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Gleichstellung in der Wissenschaft
Frauen erhalten weniger Anerkennung

Wissenschaftlerinnen veröffentlichen weniger Studien als ihre männlichen Kollegen. Doch eine aktuelle Studie zeigt: Frauen tragen nicht etwa weniger zur Forschung bei – ihre Leistung werden nur häufiger übersehen.

Von Anneke Meyer | 23.06.2022
Eine Forscherin arbeitet im Labor des Pharmaherstellers Biogen in Cambridge, Massachusetts. Die Firma hat die Zulassung für ein Alzheimer-Medikament bekommen
Publikationen sind in der Forschung eine harte Währung. Sie sind der wissenschaftliche Verdienst. Frauen stellen laut einer Studie zwar die Hälfte der wissenschaftlichen Arbeitskräfte, aber nur ein Drittel der Autorenschaften. (dpa / Biogen / David A. White)
Es ist kein Geheimnis, dass Frauen gemessen an wissenschaftlichen Publikationen weniger erfolgreich sind als ihre männlichen Kollegen, aber so schwarz auf weiß gab es die Zahlen dafür bisher nicht:
“Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau auf einer Veröffentlichung steht, zu der sie als Mitglied eines Forschungsteams beigetragen hat, ist ungefähr 13 Prozent geringer als für einen männlichen Kollegen. Wenn man sich auf Publikationen in High-Impact-Journals konzentriert oder Patente anguckt, ist der Unterschied sogar noch größer.“
Raviv Murciano-Goroff ist Co-Autor einer umfassenden Analyse, die sich auf die Daten von fast 10.000 Arbeitsgruppen an 77 US-amerikanischen Universitäten und Hochschulen stützt. Sie stammen aus den Jahren 2013 bis 2016.

Deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern

Publikationen sind in der Forschung eine harte Währung. Sie sind der wissenschaftliche Verdienst. Je mehr, desto besser. Der so genannte „Gender Publication Gap“ - also, dass Frauen insgesamt weniger wissenschaftliche Artikel veröffentlichen als Männer - ist ein bekanntes, internationales Phänomen. Auch bei Publikationen, die an Deutschen Forschungseinrichtungen entstehen, sind, genau wie in der US-amerikanischen Stichprobe, nur ein Drittel der als Autoren gelisteten Personen weiblich.
„Die Daten zeigen keine Kausal-Zusammenhänge auf, wir können also nicht sagen, die Ursache ist strukturelle Diskriminierung. Aber was unsere Daten jetzt sicher zeigen, ist: Bei gleicher Arbeitszeit, im selben Labor und gleichem akademischen Grad, gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern.“
Das legt den Schluss nahe: Frauen bekommen für die gleiche Arbeit weniger Publikationen, weniger Anerkennung.
“The key thing here was seeing who was missing, So who did we who do we never see?”
Bisher sei dieser Mangel an Anerkennung oft unter den Tisch gefallen, einfach weil es so schwierig ist, systematisch etwas zu zeigen, das nicht da ist, erklärt Julia Lane. Sie ist Professorin an der New York University und hat die Studie geleitet. Die untersuchten Daten erlaubten zum ersten Mal, Aussagen über die fehlenden Datenpunkte zu machen, zu zeigen wer nicht auf Publikationen auftauche.
“And this is the first data set that where we see who is missing.”
In bisherigen Untersuchungen war der Gender Publication Gap vor allem dadurch erklärt worden, dass Frauen mehr familiäre Verpflichtungen annehmen und dadurch weniger Zeit zum Forschen haben. Dafür sprechen unter anderem Studien, die zeigen, dass gerade während der ersten Corona-Welle, als die Kindergärten und Schulen geschlossen waren, Frauen weniger publizierten, während Männer mehr veröffentlicht hatten.
„Die Gutachter unserer Studie haben uns an diesem Punkt sehr auf den Prüfstein gestellt – zu Recht. Denn natürlich ist die erste Sache, an die man denkt: Kinder-Karriere-Knick. Aber wir hatten so umfassende administrative Daten zur Verfügung, dass wir eigentlich für alles kontrollieren konnten. Und es war wirklich überraschend, wie robust unsere Ergebnisse waren.“

Forscherinnen berichten von Benachteiligung

Mit kleineren Abweichungen zwischen Fachbereichen stellten Frauen demnach die Hälfte der wissenschaftlichen Arbeitskräfte, aber nur ein Drittel der Autorenschaften. In einer zusätzlichen Befragung von knapp 2.600 Forschenden aus der untersuchten Stichprobe berichteten Frauen deutlich öfter als Männer, dass sie bei einer Publikation zu Unrecht nicht berücksichtigt worden wären. Jede zweite Wissenschaftlerin hatte erlebt, dass ihr Beitrag zu einer Forschungsarbeit nicht beachtet worden war.
Trotzdem warnt Julia Lane davor, die Ergebnisse der aktuellen Untersuchung als systematische Diskriminierung von Männern gegenüber Frauen darzustellen.
„Ich denke, das wirkliche Thema hier ist schlechtes Management. Niemand ist hier bewusst der böse Bube. Die Wissenschaft ist in relativ kurzer Zeit ein großes Unternehmen geworden. Und was wir dabei nicht gelernt haben ist, wie man eigentlich mit Menschen umgeht. Wir wollen Möglichkeiten schaffen, die Menschen zu sehen, die Teamarbeit und die Organisation von Forschung. Wir könnten Wissenschaft besser machen, wenn wir besser auf die Leute achten, die sie betreiben.“
Die Daten zeigen, dass Frauen bei der Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leistung schlechter gestellt sind. Sie zeigen aber ebenso, dass auch Männer oft ungerecht behandelt werden. Wer unter welchen Umständen wo auf einer Veröffentlichung steht, dafür gibt es keine allgemein gültigen, festgelegten Regeln. Weder in den USA noch in Europa. Das System hier transparenter zu gestalten, könnte ein Weg sein, mehr Gerechtigkeit für alle zu schaffen und gleichzeitig für die Ungleichbehandlung der Geschlechter zu sensibilisieren