Jule Reimer: 13 Millionen Tonnen Plastik landen jedes Jahr in den Weltmeeren. Und in vielen Ländern ohne geordnete Abfallabfuhr säumen insbesondere in Armenvierteln fest verbackene Hügel aus Schlamm und Plastikresten die Wege. Im Meer bedeutet das Plastik vor allem Gefahr für Meerestiere und Vögel, die das Zeug fressen und dann je nach Menge qualvoll davon eingehen. So geht's nicht weiter, sagt Nils Simon von der Denkfabrik adelphi in Berlin, der zusammen mit einer Kollegin im Auftrag der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung das Problem untersucht hat. Er fordert ein weltweites Plastikabkommen. Vor dieser Sendung fragte ich ihn, was damit bezweckt werden sollte.
Ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag
Nils Simon: Der Zweck eines weltweiten Plastikabkommens soll sein, dass wir die ungebremste Plastiklawine, die jedes Jahr weiter produziert wird und in die Meere fließt, endlich in den Griff bekommen. Die Weltgemeinschaft hat bisher versucht, das Problem mit freiwilligen Aktionsplänen oder mit ein paar Abkommen, die sich auf die Meere beziehen, zu lösen. Aber auf den Meeren entsteht der Müll nicht; der entsteht an Land und dafür haben wir keine verbindlichen Abkommen.
Das Problem des Plastikmülls ist aber so groß geworden, dass wir es nur noch mit einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag lösen können.
Reimer: Jetzt könnte man aber auch sagen, die Europäer können doch eigentlich ganz gut damit umgehen. Wir brauchen Maßnahmen zum Beispiel in armen Ländern beziehungsweise eher auf hoher See in irgendeiner Form.
Nachhaltiges Plastik entwickeln
Simon: Wir brauchen Maßnahmen in allen Ländern, in denen Plastikmüll nicht zum größten Teil sorgfältig eingesammelt wird. Das betrifft vor allem die asiatischen und afrikanischen Länder, aber auch in Nord- und Südamerika und in Europa sind die Abfallsysteme weit davon entfernt, perfekt zu sein. Wir brauchen hier auch Innovationen und entsprechende Anreize dafür, dass wir nachhaltigeres Plastik herstellen und insgesamt einen besseren Umgang mit Plastik finden. Nicht zuletzt Recycling-Technologie muss dafür entwickelt und auch exportiert werden. Es gibt einen großen wirtschaftlichen Anreiz, mit Plastik nachhaltiger umzugehen. Der Plastikmüll verursacht jedes Jahr über 600 Millionen Dollar an Schäden allein in den pazifischen Anrainerstaaten in der Tourismusindustrie. In vielen Städten verstopft der Plastik Abwassersysteme, es kommt zu Überschwemmungen, das führt zu weiteren Schäden.
"Ein einzelnes Land kann dieses Problem nicht alleine lösen"
Reimer: Dann muss ich aber mal dazwischen gehen. Wenn dieser Anreiz eigentlich bereits existiert, warum wirkt der Mechanismus nicht?
Simon: Weil ein einzelnes Land dieses Problem nicht alleine lösen kann. Kein einzelnes Land hat die Innovationskapazitäten, um Plastik nachhaltiger zu machen. Kein einzelnes Land kann sich davor abschirmen, dass es, besonders wenn es eine Küste hat, Plastikmüll von anderen Ländern wiederbekommt. Plastik, das nicht sorgfältig eingesammelt wird, gelangt irgendwann über den Wind oder über die Flüsse ins Meer, verbreitet sich dort weltweit, und wir haben damit eigentlich schon einen fast klassischen Fall von globaler Umweltverschmutzung, die auch ein globales Abkommen braucht, um gelöst zu werden.
Reimer: Was muss dann Bestandteil von so einem Abkommen sein? Muss man sich das wie das Klimaabkommen vorstellen, jeder Staat verpflichtet sich, Plastik-Recycling-Systeme aufzubauen?
"Unterschiedliche Bedingungen in jeweiligen Ländern berücksichtigen"
Simon: So sehr ins Detail gehen wir da in unserem Vorschlag gar nicht. Wir schlagen vor, dass es zuerst einmal das verbindliche Ziel braucht, dass kein Plastik mehr in die Ozeane gelangen soll, dann aber umgekehrt die Länder relativ flexibel handhaben können, wie sie das Ziel erreichen wollen. Uns liegt vor allem daran, dass zunächst alle Länder auch Mitglied eines solchen Abkommens werden müssen und dass ein solcher Vertrag natürlich auch die unterschiedlichen Bedingungen in den jeweiligen Ländern berücksichtigen muss. Es wäre nicht zielführend zu verlangen, dass ein armes Entwicklungsland binnen weniger Jahre ein kompliziertes Abfall-Verwertungssystem wie wir hier in Deutschland aufbauen.
Umgekehrt können dort möglicherweise ganz andere Lösungen funktionieren, die hier nicht so einfach machbar sind. Ein Beispiel, das wir gehört haben während unserer Recherchen für die Studie, ist die Stadt Jakarta, die mehrere tausend früher informelle und jetzt formalisierte Abfallsammler, sogenannte Way Stickers auf die Straßen schickt, die regelmäßig den Plastikmüll von den Straßen, aus den Kanälen sammeln und dadurch die Stadt deutlich sauberer gemacht haben. So etwas lässt sich in einem Vertrag schwerlich international regeln, so dass es einer flexiblen Lösung dafür bedarf, wie die Staaten ihren Beitrag dazu leisten können.
Reimer: Wer bezahlt das dann zum Beispiel in Jakarta, die öffentliche Hand?
Simon: In dem Fall bezahlt es die öffentliche Hand. Und für ein Plastikabkommen braucht es auch einen Finanzierungsmechanismus. Das kostet natürlich Geld. Aber mit dem Geld sollen eben nicht komplette Abfallsysteme bezahlt werden, sondern sollen die Länder unterstützt werden, einen eigenen besseren Weg mit dem Plastikabfall zu finden. Wenn man auf der anderen Seite bedenkt, dass die weltweite Plastikindustrie 750 Milliarden Dollar im Jahr umsetzt, dann muss es möglich sein, für ein solches Abkommen genügend Geld bereitzustellen, um allen Ländern die Möglichkeit zu geben, mit ihrem Plastikmüll sorgsamer umzugehen.
"Ein Pfandsystem kann in vielen Ländern sehr sinnvoll sein"
Reimer: Braucht es ein Pfand auf Plastik?
Simon: Ein Pfandsystem kann in vielen Ländern sehr sinnvoll sein, nicht zuletzt auch in Europa. In einer weltweiten Konvention kann man so etwas nicht festschreiben. Es sollte aber als mögliches Instrument für nachhaltigen Umgang mit Plastik auf jeden Fall vorgesehen sein und möglich sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.