Archiv

Globaler Fußabdruck des Menschen
Mehr Beton als Bäume

In dicht besiedelten Industrieländern verdrängt der Mensch nur allzu oft die Natur. Doch auch global gesehen verschieben sich die Gewichte: Wissenschaftler haben eine Art Inventur gemacht und verschiedene Dinge und Lebewesen auf dieser Erde gewogen und geschätzt. Das Ergebnis muss uns Sorgen machen.

Von Tomma Schröder |
Blick auf eine Baustelle auf dem Dach eines Neubaus in Heilbronn
Künstlicher Planet: Vom Menschen produzierte Dinge und Gebäude übersteigen die globale Biomasse (imago images / fStop Images / Niels Schubert)
Die Idee an sich ist bestechend simpel: Man nehme eine Waage und lege auf die eine Seite alle möglichen Dinge, die Menschen so herstellen und bauen: Von Straßen und Gebäuden über Möbel, Kleidung und Geräten bis hin zu Verpackungen, Fahrzeugen und und und. Forscher nennen das die "anthropogene Masse". Auf die andere Seite lege man die so genannte Biomasse, also alles, was lebt: Bäume, Sträucher, Blumen, Tiere, Bakterien, Pilze – und ja – auch Menschen. Auf welche Seite die Waage wohl kippen würde? Emily Elhacham und ihre Kollegen vom Weizmann Institute of Science in Rehovot haben es ausprobiert – natürlich nicht mit einer Waage, sondern mit vielen Vorgänger-Studien, Bestandsberechnungen, Daten und Modellen:
Blick aufs Meer vom mit 65,3 Metern höchsten Leuchtturm Deutschlands in Campen, Deutschland, Niedersachsen, Ostfriesland.
Das Wattenmeer bei Campen - selbst in "unberührter Natur" findet sich Menschgemachtes (picture alliance / Blickwinkel)
"Und wir fanden heraus, dass die anthropogene Masse gerade dabei ist, die Masse aller lebenden Arten auf dem Planeten zu übertreffen. Dieser Übergang findet genau jetzt, im Jahr 2020 statt, und das war für uns wirklich überraschend."
Wie wiegt man alle Dinge?
Man müsse zwar von einem Unsicherheitsbereich von plus minus sechs Jahren ausgehen, gibt Elhacham zu. Doch der Trend sei eindeutig: Während die menschengemachte Masse exponentiell wächst, sinkt die Biomasse bereits seit der ersten landwirtschaftlichen Revolution langsam aber beständig. Momentan liegen beide Massen etwa gleichauf bei gut einer Billion Tonnen. Das ist eine Zahl mit zwölf Nullen.
"Nur um diese Zahlen einmal zu veranschaulichen: Die Masse der Gebäude und Straßen ist mittlerweile größer als die Masse aller Bäume und Büsche. Und alle Kunststoffe auf dieser Erde zusammen wiegen mehr als alle lebenden Tiere – an Land wie im Wasser. Und das ist wirklich verrückt, wenn man darüber nachdenkt."
Abgebrochener Eisberg in Qaqortoq/Grönland
Die israelischen Forscher haben nicht nur den Ist-Zustand ermittelt, sie haben auch versucht, die Entwicklung der Biomasse und der anthropogenen Masse seit 1900 nachzuzeichnen.
"Wir zeigen, dass die anthropogene Masse sich in letzter Zeit ungefähr alle 20 Jahre verdoppelt. Für die letzten Jahre kann man sagen: Für jeden Menschen auf dieser Erde wird eine Masse an Dingen produziert, die seinem Körpergewicht entspricht. Und zwar jede Woche."
Menschgemachte Masse verdoppelt sich alle 20 Jahre
Die Forscher haben für ihre Analysen mit dem Trockengewicht gerechnet. Würde man das Nassgewicht zugrunde legen, sieht der Trend ähnlich steil aus, die anthropogene Masse würde aber erst im Jahr 2037 die Oberhand gewinnen. Das sei aber nicht entscheidend, meint der Wiener Sozial-Ökologe Fridolin Krausmann, der selbst viel zu globalen Materialflüssen geforscht hat und die robuste Datenbasis der Studie lobt.
"Auch wenn man hier Unsicherheiten mit einberechnet oder auch die unterschiedlichen Definitionen, was alles in so eine Berechnung mit einbezogen werden sollte, dann bleibt trotzdem dieses Hauptergebnis bestehen: nämlich dass wir Bestände in Ökosystemen kontinuierlich reduzieren und gleichzeitig in einem unglaublichen Tempo gesellschaftliche Bestände aufbauen. Und diese beiden Trends sind sehr robust."
Und doch: Geht es hier nicht nur um Gewicht, um reine Masse? Was sagt es uns, wenn wir wissen, dass der Eiffelturm mehr wiegt als alle auf dieser Erde noch verbliebenen Nashörner?
Eifelturm wiegt mehr als verbliebene Nashörner
"Ich denke, die Studie liefert eine symbolische und mit Zahlen unterlegte Beschreibung des gesamten Anthropozäns, in dem wir leben. Es ist, als würde uns ein Spiegel vors Gesicht gehalten: Das sind wir! Das ist unser Output."
Dass wir uns tatsächlich im Anthropozän, im Zeitalter des alles dominierenden Menschen, befinden, dafür liefert diese Nature-Studie ein weiteres triftiges Argument. Letztlich haben große Produktmassen auch große Auswirkungen meint Emiliy Elhacham und verweist unter anderem auf den Klimawandel. Zement etwa, das den Löwenanteil der anthropogenen Masse ausmacht, verursacht bei seiner Herstellung immerhin acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen.