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Gletscherschmelze in Grönland
Das Eis im Nordosten wird dünner

In Grönland schmelzen die Gletscher - nun auch im kalten Nordosten. Nach Angaben von Wissenschaftlern kann sich nicht einmal mehr dieser Küstenabschnitt gegen die Erwärmung stemmen. Der grönländische Eisschild verliert an Masse.

Von Volker Mrasek |
    Forschungsschiff und Eisbrecher "Polarstern" vor Norwegen
    Erste Daten einer Expedition an Bord des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern zeigten, auch im Nordosten Grönlands schmilzt das Eis. (imago / McPhoto / Bäsemann)
    Die meisten zieht es im Sommer in den heißen Süden. Thomas Kanzow dagegen verbrachte den Juli und August zuletzt in Eiseskälte. Der Ozeanograph vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung leitete eine Expedition an Bord des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern. Sie führte Kanzow und andere Wissenschaftler fast bis auf 80 Grad Nord in die Framstraße an der Nordostküste von Grönland.
    "Wir hatten eigentlich gedacht, dass wir in einem System arbeiten würden, was noch stabil ist im Vergleich zu den Gletschern im südlichen und westlichen Grönland. Eben weil es so weit nördlich liegt, dass die Erwärmung vielleicht dort noch nicht so weit fortgeschritten ist."
    Inzwischen haben die Forscher aber erste Daten ihrer Expedition ausgewertet. Und die zeichnen ein anderes Bild. Demnach hat der Verlust von Gletschereis ans Meer mittlerweile alle Küstenabschnitte Grönlands erfasst. Offenbar kann sich nicht einmal mehr der kalte Nordosten gegen die Erwärmung stemmen:
    "Wir können nach den Erkenntnissen, die wir jetzt haben, nicht mehr davon ausgehen, dass sich dieses System im Gleichgewicht befindet. Und wir sollten eigentlich davon ausgehen, dass auch entlang der Berandung von Nordost-Grönland der grönländische Eisschild Masse verliert."
    Warmes Atlantikwasser gelangt ins Europäische Nordmeer
    Zwischen Island und Norwegen strömt ständig warmes Atlantikwasser ins Europäische Nordmeer. Ein Teil davon macht wieder kehrt und fließt durch die Framstraße zurück nach Süden. Auf diesem Weg gelangen immer größere Wärmemengen in die Arktis.
    Aus Messreihen vor Ort gehe hervor, "dass sich dort die Temperaturen dieses warmen Einstroms um etwa ein knappes Grad Celsius erhöht haben seit den späten 90er Jahren. Und wir sehen eben auch, dass dieser Rückstrom, dieser südwärtige Strom, sich ähnlich erwärmt. Etwa 0,5 bis 0,8 Grad Celsius."
    Durch diese Wärmezufuhr schmilzt nun offenbar auch das Eis in der Nordost-Ecke Grönlands. Für Torsten Kanzow und seine Kollegen zeigt sich das am sogenannten 79-Grad-Nord-Gletscher. Obwohl das wärmer gewordene Atlantikwasser in der Framstraße nicht an der Oberfläche zurückfließt, sondern in über einhundert Metern Tiefe, kann es dennoch in Kontakt mit dem gewaltigen Eisstrom treten. Die Forscher glauben jetzt herausgefunden zu haben, wie das funktioniert. Im flachen, vorgelagerten Küstenschelf der Region gebe es Vertiefungen. Kanzow nennt sie auch "Tröge". Durch sie könne das warme Atlantikwasser wie auf einer Rampe aufsteigen und nach oben gelangen ...
    "Die Vertiefungen im Schelf sind teilweise eben noch tiefer, so dass das Atlantikwasser es schaffen kann, auf den Schelf zu gelangen und dort dann auch weite Strecken über mehrere hundert Kilometer zurückzulegen, bis es an die grönländische Küste kommt. Und wir haben auch im Prinzip nachweisen können, weil wir die erste Expedition gewesen sind, die mit einem Forschungsschiff dort vor Ort sein konnte, auf welche Weise und wo auch genau das Atlantikwasser unter diese Gletscher einströmt."
    Der 79-Grad-Nord-Gletscher hat eine Eiszunge, die sich weit aufs Meer in die Framstraße hinausschiebt. In jüngster Zeit könnte sie um fast 100 Meter dünner geworden sein, zumindest stellenweise. Das sind aber nur vorläufige Abschätzungen auf der Basis erster Messungen vor Ort.
    Expeditionsleiter Kanzow hat aber keinen Zweifel daran, "dass sich dieser Gletscher auf dem Rückzug befindet."
    Scheinbar ist es jetzt also so weit: Es gibt keinen Küstenstrich mehr auf Grönland, der sein Gletschereis noch zusammenhalten kann. Das sei im Grunde nur eine Frage der Zeit gewesen, sagt der renommierte Schweizer Klimaforscher Thomas Stocker:
    "Das ist eigentlich das, was die Modelle schon seit Jahren sagen: Wenn die globale Erwärmung fortschreitet, dann ist vor allem auch die Arktis betroffen, und das sind alle Regionen der Arktis. Es wird auch wieder Jahre geben, wo wir eine viel kleinere Verteilung der Schmelzwassergebiete im Sommer auf Grönland haben, aber die Tendenz ist klar und offensichtlich Grönland ist in einer Schlankheitskur."