Das Coronavirus schwächt auch die Weltwirtschaft.
Im schuldengeplagten Italien sind besonders wirtschaftsstarke Regionen betroffen
von einer Infektionshäufung. China produziere momentan bei schätzungsweise 60 bis 80 Prozent seiner Kapazität, mit entsprechenden Engpässen anderswo auf der Welt, sagt der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Gabriel Felbermayr. Seriös einschätzbar seien die weltwirtschaftlichen Einbußen durch das Coronavirus noch nicht, klar sei aber: "Die Viruskrise wird Folgen haben."
"Wir haben die internationale Arbeitsteilung in den letzten Jahrzehnten sehr weit getrieben, die Produktionsnetzwerke sehr weit gespannt", erklärte Felbermayr. Nun stelle man fest, dass die globalen Lieferketten doch nicht so robust seien, "dass man immer zu jeder Zeit Vorprodukte bekommen kann, aus allen Ländern der Welt, wann immer das notwendig ist".
Ein "Lehman-Brüder-Moment" durch Corona?
Felbermayr rechnet jetzt mit einem Umdenken bei Managern, einer Art "Lehman-Brüder-Moment", in Erinnerung an die 2008 pleite gegangene Bank Lehman Brothers, deren Bankrott damals eine weltweite Bankenkrise mit auslöste. Umdenken würde im Falle des Coronavirus bedeuten, "dass wir hier nachhaltig wahrscheinlich wieder etwas mehr Produktion nach Europa bringen, dass die Wertschöpfungsketten etwas kürzer werden und die Globalisierung ein Stück zurückgehen wird".
Investoren würden sich aus China, das 16 Prozent der weltweiten Wertschöpfung ausmache, nicht zurückziehen - allerdings würden sie Redundanzen aufbauen, Ersatzkapazitäten, um Engpässe etwa bei Autoteilen oder Medikamenten vorzubeugen.
Die Politik sollte nun über Steuersenkungen und Entbürokratisierung nachdenken, erneuert Felbermayr bekannte Forderungen der Wirtschaft. Die deutsche Industrie sei zu Recht in Wartestellung und brauche Symbole.
Das Interview in voller Länge:
Jörg Münchenberg: Herr Felbermayr, sind die Folgen des Corona-Virus für die Weltwirtschaft überhaupt schon abschätzbar?
Gabriel Felbermayr: Seriös abschätzbar nein. Was wir sagen können ist natürlich, dass diese Viruskrise Folgen haben wird. Wir gehen vorsichtig davon aus, dass wir im ersten Quartal in China kaum noch Wachstum sehen werden und dass das auch Effekte haben wird auf die deutsche Volkswirtschaft. Da gehen wir derzeit davon aus, dass uns 0,2 Prozentpunkte im Wachstum fehlen werden. Aber das sind nach wie vor sehr spekulative Schätzungen.
Grenzkontrollen am Brenner würden "sehr schwierig"
Münchenberg: Nun ist es noch keine Pandemie. Wenn die denn wirklich ausbrechen sollte, könnte oder dürfte das doch für die Wirtschaft weltweit erhebliche Folgen haben.
Felbermayr: Ob es nun eine Pandemie ist oder nicht, ist für mich zunächst einmal eine semantische Frage. Klar ist, dass die Verunsicherung sehr groß ist. Klar ist auch, dass die Einschläge näher kommen. Mit der Zuspitzung in Italien haben wir die Krise mitten in Europa. Wenn sich keine andere Lösung ergeben sollte, als dass man zum Beispiel am Brenner Grenzkontrollen einführt, dann wird das für Deutschland wirtschaftlich sehr schwierig werden. Dann werden auch in Europa plötzlich Wertschöpfungsketten betroffen sein.
Was auch sehr wichtig ist und wo das Vokabel Pandemie dann doch wieder eine Rolle spielt, ist für die Psychologie auf den Märkten. Zentral ist es, dass eine Verunsicherung der Bevölkerung, vor allem der Konsumenten, dazu führen könnte, dass es zu Kaufzurückhaltungen kommt, und auch das würde dann schnell wirtschaftliche Effekte haben.
Münchenberg: Nun sind ja, Herr Felbermayr, in China teilweise die Fabriken wieder hochgefahren worden. Dort produzieren ja zum Beispiel auch viele deutsche Autokonzerne. Ist das ein gutes Zeichen, ein Entspannungszeichen, oder geht es da mehr um Psychologie, um politische Motive?
Felbermayr: Es ist sicherlich ein gutes Zeichen. Es ist auch nicht nur Gerede. Wir sehen das in gewissen harten Statistiken. Zum Beispiel hat der Kohleverbrauch in China wieder zugelegt. Der liegt noch immer dramatisch unter den normalen Durchschnitten, aber er nimmt wieder zu. Wir sehen das auch in den Staustatistiken in China. Die Straßen waren wochenlang leer. Es gab da keine großen Stauereignisse. Die nehmen jetzt wieder zu. Aber alles noch sehr deutlich unter dem normalen Verhältnis. Wir schätzen, dass die chinesische Volkswirtschaft circa bei 60 bis 80 Prozent seiner Kapazität arbeitet, deutlich unter den 100 Prozent, die normal wären, und deswegen kann man hier noch nicht Entwarnung geben. Aber es sieht so aus, als ob es erste Schritte gibt Richtung einer Normalisierung.
Umdenken nach der Krise
Münchenberg: Aber dass man die Lücke, die schon jetzt entstanden ist, wieder aufholen kann, ist eher unwahrscheinlich?
Felbermayr: In manchen Bereichen kann man sie aufholen. Industrieproduktion lässt sich nachholen. Das war auch 2002/2003 so bei der Sars-Krise. Aber wir haben ja heute ein anderes China als damals, ein China, das auch einen sehr viel größeren Dienstleistungssektor hat, einen höheren Anteil des Konsums am Bruttoinlandsprodukt, und die Restaurantbesuche, die in den letzten Wochen nicht stattgefunden haben, werden vermutlich nicht nachgeholt, wenn die Epidemie sich gelegt haben sollte. Deswegen wird es teils Nachholeffekte geben und teils nein.
Münchenberg: Herr Felbermayr, zeigt diese Krise letztlich nicht auch, wie anfällig eine globalisierte Welt ist, wie groß mittlerweile auch die gegenseitige Abhängigkeit ist und wie dramatisch dann auch die Folgen sein können, wenn so etwas passiert wie Corona?
Felbermayr: Ja. Ich glaube, das ist die wichtigste Lektion, die wir lernen aus dieser Corona-Virus-Krise. Wir haben die internationale Arbeitsteilung in den letzten Jahrzehnten sehr weit getrieben und die Produktionsnetzwerke sehr weit gespannt. Was wir heute feststellen ist, dass die Vorstellung, dass Lieferketten robust sind, dass man immer zu jeder Zeit Vorprodukte bekommen kann aus allen Ländern der Welt, wenn immer das notwendig ist in Deutschland, dass diese Vorstellung nicht ganz richtig ist.
Und ich glaube, selbst wenn sich jetzt die Krise wieder gelegt hat, dass sich im Denken der Manager etwas ändern wird, dass sie sich dieser Fragilität stärker bewusst sein werden, und das wird Konsequenzen haben darüber, wie die Weltwirtschaft funktioniert. Ich rechne damit, dass es eine Art Lehman-Brüder-Moment gibt. 2008, als die Bank pleitegemacht hat, waren auch viele überrascht, dass das Weltfinanzsystem doch so fragil ist. Jetzt sehen wir das im Bereich der Wertschöpfungsketten und das hat dann doch ein Umdenken hervorgebracht. In unserem Fall wäre das so, dass wir eher nachhaltig wahrscheinlich etwas mehr Produktion nach Europa bringen werden, dass die Wertschöpfungsketten etwas kürzer werden und die Globalisierung ein Stück zurückgehen wird.
Wie man Wertschöpfungsketten robuster gestaltet
Münchenberg: Aber lässt sich da wirklich was zurückdrehen? Auch zum Beispiel die deutschen Autobauer wissen ja um ihre Abhängigkeit von China und trotzdem haben sie Milliarden dort in den letzten Jahren investiert.
Felbermayr: Ja, das ist genau die Frage, ob sie sich dieser Risiken so bewusst waren. Da ist, würde ich sagen, natürlich die Erfahrung des Coronavirus doch etwas, was eingehen wird in das Nachdenken auch der Konzerne. Aber Sie haben vollkommen recht: China ist ein wahnsinnig wichtiger Markt. 2002 noch vier Prozent der Weltwertschöpfung, heute 16 Prozent der Weltwertschöpfung, 28 Prozent der Wertschöpfung im Industriebereich der globalen Wertschöpfung. Das ist ein wahnsinnig wichtiger Markt. Man wird aus diesem Markt natürlich nicht aussteigen. Das ist klar.
Aber man wird sich überlegen müssen, wie man Wertschöpfungsketten robuster gestaltet. Das heißt, man muss möglicherweise Redundanzen aufbauen. Man kann nicht einen wichtigen Teil, den man braucht, in einer Maschine oder in einem Motor nur in China herstellen, oder einen Wirkstoff für Medikamente nur in China herstellen, um dann festzustellen, wenn es da Probleme gibt, liegt auch in Deutschland die Produktion. Das heißt, man wird wieder diversifizieren müssen und man wird sich fragen müssen, wie man insgesamt diese Wertschöpfungssysteme robuster machen kann.
Staatliche Ausgabenprogramme helfen nicht bei allem
Münchenberg: Lassen Sie uns noch kurz, Herr Felbermayr, nach Deutschland schauen. Da werden jetzt auch die Rufe nach staatlicher Hilfe lauter, zum Beispiel vom Bundesverband der deutschen Industrie. Der fordert wirtschaftspolitische Impulse. Ist der Zeitpunkt jetzt dafür da?
Felbermayr: Es ist sicherlich so, dass es sich mit dieser Krise um einen exogenen Schock handelt, wie wir Ökonomen sagen. Das ist etwas, das nicht aus Deutschland heraus kommt, sondern uns ereilt, ein Pech sozusagen, und dass das schon eine Rechtfertigung sein kann für wirtschaftspolitisches Handeln. Geldpolitisch ist es ja so, dass die Europäische Zentralbank ihr Pulver weitgehend verschossen hat, aber auch da werden wir sicherlich aus der Coronavirus-Krise weitere geldpolitische Zurückhaltung sehen. Ich denke, dass das Argumente sind, mit einer lockeren Geldpolitik fortzufahren, nicht nur in Deutschland, auf der ganzen Welt.
Fiskalpolitisch werden wir mehr von diesen Forderungen hören wie jetzt vom BDI, und ich denke, sie sind schon teilweise jedenfalls gerechtfertigt. Klar ist aber auch, dass man mit staatlichen Ausgabenprogrammen dort nicht helfen kann, wo China jetzt ausfällt. Wenn die chinesischen Touristen nicht mehr kommen, wird man keine großen Stimuli-Programme fahren können in Deutschland, die da jetzt die Chinesen ersetzen.
"Symbolisch ganz wichtig wäre eine Steuersenkung"
Münchenberg: Nun gibt es ja immer noch einen Einnahmeüberschuss für die staatlichen Kassen. Wenn die Politik Impulse setzen soll, was wäre aus Ihrer Sicht da sinnvoll?
Felbermayr: Ich glaube, symbolisch ganz wichtig wäre eine Steuersenkung. Da kann man über die ökonomischen Effekte streiten, ob das wirklich zu mehr Investitionen führt, aber es würde etwas tun mit der Stimmung in Deutschland. Die deutsche Wirtschaft, die Industrie ist, denke ich, zurecht etwas in Warteposition und sie brauchen Symbole auch. Das ist wichtig für die Psychologie und das ist etwas, das man machen kann.
Dazu kommt natürlich der Dauerbrenner, der uns immer schon umtreibt in den letzten Jahren, die Standortpolitik, dass wir in Deutschland mehr tun müssen, um den Wirtschaftsstandort attraktiv zu machen. Das beginnt mit den Glasfasernetzen, 5G, und endet mit dem Bürokratieproblem. Ich glaube, dass es wichtig wäre, hier Signale zu senden, dass man nicht warten muss, bis die Bundesregierung sich neu aufgestellt hat. Das ist relativ dringend.
Das sind aber strukturpolitische Fragen, die mit einer Konjunkturdelle, wie sie jetzt durch die Corona-Krise ausgelöst werden könnte, wenig zu tun haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.