Arndt Reuning: Herr Professor Lengauer, wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, dass sich eine Krankheit wie zum Beispiel das Ebola-Fieber über die Flugverkehr ausbreitet?
Thomas Lengauer: Zunächst einmal ist diese Frage von uns sicher nicht so einfach zu beantworten. Ich muss dazu auch sagen, dass das Modell nicht spezifisch auf Ebola targetiert ist. Wir haben untersucht, welche Rolle Flughäfen bei der Ausbreitung von, ich möchte einmal ganz allgemein sagen, Ereignissen über das globale Flugverkehrsnetzwerk spielen, und haben dabei ein Modell entwickelt, bei dem sowohl die Anzahl der Flüge von einem Flughafen, als auch die Verbindungsintensitäten der Zielflughäfen dieser Flüge eine Rolle spielen. Denn ganz eindeutig ist es so, dass eine Verbreitung von einem Flughafen zu einem Flughafen, der ebenfalls wieder viele Verbreitungswege eröffnet, stärker ist, intensiver ist. Unser Modell ist ganz allgemein. Es geht nicht nur um Krankheiten, es geht auch um so Dinge wie Ideen, wie Witze, wie Bilder über das Internet, auch die Netze sind allgemein einsetzbar für dieses Modell.
Reuning: Das heißt, an Daten gehen vor allem Verkehrsinformationen ein?
Modell simuliert Verbreitung
Lengauer: Ja, in diesem Fall, bei dem Server, um den es hier geht, haben wir das Netzwerk spezifiziert auf das internationale Flugnetz. Da gehen die Routendaten ein, aber auch die Passagieraufkommensdaten. Und danach wird vor dem Hintergrund, den ich gerade geschildert habe, der Verbindungsgrad eines Flughafens berechnet. Das nennt man expected force, das ist der entsprechende Wert, den wir dann berechnen. Und der ist hoch bei einem Flughafen, der ein guter Verbreiter von Nachrichten ist, weil es viele Flüge gibt, und Flüge zu gut vernetzten Flughäfen hat. Und es niedrig beim Flughafen, der eine niedrige Verbreitungsintensität hat.
Reuning: Und welche Flughäfen sind es denn, bei denen diese Werte besonders hoch sind?
Lengauer: Das sind die typischen Flughäfen, die Ihnen auch einfallen, London, Amsterdam, Frankfurt, Zürich, die wir generell als Hubs bezeichnen. Wobei es interessantes zu sehen, dass zum Beispiel der Flughafen Zürich wesentlich weniger Flugverbindungen anbietet als der Flughafen Frankfurt, etwa die Hälfte. Aber die Flughäfen kommende zu denen Zürich verbinde, sehr hoch vernetzt sind, so dass die expected force bei diesen beiden Flughäfen, Frankfurt und Zürich, dann letztlich etwa gleich groß ist.
Reuning: Das MPI für Informatik hat ja auch eine eigene Webseite eingerichtet, wo man dieses Modell selbst einmal erproben kann. Man klickt einen Flughafen an und startet die Simulation. Mein Eindruck war, es ist immer eine Frage der Zeit, dass sich eine Pandemie entwickelt. Selbst wenn man am Flughafen Mount Pleasant auf den Falkland Inseln startet, dann dauert es vielleicht etwas länger, aber irgendwann erobert die Infektion das globale Fluglinie.
Kombination mit epidemiologischen Modellen nötig
Lengauer: Ja, das liegt im Infektionsmodell, das dahinter liegt. Das Modell, das wir hier entwickelt haben und anbieten, ist ja lediglich ein Konnektivitätsmodell von Flughäfen. Wenn man eine Pandemie tatsächlich simulieren will in dem Bereich, dann braucht man auch ein Infektionsmodell, das zum Beispiel die Frage simuliert, ob Leute immun werden, ob Leute wieder heilen oder ob sie nicht heilen. Wahrscheinlich ist die Variante, die sie da gerade probiert haben, eine, bei der es keine Heilung gibt, so dass die Ausbreitung dann letztlich vollständig den Globus überdeckt. Ich muss deswegen deutlich sagen, dass das Modell, das wir hier anbieten, primär das Verbindungsmodell ist. Um dieses Modell zu targetieren, zu spezifizieren auf eine Krankheit bedarf es sowohl eines epidemiologischen Infektionsmodell als auch eines Modells, das Gegenmaßnahmen, Überwachungsmaßnahmen, Quarantänemaßnahme, und so weiter, mit berücksichtigt. Erst dann kommt man wirklich zu tragfähigen realistischen Aussagen über die Verbreitung einer Pandemie. Darum kündigen wir dieses Modell auch nicht als ein Modell an, dass jetzt bei dieser Ebola Pandemie tragfähige Aussagen macht. Dazu würde es zusätzlicher Forschung bedürfen, an der Virologen, Epidemiologen und gegebenenfalls auch Soziologen teilhaben müssten. Für solche Forschungen sind wir allerdings immer offen.
Reuning: Sie sind ja selbst gerade erst vor wenigen Stunden aus dem Flieger gestiegen. Haben Sie bei solchen Gelegenheiten eigentlich die Brille des Informatikers auf, mit der Frage im Hinterkopf, wie gut auf diesem Flug nun ein Krankheitserreger zum Beispiel verbreitet werden könnte?
Lengauer: Also auf diesem Flug, ich kam von einem sehr anstrengenden Meeting, und auf diesem Flug habe ich erst einmal versucht auszuspannen und zu schlafen. Also ich würde sagen: Nein, dieses Bewusstsein der möglichen Infektionen und Ausbreitung trage ich nicht ständig mit mir herum.