsicht in den Parteien wächst, dass sie ihr Defizit in der Umsetzung des Verfassungsgrundsatzes der Gleichberechtigung endlich beheben? Statt den Zustand zu beklagen, ist es an der Zeit, sich ernstlich mit einem Paritätsgesetz zu befassen."
Über die gesetzlichen Möglichkeiten, den Frauenanteil in den Parlamenten zu erhöhen, wird fraktionsübergreifend diskutiert, erzählt Britta Haßelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion der Grünen:
"Wie können wir diese Repräsentanz im Parlament durch Frauen auch verstärken? Da ist das Parité-Gesetz ein Schritt, den man gehen kann. Und darüber diskutieren wir jetzt zwischen den Frauen aus den verschiedenen Fraktionen. Und vielleicht kann sich ja dadurch, aus der Mitte des Parlamentes, auch eine Initiative entwickeln."
Familienministerin: "Es muss rechtlich was geändert werden"
Auch aus der SPD wird von einigen Zustimmung für gesetzliche Regelungen gefunkt. So sagte Justizministerin Katarina Barley in mehreren Interviews, das Ziel müsse eine Wahlrechtsreform sein, die eine gerechte Beteiligung von Männern und Frauen im Parlament unterstützt. Familienministerin Franziska Giffey äußerte sich bei einer Podiumsdiskussion im Januar zum Thema:
"Rechtlich muss was geändert werden. Auch zur Frage der Quotenregelung. Die Quote in den Aufsichtsräten hat sich verbessert, seitdem sie gesetzlich festgelegt ist. Da sind wir nämlich jetzt bei über 30 Prozent. Ohne eine gesetzliche Regelung wäre das heute immer noch nicht anders, da bin ich fest von überzeugt."
SPD, Grüne und Linkspartei haben je für sich schon lange eine verpflichtende Frauenquote. Fraglich ist nun, wenn man über Gesetze spräche, an welchem Gesetzbuch anzusetzen wäre. Als Vorbild beim Thema Parität wird oft Frankreich genannt: Dort müssen Parteien verpflichtend abwechselnd Männer und Frauen auf ihren Kandidatenlisten für Wahlen aufstellen.
Frankreich nur in Teilen Vorbild
Finanzielle Sanktionen für Parteien, die die Quoten nicht erfüllten, zeigten im Nachbarland allerdings keine große Wirkung, wie auch Justizministerin Katarina Barley im Deutschlandfunk feststellte:
"Dort haben über Jahre alle Parteien siebenstellige Beträge, also Millionenbeträge bezahlt, statt Parität herzustellen. Ich glaube dort, wo es möglich ist, ist es besser, Konsequenzen einzubauen, die sich wirklich aufs Wahlrecht beziehen. Zum Beispiel, wenn man keine quotierte Liste einreicht, dann wird man schlichtweg nicht zugelassen zur Wahl."
Entscheidend für eine Mehrheit im Bundestag wäre das Verhalten der Union. Und auch von hier lassen sich nun Frauen jedenfalls mit lautem Nachdenken zitieren: Eine Wahlrechtsreform, wie Katarina Barley sie andeutet, wäre das letzte Mittel, sagt Annette Widmann-Mauz, die Vorsitzende der Frauen-Union. Erst müssten Reformen innerhalb der Parteien sowie Änderungen im Parteiengesetz und im Parteienfinanzierungsgesetz erörtert werden:
"Und zuletzt, wenn all dies nicht gelingt, ist natürlich auch die Frage, wie gestalten wir unser Wahlrecht? Eröffnen wir Frauen zum Beispiel die Möglichkeit, dann auch gleichberechtigt auf den Sitzen im Parlament Platz zu nehmen, durch Doppelwahlkreise oder eine paritätisch besetzte Liste. Auch das sind Optionen, über die wir reden."
FDP sieht Prinzip der Stimmengleichheit bedroht
Als erstes Bundesland hat Brandenburg Ende Januar die paritätisch besetzte Liste eingeführt. Die Parteien sind verpflichtet, auf ihren Kandidatenlisten für die Landtagswahl nach dem Reißverschlussprinzip gleich viele Frauen und Männer aufzustellen. CDU und AfD hatten dagegen gestimmt und Verfassungswidrigkeit angeführt. Die Brandenburger Piraten und die Jugendorganisation der Brandenburger Liberalen haben Verfassungsbeschwerden angekündigt.
Die Neuregelung in Brandenburg gilt nicht für die Direktkandidatinnen und Direktkandidaten - und das ist einer der wesentlichen Knack-, sprich Kritikpunkte. Eine Möglichkeit, auch dort Parität herzustellen, wäre ein Tandem-Modell. Dafür würden die Wahlkreise vergrößert und zwei Kandidaten, eine Frau und ein Mann, aufgestellt. Ob solch eine Regelung aber verfassungskonform ist und die Gleichheit der Stimmen wahrt, ist ebenfalls fraglich. Unter anderem die FDP hatte generell Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Quotierungen und Wahlrechtsänderungen im Sinne der Parität geäußert. Parteichef Christian Lindner:
"Wir haben den Grundsatz der gleichen, freien und geheimen Wahl. Eine entsprechende Einschränkung und Quotierung halte ich nicht mit dem Grundgesetz, den Wahlrechtsgrundsätzen für vereinbar."
Unions-Frauenpolitikerin: Diskurs für "Monate, Jahre"
Grünen-Parteivorsitzende Annalena Baerbock gab sich jüngst bei einer Podiumsdiskussion trotzdem optimistisch und erinnerte an die Einführung des Frauenwahlrechts:
"Und natürlich wird es diejenigen geben, die sagen, es geht rechtlich nicht. Natürlich wird es am Ende Verfassungsklagen geben. Aber da finde ich, müssen wir uns an 1918 erinnern. Dieses Recht ist erst gekommen, indem man Recht verändert hat. Ansonsten müsste man ja nichts tun. Und deswegen: Natürlich wird es eine rechtliche Debatte geben; aber im Zweifel muss man dann auch Artikel 38 des Grundgesetzes ändern. Aber ich bin positiv, es geht auch ohne Grundgesetzänderung, und deswegen werden wir ein Parité-Gesetz an der Stelle einbringen."
Der Zeitpunkt ist gut - denn das Wahlrecht soll ohnehin reformiert werden. Schon lange geht es dabei um die Abschaffung der Überhangmandate, die den Bundestag zuletzt sehr groß werden ließen. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sitzt an Vorschlägen. Hier setzt Yvonne Magwas, Vorsitzende der Gruppe der Frauen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an:
"Wir als Union sagen, wenn wir das Thema Wahlrechtsreform angehen, dann darf es nicht nur im Wortlaut 'Der Bundestag soll kleiner werden' (sein), nein der Bundestag soll auch mit einem höheren Frauenanteil versehen sein. Das muss mit Berücksichtigung finden. Wie konkret dann eventuell eine Wahlrechtsreform sein soll, welche Möglichkeiten es gibt, den Frauenanteil zu erhöhen, ich glaube, das muss ein Diskurs in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren werden."
Was die Arbeitsgruppe über den Frauenanteil denkt, ist nicht bekannt, sie hat Stillschweigen vereinbart. Der Deutsche Frauenrat fordert unter dem Aufruf #mehrfrauenindieparlamente, dass vor allem die weiblichen Abgeordneten einer Wahlrechtsreform ohne Parität nicht zustimmen sollten: Das könnte ein Prüfstein werden, wie ernst es die Paritäts-Anhängerinnen in der großen Koalition und insbesondere in der Union meinen.
Selbst Wolfgang Schäuble besorgt
Immerhin: Bundestagspräsident Schäuble mahnte die Problematik bei der Feierstunde zum Frauenwahlrecht im Januar an:
"Wohlwissend auch, dass es mit Blick auf die Gleichstellung von Männern und Frauen noch einiges zu tun gibt, nicht zuletzt in Politik und Parlament. Der gesunkene Anteil von Frauen in diesem Haus, ihre unterdurchschnittliche Beteiligung in allen Parteien, die viel zu geringe Zahl von Bürgermeisterinnen und Landräten erinnern uns daran."
Wie es auch Bundeskanzlerin Merkel in Bezug auf sich selbst als Frau in einer politischen Führungsposition sagte: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Aber der Sommer wird wohl keine weiteren einhundert Jahre auf sich warten lassen.