Zunächst wird Leonard Bernstein zur Wiederkehr seines 100. Geburtstags mit "West Side Story" geehrt. Im Glimerglass hat man dabei musikalisch und szenisch mit Akribie die Fassung von 1957 rekonstruiert, selbstverständlich ohne elektronische Verstärkung. Die vielen Anleihen an Igor Strawinsky einerseits, aber auch den raffinierten Jazz-Sound arbeitet das Glimmerglass Orchester unter David Charles Abell präzise heraus. Die Festival-Intendantin Francesca Zambello hat selbst inszeniert und den Schluss ein wenig geändert. Die verfeindeten Gangs vertrauen sich auch zum Schluss nicht.
"Der Schluss ist traurig. Natürlich haben Bernstein und Arthur Lawrence gesagt, dass die zwei Gangs zusammenkommen. Aber für mich ist das nicht möglich. Wir sind so 'divided' in Amerika. Und ich weiß nicht, wie es einen Weg gibt, dass die Leute zusammen sein können. In Amerika haben wir diese hässliche Situation gegen alle Immigranten, wir haben eine Mauer. Wir haben viele Diskussionen über diese Themen: refugees, immigration und Puerto Rico. Und Die Hälfte der Besetzung ist aus Puerto Rico. Ein Lied in 'West Side Story' besagt, Puerto Rico ist in Amerika, aber niemand denkt darüber nach."
Young-Artists-Programm und Artist in Residence
Wichtig für Glimmerglass ist das Young-Artists-Programm. Es macht Glimmerglas zu einem Treffpunkt für Nachwuchskünstler, Operndirektoren und Agenten. Die Ausweitung dieses Programms 2018 bestimmt aber auch die Auswahl der Opern. Es sind alles große Ensemblestücke. Das gilt auch für Leos Janaceks "Schlaues Füchslein". Nur ein einziger Star, der Sänger Eric Owen, gleichzeitig Artist in Residence, steht den Nachwuchskünstlern gegenüber, wie eine Art Mentor.
Für Francesca Zambello hat auch die Auswahl dieser Oper eine politische Bedeutung, gerade mitten in einer landschaftlich so unberührt erscheinenden Seenlandschaft wie in Glimmerglass ist Natur ein brennendes Thema:
"Wir sind auch im Zentrum von einem großen Konflikt: Wasser und Fracking. Ich habe gedacht: Machen wir Füchslein, dann haben wir viele Diskussionen über nature, conservation, envirement."
Uraufführungen gibt es 2018 keine in Glimmerglass, aber eine Oper des 21. Jahrhunderts, die in den USA schon öfter aufgeführt wurde. Kevin Puts "Silent Night", eine Oper über ein Ereignis im Ersten Weltkrieg, in dem französische, schottische und deutsche Soldaten an der Kriegsfront zu einer gemeinsamen Weihnachtsfeier zusammenkamen. Gesungen wird in drei Sprachen und in der Inszenierung von Tomer Zvulun, die bereits beim Wexford Festival gezeigt wurde, wird auf drei Ebenen simultan gespielt.
Die erste Szene in Deutschland, in der Berliner Staatsoper, wo ein gefeiertes Sängerpaar durch einen Einberufungsbefehl getrennt wird. Auf der Ebene darüber ein Brüderpaar aus Schottland, das sich freiwillig meldet, während darunter der französische Leutnant Audebert lieber seiner schwangeren Frau beistehen würde, als zu einem Einsatz abkommandiert zu werden. "Silent Night", eine Oper des 21. Jahrhunderts, wenn auch immer wieder an Filmmusik erinnernd, durchaus musikalisch sehr ambitioniert, fand das größte Publikumsinteresse.
"Barbier von Sevilla" und Liederabend mit Hampson
Traditionelle Oper bietet in Glimmerglass streng genommen nur Giachino Rossinis "Barbier von Sevilla", ebenfalls von der Festspiel-Intendantin sehr vergnüglich inszeniert. Ein Figaro der direkt aus dem Publikum auftaucht und die Verhältnisse auf der Bühne zum Drehen bringt.
Und dann ist da noch der Liederabend, eigentlich eine Ein-Mann-Show, die der Bariton Thomas Hampson in Glimmerglass begonnen hat und die ihn in alle 50 Bundesstaaten bringen wird: "Beyound Liberty".
"Dieses Projekt hat keine politische Botschaft, aber die Botschaft politisch und gesellschaftlich zu denken, aufzuwachen, wahrzunehmen, was Leben heißt, Entscheidungen zu treffen, vernünftige Wahlentscheidungen. Und vor allem das amerikanische Lied hat einen direkten Bezug zur Geschichte. In Amerika ist unser Liedgut tatsächlich verbunden mit unserer werdenden Kultur, das heißt alle 10, 15 Jahre unserer Existenz kann man Dichter und Komponisten zuhören, was sie meinten über das Amerika-Werden. Und das ist eigentlich der Kernpunkt dieses Projekts. Freiheit ist nicht ein Geschenk. Freiheit ist natürlich zu bewahren, zu pflegen und manchmal auch dafür zu kämpfen. Und ich finde im Moment durchaus, dass Europa und Amerika in einem prekären Zustand sind. Wir müssen bereit sein, das einander zu schenken, ohne unbedingt derselben Meinung zu sein. Das haben wir früher in Amerika viel lockerer, viel selbstverständlicher gehabt. Ich glaube, wenn wir am Ende unsere unterschiedlichen Geschichten innerhalber unserer politischen Gemeinschaft, unsere Geschichte, wenn wir einander unsere Lieder kennen, unsere Herkunft. Wir leben nebeneinander, und wissen, dass wir ganz unterschiedliche Meinungen haben. Aber wir tauschen eine Tasse Kaffee. Das ist für mich Democracy."
Eine Führung durch die politische Geschichte Amerikas, manchmal dozierend, manchmal autobiografisch, immer sehr komödiantisch, unterstützt auch von Sängern des Young-Artists-Programms: von der Unabhängigkeitserklärung bis zur Gegenwart. Ein Appell an eine neue amerikanische Gemeinsamkeit. Am Ende gelingt es Hampson, dass das Publikum sogar gemeinsam singt, ehe er sich leise mit dem Shaker-Song "Simple Gifts" aus dem Jahre 1848 verabschiedet. Es ist ein Geschenk, frei zu sein.