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Gleichstellung von Mann und Frau
"Man muss wirklich mit der ganzen Gesellschaft arbeiten"

Schweden gilt als Musterland in Sachen Gleichberechtigung. Doch fast jede zweite Schwedin soll schon mal Opfer von Gewalt gewesen sein. Gewalt von Männern gegen Frauen sei ein systematisches Problem, sagte die schwedische Gleichstellungsministerin Åsa Regnér im DLF. Dem will sie nun schon ab dem Kindergarten vorbeugen.

Åsa Regnér im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Åsa Regnér schaut auf ihrem offiziellen Regierungsbild konzentriert in die Kamera
    Gleichberechtigung sei nie irgendwie nur plötzlich da, sagte Åsa Regnér, die schwedische Ministerin für Kinder, Senioren und Gleichstellung im DLF. (Kristian Pohl/schwedische Regierung)
    Sarah Zerback: Die erste feministische Regierung der Welt – so bezeichnet sich die rot-grüne Minderheitsregierung Schwedens selbst und setzt damit einen Akzent, den internationale Vergleiche in schöner Regelmäßigkeit bestätigen. Schweden bietet Frauen neben Finnland und Norwegen die besten Arbeitsbedingungen der Welt, immer mehr Frauen sitzen dort auf Chefsesseln, verdienen sogar mehr als Männer. Fast die Hälfte der Abgeordneten ist weiblich und auch in Sachen Menschenrechte und Sicherheit für Frauen liegt Schweden regelmäßig auf den ersten Plätzen.
    Und doch gibt es da auch diese andere Zahl. Fast jede zweite Schwedin ist schon mal Opfer von Gewalt geworden. Zum Vergleich: In Südeuropa ist es nur etwa jede zehnte, in Deutschland jede vierte. Darüber habe ich jetzt Gelegenheit zu sprechen mit der Ministerin für Gleichberechtigung in Schweden, mit der Sozialdemokratin Åsa Regnér. Guten Tag!
    Åsa Regnér: Guten Tag!
    Zerback: Schweden also ganz vorne mit dabei in Sachen Feminismus, aber auch was Gewalt gegen Frauen betrifft. Frau Regnér, wie passt das zusammen?
    Regnér: Wir haben schon in Schweden ein Problem, wenn es um Gewalt geht, und vor allem die Level der Gewalt sind nicht gesunken während der letzten zehn Jahre oder so. Allerdings glaube ich auch, dass man die Zahlen etwas in Frage stellen muss. Zum Beispiel ist es so, dass Frauen in Schweden ihre Erfahrungen melden, bei der Polizei, und die Polizei, würde ich sagen, nimmt auch die Meldungen wahr. Außerdem haben wir auch Gesetze, die viele Handlungen als kriminelle Handlungen bezeichnen, die in anderen Ländern eben nicht kriminelle Handlungen sind. Deswegen glaube ich, dass die Statistiken vielleicht nicht ganz wahr sind.
    "Unser Problem ist, dass es Gewalt gegen Frauen in Schweden gibt"
    Zerback: Ist die Sensibilität für das Thema generell höher bei Ihnen in Schweden?
    Regnér: Ich glaube, wir haben eine Öffentlichkeit und ein Gespräch in Schweden vor allem seit den letzten zehn Jahren oder so über Gewalt, dass sich Frauen und Männer jetzt auch trauen, über Gewalt zu sprechen. Und ich glaube deswegen, dass es manchmal etwas schwierig ist, Gewalt in unterschiedlichen Ländern zu vergleichen. Aber das spielt eigentlich keine Rolle. Unser Problem ist, dass es Gewalt gegen Frauen in Schweden gibt, und das sollte es nicht geben. Deswegen haben wir jetzt von der Seite der Regierung eine Strategie vorgestellt, mit vielen Maßnahmen, um eigentlich im Kindergarten zu beginnen mit Maßnahmen zur Prävention der Gewalt.
    Zerback: Nennen Sie doch mal ein paar Maßnahmen. Was tun Sie da konkret, um das präventiv zu verhindern?
    Regnér: Wir haben schon seit 10, 15 Jahren oder so viele Projekte gehabt, wo man Methoden entwickelt hat, wie man zum Beispiel Gleichberechtigung im Kindergarten oder Schulen unterrichtet. Was heißt Gleichberechtigung? Wie gehe ich mit Jungen oder Mädchen um? Wie kann ich Konflikte lösen? Was heißt Respekt unter Jugendlichen? Wie gehe ich mit Sexualität um? Wie gehe ich mit großen Gefühlen um und so weiter? Und wir haben schon Erfahrungen und gute Methoden entwickelt, aber eigentlich nur als Projekte oder kleine Inseln, sagen wir mal, in der Gesellschaft.
    Jetzt führen wir das alles zusammen und machen ein nationales Programm im Kindergarten, in der Schule, im Sportverein, an Arbeitsplätzen, weil es um die Vorbeugung der Gewalt geht, aber auch um Gleichberechtigung. Gleichberechtigung ist eigentlich ein Freiheitsprojekt, so wie ich das sehe, und das ist eigentlich Freiheit für Frauen, aber auch für Männer, und deswegen wollen wir das mehr systematisch unterrichten.
    Zerback: Gleichzeitig haben Sie ja auch ein Pflichtfach unter anderem durchgesetzt an der Universität. Das nennt sich "Männergewalt gegen Frauen". Jetzt ist es aber auch so, dass es Studien gibt, die sagen, gerade in Beziehungen, da gibt es auch viele Frauen, die Gewalt anwenden. Da steigen die Zahlen. Zumindest in Deutschland ist es etwa so, dass mittlerweile jedes fünfte Opfer in Beziehungstaten männlich ist. Was ist mit denen, was tun Sie für die?
    Regnér: Ich denke immer noch, das große Problem in Beziehungen oder im Leben der Frauen in Schweden ist, dass Frauen nicht sicher sind in ihren eigenen Häusern oder Wohnungen. Das Problem ist eigentlich systematisch von Seiten der Männer gegen Frauen, weil es immer noch Männer gibt, die Gewalt als Kontrolle verwenden, und das ist bei uns das große Gesellschaftsproblem, würde ich sagen.
    "Unser Gesellschaftsproblem in Schweden ist Gewalt von Männern gegen Frauen"
    Zerback: Ein Gesellschaftsproblem, aber eines, für das nicht nur die Gesellschaft die Lösung suchen muss, sondern für das auch die Politik die Rahmenbedingungen stecken muss.
    Regnér: Ja, natürlich! Und deswegen glaube ich, dass man überhaupt Maßnahmen für Gleichberechtigung einsetzen muss, aber auch besondere Maßnahmen, wenn es um Prävention der Gewalt geht. Aber natürlich: Wenn es gewalttätige Frauen gibt, dann muss man auch was dagegen tun. Die Gesetze sind auch für Frauen da. Aber unser Gesellschaftsproblem in Schweden ist Gewalt von Männern gegen Frauen, um Frauen zu kontrollieren.
    Zerback: Sie sprechen jetzt davon, die Gesellschaft zu verändern, Normen auch zu überwinden. Das sagt sich natürlich immer leichter, als es dann ganz praktisch umzusetzen ist. Jetzt haben Sie die Bildung genannt. Auf welche Weise wollen Sie denn noch das Problem angehen?
    Regnér: Zum Beispiel wird es jetzt Pflicht für Ärzte, Lehrer, Polizei, Psychologen etc., Kenntnisse zu haben über Gewalt gegen Frauen. Das wird jetzt introduziert in akademischen Berufen. Das ist eine konkrete Maßnahme.
    Aber ich glaube, im Allgemeinen geht es auch darum, Maßnahmen fortzusetzen, so dass Frauen so wie Männer ihre eigenen Einkommen haben, dass sie ihr eigenes Leben wirklich wählen können, dass Kinder Kontakt haben zu Vätern und zu Müttern etc. etc. Man muss wirklich mit der ganzen Gesellschaft arbeiten. Unsere Erfahrung ist, dass Gleichberechtigung nie irgendwie nur plötzlich da ist. Es ist nichts Automatisches, sondern es ist Ergebnis politischen Willens und politischer Entscheidungen.
    Zerback: Da gab es ja, muss man sagen, in den letzten Jahrzehnten viel politischen Konsens bei Ihnen und viel Willen. Da ist ja vieles trotzdem auch richtig gelaufen. Aber wie würden Sie das denn aktuell einschätzen, durch den erstarkenden Rechtspopulismus, den ja nicht nur wir in Deutschland, sondern Sie auch in Schweden erleben? Die alten Rollenbilder, werden die durch die Schweden-Demokraten wieder ganz neu propagiert? Ist das eine neue Herausforderung?
    Regnér: Ich finde das ganz interessant, weil diese Partei eine fremdenfeindliche Partei ist. Die Schweden-Demokraten sagen auf der einen Seite, dass sie hinter schwedischen Werten stehen, wie sie sagen, so wie Gleichberechtigung, und da meinen sie, das ist irgendwas Schwedisches, Organisches irgendwie, und das ist typisch für Schweden.
    Auf der anderen Seite: Wenn man ihr Programm liest, dann sind sie gegen alle die Maßnahmen, die zur Gleichberechtigung in Schweden geführt haben. Zum Beispiel sind sie gegen unser Gesetz bei Schwangerschaftsabbrüchen. Sie sind gegen individuelle Besteuerung. Sie sind gegen unsere Diskriminierungsgesetze oder vor allem unseren Diskriminierungs-Ombudsmann. Sie sind für Pflegegeld und Hausfrau-Ideen, sagen wir mal. Und ich finde, in vielen Ländern in Europa ist es jetzt sehr wichtig, nicht nur die Flüchtlingspolitik zu analysieren, sondern auch die Gleichberechtigungsprogramme dieser Art von Parteien.
    "Unser Programm zur Prävention der Gewalt ist ja für die ganze Bevölkerung"
    Zerback: Das hören wir in Deutschland auch ähnlich, ähnliche Argumente von der AfD, von der Alternative für Deutschland, und bei uns in Deutschland wird das natürlich befeuert, diese Argumentation, unter anderem durch ein Ereignis wie die Kölner Silvesternacht im vergangenen Jahr. Auch Schweden hat da Ähnliches erlebt. Was tun Sie denn dagegen?
    Regnér: Wir haben ein besonderes Programm, einen Teil davon für neu angekommene Flüchtlinge, unbegleitete Kinder, die nach Schweden gekommen sind. Da haben wir eine Webpage gemacht mit Informationen über Gesetze in Schweden, wie Männer und Frauen umgehen in Schweden, was man erwartet in Schweden, wenn es um Beziehungen geht, wenn es um Freiheit geht, wenn es um das Recht, mein Leben zu entscheiden, geht und so weiter. Das ist so ein Act und das kann man runterladen, zum Beispiel aufs Handy, und das wird auch gemacht.
    Zerback: Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche. Ist das etwas, was Sie nur Migranten und Flüchtlingen empfehlen würden, oder empfehlen Sie das auch schwedischen Männern?
    Regnér: Das ist in allen Sprachen. Aber wie gesagt, das wird jetzt ein Teil unseres Programms. Unser Programm zur Prävention der Gewalt ist ja für die ganze Bevölkerung. Das ist ein Teil des Programms. Ich glaube nämlich, man muss die Gesellschaft kennen und verstehen, und bei dieser Webpage haben auch Flüchtlingsjungen mit diesem Hintergrund mitgemacht und haben auch beraten sozusagen, was braucht man, was muss man wissen als Neuer in Schweden, wenn man aus ganz unterschiedlichen Traditionen kommt, wenn es um Frauen und Männer geht.
    Zerback: Aber unterm Strich: Schweden ist doch kein Paradies für Frauen?
    Regnér: Es ist kein Paradies, nein. Das ist kein Paradies und die zwei größten Probleme, die wir haben, das sind Lohnunterschiede und vor allem strukturelle Lohnunterschiede zwischen verschiedenen Berufen, frauendominierte und männerdominierte, und Gewalt. Die zwei Gebiete sind die größten Herausforderungen, würde ich sagen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.