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Globale Marktmacht
Wenn Großkonzerne ihre Lieferanten ausbeuten

Wenn große Unternehmen ihre Ware von kleineren Lieferanten in Pakistan, Bangladesch oder China produzieren lassen, ist das meist günstig - und oft mit ausbeuterischen Arbeitsbedingungen vor Ort verbunden. Können gesetzliche Vorgaben die Unternehmen dazu bringen, mehr Verantwortung zu übernehmen?

Von Caspar Dohmen |
FRauen und Männer arbeiten unter schweren Bedingungen in der Textilfabrik 'One Composite Mills' in Gazipur an Nähmaschinen.
Der Durchschnittslohn in der Textilwirtschaft in Bangladesch im Monat: 89 Dollar (picture alliance / Doreen Fiedler)
Die Notrufzentrale der Ambulanz in Karachi, Pakistan. An den Alarm vom 11. September 2012 erinnert sich der Mitarbeiter Muhammad Azeem noch Jahre später. Sie hatten Krankenwagen nach dem anderen zur brennenden Fabrik Ali Enterprises geschickt - und dann von Kollegen über Funk das Unfassbare gehört.
"Sie konnten nicht in die Fabrik hinein und viele Arbeiter nicht heraus. Es gab nur einen offenen Notausgang, und die Fenster waren vergittert. Um zwei oder drei Uhr haben einige Arbeiter Fenster oder Teile der Lüftungsanlagen aus der Wand gebrochen und sind herausgesprungen."
Die Retter bargen die toten Arbeiterinnen und Arbeiter, die meisten waren erstickt und verbrannt. Mehr als 250 Menschen starben. Viele der Opfer könnten noch leben, sagte der Menschenrechtsanwalt Faisal Siddiqi. "Das Feuer allein hätte niemals so viele Menschen getötet."
Mehr Verantwortung der Unternehmen für Zulieferer
Der Vorwurf: Unzureichende Sicherheitsvorkehrungen in der Fabrik. In die Kritik geriet neben den pakistanischen Fabrikinhabern selbst aber auch der Auftraggeber aus Deutschland, der Textildiscounter KiK. Denn der Fall zeigt ein grundsätzliches Problem der globalen Arbeitsteilung auf: Unternehmen wie Kik betreiben selbst häufig keine eigenen Fabriken, sondern lagern die Produktion an Subunternehmen aus. Welche Verantwortung haben Unternehmen für Zulieferer, mit denen sie nur eine gewöhnliche Vertragsbeziehung eingehen - gleichzeitig aber Preise diktieren, Abgabefristen setzen, und so häufig eine enorme Macht auf die ausländischen Produzenten haben?
Etikett mit Waschanleitung in einem in Bangladesch produzierten T-Shirt.
Textilfabriken in Bangladesch: Unfaire Arbeitsbedingungen
ACCORD, ein Bündnis von 200 internationalen Firmen in der Textilbranche, soll die Standards von Fabrikgebäuden in Bangladesch sichern. Doch bleibt unklar, wer die Subunternehmer prüft, die für ACCORD-Firmen produzieren.
Entwicklungsminister Gerd Müller und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wollen die deutschen Unternehmen auch für solche Zuliefererbeziehungen in die Verantwortung nehmen. Der Plan war, bereits in diesen Tagen ein Arbeitspapier für ein Lieferkettengesetz vorzulegen. Aber in der Regierung wird dem Vernehmen nach noch um das richtige Vorgehen gerungen. Entwicklungsminister Müller bei einer Pressekonferenz:
"Wir dürfen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen in globalen Lieferketten nicht akzeptieren. 150 Millionen Kinder arbeiten, davon 75 Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen auf Kaffeeplantagen, in Goldminen, in Steinbrüchen oder in der Textilproduktion. Ich habe das alles gesehen. Ich rede also nicht vom Pferd. Für Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gibt es weder Arbeitssicherheit noch existenzsichernde Löhne."
Freiwilligkeit allein reicht nicht
Im Dezember präsentierten CSU-Minister Müller und SPD-Minister Heil gemeinsam die Ergebnisse einer von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Umfrage. Große Unternehmen sollten selbst einschätzen, ob sie die geforderte menschenrechtliche Sorgfalt in ihren Lieferketten walten lassen. Von den rund 7.000 Firmen in Deutschland, die mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen, waren 3.000 angeschrieben worden.
"Zwei Mal wurde nachgefasst, bis letztendlich 464 geantwortet haben, und das Ergebnis: 20 Prozent sind Erfüller, erfüllen in Selbsteinschätzung die Vorgaben. Das Ergebnis zeigt eindeutig: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel, wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen."
Gerd Müller will deswegen nicht länger auf Freiwilligkeit setzen. "Im Koalitionsvertrag wurde deshalb vereinbart, ich zitiere: Sollten bis 2020 nicht die Hälfte aller Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern ein Verfahren menschenrechtlicher Sorgfalt etabliert haben, dann ist eine gesetzliche Regelung notwendig."
Die Vereinten Nationen hatten 2011 mit den 'Prinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte' eine Strategie verabschiedet, die zwar weiter die Hauptverantwortung bei der Umsetzung von Menschenrechten bei Staaten sieht, aber Unternehmen mit in die Verantwortung nimmt. Wie diese Prinzipien umgesetzt werden – das ist Sache jedes einzelnen Landes. 50 Staaten haben seitdem sogenannte 'Nationale Aktionspläne für Wirtschaft und Menschenrechte' verabschiedet – Deutschland im Jahr 2016. Damals setzte die große Koalition auf das Prinzip Freiwilligkeit.
Mittlerweile hat sich die Lage verändert: Denn die Regierungsparteien CDU und SPD sprachen sich 2019 bei Parteitagen für ein Lieferkettengesetz aus. Auch eine ganze Reihe Unternehmen plädiert mittlerweile dafür. Tchibo-Managerin Nanda Bergstein:
"Ich arbeite jetzt schon seit 13 Jahren in der Textilbranche, sehr viel 'on the ground' auch in vielen Ländern. Und wir haben sehr, sehr viel schon gemacht und versucht."
Lieferkettengesetz für mehr Rechtssicherheit
Wie viele Unternehmen verlangt Tchibo von Zulieferern freiwillig die Einhaltung bestimmter Menschenrechte, etwa der ILO-Kernarbeitsnormen, dazu zählt das Verbot von Kinderarbeit. Aber damit sind die Verhältnisse für die Arbeiter in bestimmter Hinsicht kaum besser geworden – viele bekommen bis heute keine existenzsichernden Löhne. Bergstein hält deswegen ein Gesetz für notwendig.
"Ich finde, wir müssen uns heute nicht mehr darüber unterhalten, ob freiwillige Initiativen jetzt noch mehr bringen werden oder nicht - wir wissen doch, wie die Zustände vor Ort sind. Wir haben das schon ausreichend oft konstatiert. Und weil wir es wissen, glaube ich, müssen wir einfach mal über einen Paradigmenwechsel sprechen."
Auch andere Unternehmen fordern einen Paradigmenwechsel - weg von der Freiwilligkeit hin zu Verbindlichkeit. So unterstützen 51 Unternehmen die Initiative der Menschenrechtsorganisation 'Business Human Rights Ressource Centre' für ein Lieferkettengesetz, darunter Schwergewichte wie der Logistikkonzern Hapag Lloyd, der dies auf Anfrage begründet:
"Ein Lieferkettengesetz trägt zu mehr Rechtssicherheit bei und schafft einheitliche Wettbewerbsbedingungen unter allen Marktteilnehmern."
Denn aktuell haben Unternehmen häufig Kostenvorteile im Wettbewerb, wenn sie sich nicht um Menschenrechte oder Umweltschutz kümmern.
Die drei internationalen Schokoladenriesen Barry Callebaut, Mars und Mondelez forderten kürzlich sogar ein Gesetz für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten auf europäischer Ebene einzuführen. Dazu heißt es bei Mars Deutschland:
"Wir sind der festen Überzeugung, dass wir alle gemeinsam Maßnahmen ergreifen müssen, um einige der systemischen Menschenrechts- und Umweltherausforderungen in der Kakaolieferkette wirksam anzugehen."
Deutsche Wirtschaft will nicht haften
Teile der deutschen Wirtschaft lehnen aber ein Lieferkettengesetz mit Haftungsmechanismus ab. Denn: Heute haftet ein Unternehmen nur für die Einhaltung der Menschenrechte in seinen eigenen Fabriken. Mit diesem Rechtsprinzip soll das Lieferkettengesetz brechen: Unternehmen könnten unter bestimmten Voraussetzungen auch dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn ihr Zulieferer gegen Menschenrechte verstoßen hat. Peter Clever aus der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands Deutscher Arbeitgeber hält das für den falschen Weg.
09.09.2019, Berlin: Gerd Müller (CSU), Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, trägt während seiner Pressekonferenz einen Anstecker mit dem Symbol des staatlichen Textilsiegel "Grüner Knopf" am Revers. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Nachhaltige Mode - Schick statt schädlich
Bis zu zwei Kollektionen im Monat bringen manche Modeketten heraus – mit fatalen Folgen. Auf der Berliner Fashion Week zeigen nun vor allem junge Designer, wie sie einer Fast Fashion entgegenwirken wollen.
"Wir sind nicht der Auffassung, dass wir für das Verhalten Dritter oder gar staatlicher Stellen deutsche Unternehmen in Haftung nehmen lassen. Das ist absurd. Haftung ist der zentrale Knackpunkt. Wenn der weg ist, können wir noch mal in ein sehr konstruktives Gespräch eintreten: Was können Unternehmen machen, und was ist Aufgabe staatlicher Stellen."
Michael Windfuhr, stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, hält wenig von einem Gesetz ohne Sanktionsmöglichkeiten. Die Sorgen vieler Unternehmen hält er für übertrieben. "Die Angst vieler Unternehmen ist ja auch, wenn da irgendwo in meiner Lieferkette ein Kind entdeckt wird, was arbeitet, muss ich dafür eine riesige Strafe zahlen. Ich glaube darauf kommt es nicht an."
Entscheidend sei, dass Unternehmen die notwendige Sorgfalt in den Lieferketten walten ließen.
"Und trotzdem wird man bei vielen hunderten, tausenden Lieferanten nicht alle Risiken ausschließen können. Ja, aber wichtig ist, dass ich selber mir die gebotene Mühe gemacht habe, das zu identifizieren. Wenn ich dann einen Beschwerdemechanismus habe, und da kommt auf einmal raus, da gibt es doch im Werk xy systematische Belästigung von Minderheiten, oder ich habe Kinderarbeit in einer vorgelagerten Baumwollproduktion oder, oder – dann muss ich halt als Unternehmen das adressieren. Ich bin dann nicht sofort haftbar für den Schaden, sondern ich bin dafür haftbar, wenn ich nichts dagegen tue, obwohl ich es weiß."
Soziale Gestaltung der Globalisierung fehlt
Johanna Kusch organisiert die Kampagne für ein Lieferkettengesetz. Über 80 Organisationen, darunter Germanwatch und Greenpeace, der DGB und Verdi oder Brot für die Welt und Misereor, sind daran beteiligt. Sie macht an einem einfachen Beispiel fest, wie wichtig es wäre, dass Unternehmen sich über ihr eigenes Handeln sorgfältiger Gedanken machen sollten. Wenn etwa ein Textilunternehmen kurz vor Weihnachten statt – wie ursprünglich bestellt - blauer Knöpfe an einem Kleidungsstück doch grüne Knöpfe haben zu wollen, weil die sich gerade besser verkauften, könne dies einen unglaublichen Druck bei dem Produzenten auslösen.
"Vor Ort bedeutet so ein Umswitchen unheimlich viel Auswirkung auf die Menschenrechte, weil das Unternehmen jetzt schauen muss, wie es das hinbekommt vor Ort, die kleine Fabrik. Vielleicht geht dann Arbeit in informelle kleine Textilarbeitsstätten über, wo dann schnell noch mal die Knopffarbe geändert werden muss. Das sind dann Überstunden, Gesundheitsschädigungen etc., die damit einhergehen; diese Frage stellt sich das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt aber nicht."
Im Wirtschaftsvölkerrecht finden sich Instrumente, mit denen internationale Regeln durchgesetzt werden können. So können Staaten etwa andere Staaten verklagen, wenn sie ihrer Meinung nach mit ungerechtfertigten Subventionen heimischen Unternehmen Vorteile verschaffen.
Und Unternehmen können Staaten verklagen, sogar, wenn ihnen durch neue Gesetze Gewinne entgehen. Oft geht es um hohe Streitwerte, wie bei den Forderungen von Energieunternehmen gegen die Bundesregierung wegen des Atomausstiegs. Anders als im Wirtschaftsvölkerrecht gibt es bei Menschenrechten keine vergleichbaren Durchsetzungsinstrumente.
Konsumenten wollen nicht mehr zahlen
Wer heute die Märkte regulieren will, muss die grenzüberschreitend tätigen Unternehmen in den Blick nehmen. Arbeitsminister Hubertus Heil:
"85 Prozent des Welthandels finden nicht zwischen Staaten statt, sondern innerhalb von Netzwerken und Lieferketten multinationaler Unternehmen - 85 Prozent. Deshalb ist die Verantwortung menschenwürdige Arbeitsbedingungen sicherzustellen, keine, die alleine Regierungen betrifft, sondern bei denen auch Unternehmen gefordert sind."
Natürlich gibt es einzelne Unternehmen, die bei Menschenrechten und Umweltschutz vorangehen. Aber das sind gewöhnlich nur jene, deren Geschäftsmodell darauf fußt. Ihre Zahl ist gering, weil es nur in begrenzter Zahl Konsumenten gibt, die bereit oder in der Lage sind, etwa für faire oder ökologisch produzierte Produkte mehr zu zahlen. Unternehmen, die sich im Alleingang um eine angemessene Handhabung von Nachhaltigkeitsrisiken in den globalen Wertschöpfungsketten bemühen, haben gewöhnlich einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Konkurrenten, die sich nicht darum scheren.
25 Dollar im Monat für Näherinnen
Rushhour in der Industriestadt Sabhar in Bangladesch im Sommer 2019. Ein kleines Denkmal erinnert an das schwerste Industrieunglück in der Geschichte des Landes. Am 24. April 2013 kollabierte das Gebäude Rana Plaza und begrub Menschen unter sich, die Bekleidung für europäische Marken nähten. 1136 Menschen starben, darunter der Sohn von Moxuda, der in der Fabrik genäht hatte:
"Zwei Tage nach dem Einsturz haben die Rettungskräfte die Leiche meines 18-jährigen Sohnes geborgen. Ich komme regelmäßig her und bete für ihn."
Die 30-jährige Näherin Mina mit ihrem jüngsten Sohn, aufgenommen in Bangladesch
Textilindustrie in Bangladesch: Maschine verdrängt Näherin
Seit dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza 2013 in Bangladesch hat sich die Sicherheitslage dort verbessert. Doch es gibt eine neue Bedrohung für die Arbeiter: durch Maschinen.
Die Textilfabrik hätte es niemals geben dürfen. Denn sie stand auf sumpfigem Gelände und die Statik war ungeeignet für die schweren Stromgeneratoren. Schon vor dem Kollaps gab es Risse in den Wänden. Trotzdem zwangen Vorgesetzte die Näherinnen und Näher weiterzuarbeiten, um die Lieferungen für europäische Modefirmen pünktlich fertigzustellen. Als nach dem Unglück unabhängige Experten Textil-Exportfabriken kontrollierten, fanden sie mehr als 150.000 Mängel. Einige Fabriken mussten schließen, 1200 saniert werden. Existenzsichernde Löhne erhalten die Näherinnen bis heute nicht und der Lohndruck hält weiter an. Arbeitsminister Hubertus Heil:
"Der Durchschnittslohn in der Textilwirtschaft in Äthiopien sind 25 Dollar im Monat. Im Vergleich: Bangladesch 89 Dollar. Das zeigt, dass die Klamotten, die wir hier tragen, oftmals - ohne, dass wir es als Konsumenten genau einschätzen können und trotz aller Siegel - möglicherweise nicht unter fairen, sondern ausbeuterischen Arbeitsbedingungen produziert wurden."
Großbritannien und Frankreich schreiten voran
Deutschland hinkt bei einer Regulierung der Lieferkette hinterher. In Großbritannien müssen Unternehmen bereits seit 2015 Rechenschaft ablegen, ob sie sich mit Sklaverei in ihrer Lieferkette beschäftigen. Die Niederlande beschloss 2019 ein Gesetz gegen Kinderarbeit in der Lieferkette. Am weitesten ging Frankreich 2017 mit einem Gesetz für allgemeine menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Konzerne. Die Juristin Elisabeth Gambert ist CSR-Direktorin beim Verband großer französischer Unternehmen. CSR steht für Corporate Social Responsibility: Also die soziale Verantwortung von Unternehmen.
"Dass Rana Plaza eine Tragödie war, und irgendwie absolut verhindert werden muss, dass das noch mal passiert, das war irgendwie allen klar. Was die französischen Unternehmen als nicht fair empfunden haben, ist, dass sie die Einzigen sind, die jetzt dafür haften sollen, in Staaten, die eben jetzt poor governance haben."
Schlechte Regierungsführung also, die nach Ansicht vieler französischer Unternehmen erst dazu führe, dass es zu Menschenrechtsverletzungen in Fabriken komme.
"Dass die französischen Unternehmen dafür haften, dass Missstände auf der ganzen Welt passieren und, dass viele ausländische Konkurrenten absolut nicht tun, was sie eigentlich zu tun hätten."
Aber die Regierung setzte sich über solche Einwände der Konzernlobby hinweg und nahm große französische Unternehmen in die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht für ihre Lieferketten.
"Ja, die greift potenziell sehr weit, diese Verantwortung."
Sie umfasse neben dem Mutter- und Tochterunternehmen auch Zulieferer, wenn eine gefestigte Geschäftsbeziehung bestehe. So wäre es vermutlich im Falle der Fabrik Ali Enterprisesprise in Pakistan gewesen, wenn es eine solche Regelung auch im deutschen Recht geben würde: Denn Kik hatte dort über Jahre Waren bezogen und die Fabrik zum Unglückszeitpunkt zu mindestens 70 Prozent ausgelastet – hatte also, wie viele ausländische Unternehmen – einen enormen Einfluss auf den Produzenten.
"Wenn es zu dem Schluss kommt vor Gericht, dass ein wirksamer Sorgfaltsplan diese Menschenrechtsverletzung hätte verhindern können, dann ist das auftraggebende Unternehmen verantwortlich, im zivilen Sinn der zivilen Haftung."
Das französische Gesetz gilt für große Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten.
"Allerdings wirkt das dann auch auf kleinere Unternehmen, weil viele kleinere Unternehmen sind ja Zulieferer der großen Unternehmen und die werden natürlich von denen auch verdonnert, das wiederum selber anzuwenden."
Im globalen Süden fehlen starke Gewerkschaften
Für Deutschland mit seiner stark mittelständisch geprägten Wirtschaft sei eine Unternehmensgröße von 250 bis 500 Beschäftigten im Gespräch.
Bei dem Lieferkettenbündnis in Deutschland gibt es bereits konkrete Vorstellungen für eine Haftungsregel, ausgeführt in einem Gutachten des Juristen Robert Grabosch von der Kanzlei Schweizer Legal. Bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten solle der Staat "Bußgelder in Höhe von bis zu 10 Prozent des Umsatzes" verhängen oder Unternehmen von öffentlichen Vergabeverfahren oder der Außenwirtschaftsförderung ausschließen können. Außerdem würden sich die Unternehmen gegenüber den Betroffenen schadensersatzpflichtig machen, die durch ihre Missachtung von Sorgfaltspflichten entstanden seien. All dies wäre laut dem Gutachten mit der Verfassung vereinbar.
Ob ein Lieferkettengesetz kommt und, wenn ja, wie es ausgestaltet wird, ist noch offen. Aber selbst, wenn es ein verbindliches Lieferkettengesetz gäbe, würde sich für die Menschen entlang der Lieferketten nicht automatisch alles verbessern, findet die Gewerkschafterin Dithhi Bhattacharya, Koordinatorin bei TiE global Südasien.
Textilindustrie in Bangladesch: Betriebsrätinnen leben gefährlich
Seit dem Einsturz der Nähfabrik im Rana Plaza in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka haben sich Gewerkschaften formiert. Doch Frauen, die sich als Betriebsrätinnen für ihre Rechte einsetzen, werden angegriffen und müssen um ihr Leben bangen.
"Der springende Punkt ist, kann man dieses Gesetz durchsetzen? Das hängt davon ab, ob es im globalen Süden starke Gewerkschaften gibt. Das ist der knifflige Teil der Frage. Haben wir Gewerkschaften, die so stark sind, dass sie Arbeiter organisieren, die dann zum Beispiel in Deutschland klagen? Wir brauchen Solidarität an allen Stellen der Lieferkette, um gemeinsam dafür kämpfen zu können, ein solches Gesetz umzusetzen."
Mittlerweile gibt es zaghafte Versuche von Gewerkschaften, Beschäftigte entlang der Lieferkette zu organisieren – trotz sprachlicher und kultureller Barrieren –, wegen eines gemeinsamen Interesses:
"Am Ende haben wir dieselben Arbeitgeber. Heute befinden wir uns auf drei verschiedenen Kontinenten, aber in den 80er Jahren hätten wir alle in derselben Fabrik unter demselben Dach gearbeitet."
Bislang sind solche Klagen schwierig zu realisieren, schon, weil es schwierig ist, die Betroffenen vor Ort zu organisieren. Im Falle der Unglücksfabrik Ali Enterprisesprises gelang dies sogar. Vier Betroffenen klagten vor dem Landgericht Dortmund, aber zu spät. Ihre Klage wurde wegen Verjährung abgewiesen.