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Globalisierte Gene

Jedes Volk, jede Sippe, jeder Mensch ist das Produkt einer langen genetischen Geschichte. Sie reicht zurück bis zu den Anfängen der Menschheit in Afrika. Wo genau unsere Vorfahren lebten, wann und wohin sie wanderten, das lässt sich durch Überlieferungen oder archäologische Untersuchungen nur ansatzweise klären. Nun wollen Genetiker die Geschichte der Menschheit aus den Erbanlagen der heutigen Menschen lesen. Dazu haben sie ein weltweites Unternehmen gestartet: das Genographic Project. Auf allen Kontinenten sammeln und analysieren Forscher Speichelproben, um ein virtuelles Museum der Menschheit zu erstellen. Die Ziele sind hoch gesteckt: Jeder einzelne soll erfahren, woher er kommt.

Von Michael Lange und Michael Stang | 23.12.2007
    "You may have your mothers smile, your father’s hair…”"

    ""Man mag das Lächeln der Mutter oder die Haare vom Vater haben. Aber worauf basiert unser Äußeres? Wie lässt sich die enorme Völkervielfalt auf der Erde erklären? Und wie gelangten unsere Vorfahren dahin, wo wir heute leben? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt einer Pionierstudie, die das Denken über unsere Entstehungsgeschichte verändern wird. Das Genographic Project.”"

    Globalisierte Gene - Das "Genographic Project" erforscht den Stammbaum der Menschheit
    Von Michael Lange und Michael Stang

    ""Stefan Burke ist mein Name, ich bin 32 Jahre alt und wohne hier in Breinig, einem Vorort von Aachen."

    Im Internet ist Stefan Burke auf die Seite des "Genographic Project" gestoßen. Für Ahnenforschung interessiert er sich, weil er mehr über die Herkunft seines Nachnamens wissen will. Burke oder "Börk”, wie man in Irland und England sagt.

    "Aufgrund meines Namens vermute ich, dass halt irische Vorfahren irgendwo vorhanden wären. Der Name Burke ist ein typisch irischer Name, in Deutschland so gut wie gar nicht vorhanden und deshalb erhoffe ich oder denke ich, dass ich dort eventuell Vorfahren habe."

    Auf den Internetseiten des Magazins "National Geographic” hat sich der Bankkaufmann über das Projekt informiert. Weltweit sollen so viele Menschen wie möglich eine Speichelprobe abgeben. Die Proben werden genetisch analysiert, so dass Wissenschaftler einen möglichst exakten Stammbaum der Menschheit und eine Karte mit den Wanderungsbewegungen erstellen können. Stefan Burke war sofort interessiert und hat ein Testset bestellt. 99 Dollar musste er bezahlen.

    Die Aserbaidschaner sind Moslems, die Armenier Christen. Beide Völker leben im Kaukasus, aber sie sprechen verschiedene Sprachen und leben in unterschiedlichen Kulturen. Immer wieder gibt es Streit und bewaffnete Auseinandersetzungen, zuletzt in der Region Berg-Karabach. Aserbaidschaner und Armenier haben nichts gemeinsam, so glauben sie. Aber die Genetiker fanden etwas anderes: Sie untersuchten das Erbgut beider Völker und fanden fast nur Gemeinsamkeiten. Die Wissenschaftler schließen daraus: Genetisch haben Armenier und Aserbaidschaner den gleichen Ursprung. Sie sind im Grunde ein Volk. Die Unterschiede in Sprache und Kultur haben sich erst in den letzten Jahrhunderten entwickelt. Ein Grund, sich in Zukunft besser zu vertragen, ist diese Erkenntnis bislang allerdings nicht.

    Einige Tage nach der Bestellung im Internet erhält Stefan Burke ein Paket aus den USA. Burke:

    "Einiges an Tütchen, Versandmaterial, eine DVD, ja Stäbchen, um nachher die Proben zu machen, zwei kleine Reagenzgläschen mit Erklärung und noch weiteres Infomaterial."

    Bunte Broschüren. Alles ansprechend und professionell gestaltet. Die Texte ausschließlich in Englisch. Burke:

    "Schauen wir mal in die DVD rein, was es da so gibt."

    Die DVD startet automatisch. Bilder und Musik, wie aus Hollywood. Auf Wunsch mit deutschen Untertiteln. Burke:

    "So, die Einleitung mal schauen....Ja...."

    "Hi, I’m Doctor Spencer Wells”"

    Doktor Spencer Wells, das Gesicht des "Genographic Projects". Vorgestellt als Genetiker, Anthropologe, Autor und.... Abenteurer. Ein Typ wie Indiana Jones.

    ""In den vergangenen Jahren bin ich in die entlegensten Ecken der Erde gereist, um bahnbrechende genetische Forschung zu betreiben und diese Ergebnisse zu veröffentlichen."

    Burke:

    "Einleitung brauchen wir nicht."

    Wells:

    "Hi, I’m Doctor Spencer Wells..."

    Stefan Burke klickt auf den Menüpunkt "DNA-Sammelmethode". Der Abenteurer im Video sitzt hemdsärmelig auf einem Sofa und sagt, was zu tun ist. Wells:

    "”Make sure you don’t eat or drink anything…”"

    Aha, Video mit genauer Erklärung: ein Stunde vorher nix Essen und Trinken, nix Warmes, nix Kaltes.

    Wells:

    "Öffnen Sie die Plastikverpackung vorsichtig und mit sauberen Händen."

    Burke:

    "So, ich denke, dann mit diesem Schaber in den Mund, aber ich guck mal weiter."

    Wells:

    "Mit dem Schaber reiben Sie etwa sechzig Sekunden lang am Wangeninneren."

    Burke:

    "Ja, dann machen wir das mal…"

    Wells:

    "”Sixty seconds. Like this.""


    Nach einer Minute ist es geschafft.

    Burke:

    "So, die Spitze rein und oben abdrücken."

    Und fertig. Die Genprobe kommt zusammen mit einer Einverständniserklärung in den mitgelieferten Rückumschlag. Und ab mit der Post nach Houston, Texas.

    Wells:

    "And once again: Thank you for your participation.”"

    Die Engländer sind Angelsachsen. Ihre Vorfahren wanderten zu Beginn des Mittelalters aus Mitteleuropa auf die britischen Inseln. Iren und Schotten hingegen sind Kelten und gewissermaßen die Ureinwohner der Britischen Inseln. An dieser Geschichtsschreibung halten beide Seiten hartnäckig fest. Genetisch gesehen sind die Zusammenhänge komplizierter. Alle heutigen Bewohner des Vereinigten Königreiches sind vorwiegend Nachfahren einer britischen Urbevölkerung, die nach der Eiszeit in mehreren Schüben auf die Inseln kam. Erst später kamen Kelten, Römer, Angeln, Sachsen, Wikinger und Normannen hinzu. Und alle hinterließen ihre genetischen Spuren. Die zeitlichen Abläufe und die genauen Zusammenhänge sind unter Wissenschaftlern umstritten. Fest steht: Engländer und Iren sind enger miteinander verwandt als beide Seiten wahrhaben wollen.

    Das "Genographic Project" wurde 2005 gestartet. Dahinter stecken das Magazin "National Geographic" und der Computerkonzern IBM. Öffentlichkeitswirksam ruft Spencer Wells Menschen auf der ganzen Welt auf, bei dem Projekt mitzuwirken.

    Wells:

    "”Wir sind alle Teil einer großen Familie."

    Die professionelle DVD macht klar, jeder Teilnehmer trägt mit seiner Probe zum Projekt bei: Aborigines in Australien, Ureinwohner in Amerika und Stefan Burke in Breinig bei Aachen. Wells:

    "Mit Ihrer Hilfe entsteht die bislang größte Sammlung an DNA-Proben und damit ein für jedermann zugängliches virtuelles Museum der Menschheitsgeschichte. Dank gemeinsamer Bemühungen tut sich die Geschichte der menschlichen Familie in all ihrer Vielfalt vor uns auf."

    Spencer Wells persönlich zu sprechen, ist nicht einfach. Nach einer vierwöchigen Chinareise macht er kurz Zwischenstation in der Zentrale des National Geographic in Washington, DC – für eine Zwischenbilanz. Wells:

    "Die Beteiligung am Projekt war bislang phänomenal. Viel besser als wir erwartet haben. Anfangs hatten wir gehofft, dass wir insgesamt vielleicht 100.000 Test-Sets verkauft bekommen. Nach der Hälfte des Projektes stehen wir jetzt schon bei 220.000 und verkaufen immer noch mehr als 1000 pro Woche. Das ist phantastisch, und bringt in eine Menge Geld in die Kasse."

    Nicht alle Teilnehmer werden durch das Internet oder den National Geographic auf das Projekt aufmerksam. Es gibt Teilnehmer, die zu Hause von den Wissenschaftlern besucht werden und die nicht bezahlen müssen. Es geht um indigene Völker. Menschen, die seit langer Zeit an einem Ort leben, ohne dass es Vermischungen mit Nachbarvölkern gegeben hat. Ihre Proben sind für das Projekt besonders wichtig. Kein Weg ist zu weit für Spencer Wells:

    "Das Sammeln der Proben ist eine große Herausforderung. Das ist schon hart, draußen in der Wildnis und manchmal körperlich sehr anstrengend, je nachdem, wo man hin muss. Zuletzt war ich erst in Tadschikistan, an der Nordgrenze Afghanistans, zuvor war ich im Tschad, nahe der libyschen Grenze. Das kein Spaziergang. Aber die größte Herausforderung ist, die Menschen vor Ort von dem Projekt zu überzeugen. Vielerorts gibt es Vorbehalte. Wissen Sie, die Aborigines in Australien würden sagen: "Was wollen die weißen Typen mit uns anstellen?"

    Spencer Wells ist nicht allein unterwegs. Zum "Genographic Project" gehören ein knappes Dutzend Labors, die beim Projekt mitmachen - verteilt über alle Kontinente: Barcelona, Adelaide, Shanghai, Johannesburg und so weiter. Zusammen konnten sie mittlerweile mehr als 30.000 Proben indigener Völker sammeln und auswerten. Stefan Burke:

    "Ja, da schauen wir mal. Es ist jetzt zwei, zweieinhalb Wochen her, dass ich die Sachen abgeschickt habe, ob sich schon was getan hat.... auf der Internetseite mal den Code eingeben…"

    Ein Video im Internet informiert Stefan Burke über den aktuellen Stand.

    "Schritt eins. Ankunft und Registrierung. Die Proben wurden nach Houston, Texas, ins Labor der Universität von Arizona geschickt. Dort werden sie sortiert und für die DNA-Isolierung vorbereitet."

    Das Sanger-Institute in der Nähe von Cambridge, England, das größte DNA-Sequenzierzentrum in Europa.

    "”I am Chris Tyler-Smith. I am a Wellcome-Trust Senior Investigator at the Sanger-Institute.”"

    Chris Tyler-Smith leitet hier eine Arbeitsgruppe. Im blauen Kittel steht er in einem Maschinenraum mit 75 Sequenzierautomaten. Tyler-Smith:

    "Jede dieser Maschinen ist ein DNA-Sequenzierapparat. Wir befinden uns sozusagen im Herzen des Sanger-Instituts."

    Chris Tyler-Smith ist beim "Genographic Project" für die Auswertung der Daten zuständig. Er untersucht die Unterschiede im Erbgut der Teilnehmer. Am wichtigsten sind dabei so genannte Mutationen – zufällige Erbgutveränderungen. Tyler-Smith:

    "Die Mutationen, die wir beim ‚Genographic Project’ untersuchen, liegen nicht in den Genen. Diese Veränderungen haben keine Funktion und keinerlei Einfluss auf das Aussehen. Auch medizinisch haben sie keinerlei Bedeutung. Wir schauen gezielt auf einzelne Stellen im Erbgut, die Auskunft über die jüngsten Kapitel der menschlichen Evolution geben."

    Sein Spezialgebiet ist die väterliche Ahnenreihe. Dazu untersucht er das Y-Chromosom. Nur Männer besitzen dieses kleine Chromosom. Tyler-Smith:

    "”Das Y-Chromosom unterliegt ständigen Veränderungen. So kommt es, dass die Westeuropäer ein anderes Y besitzen als die Osteuropäer. Deshalb ist es hervorragend geeignet, um Wanderungsbewegungen zu rekonstruieren. Wenn auch nur aus männlicher Sicht.""

    Den weiblichen Teil der Geschichte erzählt die DNA in den Mitochondrien, den Zellkraftwerken. Ihre Erbinformation wird nur über die mütterliche Linie weitergegeben. Tyler-Smith:

    "Selbst wenn wir das ganze Erbgut untersuchen könnten, wären das Y-Chromosom und die Mitochondrien-DNA immer noch interessant. Denn sie ermöglichen einen separaten Blick auf die männliche und die weibliche Ahnenreihe. Aber wir wissen: Es ist nur ein Anfang und nicht die ganze Geschichte."

    Das Y-Chromosom und die Mitochondrien-DNA liefern nur einen kleinen Ausschnitt der Menschheitsgeschichte. Aber noch gibt es keine andere Möglichkeit für die Genetiker, so weit in die Vergangenheit zu blicken. Tyler-Smith:

    "Es gibt noch viele Fragen: Wie viele Wanderungsbewegungen aus Afrika haben stattgefunden? Welche Wege in die verschiedenen Kontinente haben die Menschen gewählt? Wie lange haben sie gebraucht? Solche Fragen konnten wir bisher nicht zufriedenstellend beantworten. Wir hoffen, dass das Genographic Project dazu beitragen kann."

    1998 begann in Island ein vieldiskutiertes Genom-Projekt. Das Erbgut der Isländer sollte erfasst und untersucht werden. Es hieß: Die Insel am Polarkreis sei deshalb ideal für genetische Forschung, weil angeblich alle heutigen Isländer von wenigen Wikingern abstammen. Tatsächlich bestätigten erste Untersuchungen, dass die Mehrheit der männlichen Erblinien der Isländer nach Skandinavien wies. Es fanden sich aber auch typisch keltische Erbmerkmale, insbesondere bei der Untersuchung der mütterlichen Erblinien. Da auch im Norden Schottlands Siedlungsspuren von Wikingern gefunden wurden, glauben die Forscher nun, dass die Nordmänner aus Skandinavien zunächst nach Schottland reisten. Hier ließen sie sich nieder. Viele Jahre später gingen sie erneut auf große Fahrt, in Begleitung schottischer Frauen. Ihr Ziel: Island. Ob die schottischen Frauen geraubt wurden oder freiwillig mitkamen, ist unbekannt.

    Wieder eine Woche später. Neue Informationen für Stefan Burke im Internet. Burke:

    "So, mal schauen. Das Ergebnis kann noch nicht da sein. Stand ja vier bis sechs Wochen…"

    "”Schritt zwei. DNA-Isolierung. Die Körperzellen werden mit einem Enzym behandelt, um die DNA zu gewinnen. Das Erbmolekül wird aus den Zellen herausgewaschen und in mehren Schritten gereinigt. Zuletzt liegt sie gelöst in einer Flüssigkeit vor.""

    Cambridge, in England. An der Anglia-Ruskin Universität forscht der Genetiker Peter Forster. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den Möglichkeiten genetischer Ahnenforschung. Forster:

    "Ich glaube, wir haben schon einen sehr guten Eindruck, wie die verschiedenen DNA-Typen um die Welt verteilt sind. Wir haben schon - bevor Genographic anfing - 40.000 Proben in unserer eigenen Datenbank, von denen wir das DNA-Profil kennen. Und da erwarte ich wenig Neues, wenn man diese Zahlen verdoppelt oder sogar verdreifacht. Also das wird sicher kein großer Gewinn sein."

    Die Daten, die das "Genographic Project" liefert, haben für viele Wissenschaftler keine Bedeutung. Die Auflösung ist vielen Wissenschaftlern zu gering. Forster:

    "Die Daten von Genographic wären für meine Forschung eher von begrenztem Nutzen, da die genetische Auflösung nicht sehr hoch ist. Heutzutage benutzt man eine Auflösung, die um den Faktor zehn bis 20 höher ist. Und andererseits ist auch die Zuordnung der DNA Profile mit der jeweiligen Bevölkerung wahrscheinlich nicht so interessant für mich, da wir natürlich eingeborene Völker haben möchten, die genau wissen, woher ihre Vorfahren kommen."

    Für wissenschaftliche Forschung braucht man nicht nur Spucke und Genmaterial, sondern auch Informationen der Probengeber. Wo leben sie? Wie alt sind sie? Was wissen sie über ihre Vorfahren? Alle diese Informationen fehlen im so genannten "Participation Project" – dem Teil des "Genographic Project" für die Öffentlichkeit. Dieses ist in den Augen von Peter Forster eher eine große Werbeveranstaltung. Forster:

    "Ich glaube, das grobe Schema, wie sich die Menschheit verbreitet hat über alle Kontinente, das haben meine Kollegen und wir so innerhalb der letzten zehn Jahren, zwischen 1995 und 2005, einigermaßen festgeklopft. Ich glaube, da wird nicht sehr viel Grundsätzliches zu entdecken sein, wenn es um Einwanderungsrouten oder Einwanderungszeiten geht, für die verschiedenen Kontinente."

    Peter Forster zufolge handelt es sich dabei um ein Alibiprojekt. Die Vertreter der indigenen Völker sollen sehen: Es ist ein weltweites Projekt. Alle Probengeber sind wichtig und werden gleich behandelt. Egal, ob der Probengeber aus einen entlegenen Dorf am Amazonas stammt oder aus New York. Forster:

    "Das kommt mir erstmal ein bisschen seltsam vor. In meiner eigenen Forschung sind natürlich Proben nicht so einfach von der Straße zu holen, sondern man möchte Proben von Menschen haben, die angestammt aus einer Gegend sind. Aber was mich dann wundert ist, dass trotzdem die Medienarbeit darauf hinauszulaufen scheint, dass die Proben der Spender in Amerika oder in Europa, dass diese einen sehr großen wissenschaftlichen Wert haben, aber wie gesagt, vielleicht ist das eine Sache, die man dann nicht so an die große Glocke hängen möchte, dass man es eigentlich auf die eingeborenen Völker abgesehen hat bei der Probensammlung."

    Das "Genographic Project" ist nicht in erster Linie ein wissenschaftliches Projekt. Forscher hätten gerne auch Informationen über den Gesundheitszustand der Probanden, dann könnte mit den Daten auch medizinische Forschung betrieben werden, wie Krebsstudien oder die Suche nach Diabetes-Genen. Das jedoch ist mit den Daten aus dem "Genographic Project" unmöglich.

    Neue Informationen für Stefan Burke im Internet. Burke:

    "Weiter im Takt, ja ...mal den Code eingeben: "

    "Schritt drei: DNA-Analyse. Bestimmte Regionen auf dem Erbmolekül werden markiert. Und diese millionenfach vervielfältigt – mit der Polymerase-Kettenreaktion, PCR. Die DNA-Abschnitte werden nach Größe aufgetrennt und genotypisiert. Die so gewonnen Daten werden abschließend analysiert."

    Die Idee, die Völker der Welt genetisch zu erfassen, ist nicht neu. Anfang der neunziger Jahre startete Luca Cavalli-Sforza das Human Genome Diversity Project. Dabei hatte es der Anthropologe auf Blutproben eingeborener Völker abgesehen. Vielfach stieß er auf Widerstand der Betroffenen. Viele waren nicht damit einverstanden, den einfallenden westlichen Wissenschaftlern ihr Erbmaterial einfach so zur Verfügung zu stellen. Sie hatten Angst, dass mit ihren Proben Missbrauch getrieben wird. Spencer Wells ist Schüler von Cavalli-Sforza. Bei seinem "Genographic Project" will er die Fehler seines alten Professors vermeiden. Wells:

    "Als wir das Genographic Projekt planten, haben wir von Anfang an gesagt, dass wir nichts patentieren wollen. Alle gewonnenen Informationen gehören der ganzen Menschheit und müssen öffentlich zugänglich sein. Deshalb haben wir indigene Gemeinschaften einbezogen, um mit ihnen zusammenzuarbeiten. Das ist ein komplett neuer Ansatz. Deshalb werden wir erfolgreich sein, im Gegensatz zu dem Vorgängerprojekt."

    Aber Proteste blieben auch diesmal nicht aus. Das IPCB, Komitee der indigenen Völker gegen Biokolonialismus (Indigenous Peoples Council on Biocolonialism), eine Organisation, die die Rechte indigener Völker vertritt, schreibt auf ihrer Internetseite, Zitat:

    "Es ist interessant, wie damals rassistische Wissenschaftler in der Eugenik-Bewegung behaupteten, dass wir ihnen genetisch unterlegen seien. Und heute wollen sie mit ihrer Forschung zeigen, dass wir alle miteinander verwandt sind und gemeinsame Vorfahren haben. Beide Annahmen basieren auf rassistischer Wissenschaft und erzeugen unbrauchbare und gefährliche Schlussfolgerungen zum Thema Indigene Kulturen."

    Wells:

    "Am Anfang gab es bei manchen Ureinwohnern Proteste gegen das Projekt. Wir haben uns dann mit ihnen getroffen und über ihre Bedenken gesprochen. Zum einen stand die Wissenschaft im Widerspruch zu ihren religiösen Überlieferungen. Andererseits gab es Zweifel, ob die Proben respektvoll behandelt werden. Einige Gruppen konnten wir trotzdem nicht überzeugen, obwohl wir ihnen auch finanzielle Vorteile angeboten haben. Ein Teil unserer Einnahmen geht in den so genannten Legacy-Fund. Wir unterstützen die Ureinwohner, bei der Bewahrung ihrer Sprache und ihrer Traditionen. Mittlerweile haben wir für diesen dritten Teil des Projektes 2,6 Millionen Dollar innerhalb einer Stiftung eingesammelt."

    Madagaskar ist die viertgrößte Insel der Welt. Obwohl sie sich vor der Küste Afrikas befindet, wurde sie erst vor 1.500 Jahren besiedelt. Ob die ersten Bewohner Afrikaner waren oder nicht, war lange Zeit unklar. Genetiker aus England haben bei Tests an den Nachkommen der Urbevölkerung acht verschiedene mütterliche Erblinien afrikanischen Ursprungs entdeckt. Die männlichen Y-Linien stammen jedoch aus Polynesien. Die Forscher vermuten, dass Polynesier mit ihren Katamaranen den indischen Ozean überquert haben und dabei auf Afrika gestoßen sind. Nachdem sich einige Seefahrer mit der afrikanischen Bevölkerung vermischt hatten, zogen sie erneut los. Simulationen zeigen, dass wahrscheinlich nur 100 Menschen nach Madagaskar übersiedelten.

    Die Teilnehmer, die über das Internet zum "Genographic Project" gefunden haben, interessieren sich vor allem für ihre eigene, ganz persönliche Geschichte. Wie Stefan Burke. Er will wissen: Hat er irische Vorfahren oder nicht? Der Genetiker Peter Forster macht ihm wenig Hoffnung:

    "Vom ‚Genographic Projekt’ wird der Herr Burke wahrscheinlich nicht erfahren, ob es noch einen anderen Burke gibt mit demselben Y-Chromosom. Ich glaube, dass das sicherlich nicht weiterhelfen wird für solche speziellen Familienfälle. Also, so weit so schlecht für Herrn Burke."

    Fünf Wochen nachdem Stefan Burke seine Probe eingeschickt hat, schaut er mal wieder auf die Internetseite des "Genographic Project". Das Ergebnis ist da. Bevor er seine Daten einsehen kann, muss er die allgemeinen Geschäftsbedingungen akzeptieren. Diesmal nur auf Englisch. Burke:

    "Thank you for your participation in the ‘Genographic Project’. Before viewing your personal migratory profile, please read the important information below concerning the genetic test performed on the DNA sample you provided and the terms and conditions of participating in the ‘Genographic Project’. Because some participations may have received the public participation kit as a gift, we ask all participations to acknowledge their consent once again prior to accessing their results.”"

    Burke:

    ""Aha, wird für nichts anderes genutzt… Anything about your health… Aha …nichts über Gesundheit und oder gesundheitliche Probleme von mir und meiner Familie, aha….tja… Aha… Ja, dann stimmen wir mal zu … scheint ja wirklich so zu sein, dass man da keine Bedenken haben müsste…"

    Ein Klick auf "I acknowledge" und die Seite mit dem Ergebnis baut sich langsam auf. Burke:

    "Manchmal muss man ein bisschen Geduld mitbringen…"

    Eine Weltkarte erscheint. Nach einem Klick startet ein Video. Spencer Wells, Genetiker, Anthropologe, Autor und .... Abenteurer, teilt Stefan Burke sein persönliches Ergebnis mit:

    "Ihre Ergebnisse sagen uns, dass Ihr Y-Chromosom zur Haplogruppe I gehört. Das zeigt der Marker M 170. Er entwickelte sich in Europa, wahrscheinlich vor etwa 25.000 bis 30.000 Jahren. Die Linie teilte sich später auf in zwei Hauptlinien: I 1 a und I 1 b."

    Stefan Burke:

    "Was bedeutet Hapla-Group 1?...Aha, da beschreiben sie noch, was die einzelnen Gruppen besagen…"

    Um mehr zu erfahren, muss Stefan Burke einen vierseitigen Text auf Englisch durcharbeiten. Zitat:

    "”Your Y chromosome results identify you as a member of haplogroup I. The genetic markers that define your ancestral history reach back roughly 60 000 years to the first common marker of all non African men, and M 168 and follow your lineage to present day, ending with M 170, the defining marker of haplogroup I.”"

    Stefan Burke:

    "......aha, meine genetischen Merkmale reichen circa 60.000 Jahre zurück… aha…kann man aber leider nicht gut erkennen… may you have a look at the map."

    Ein Vorfahre Stefan Burkes lebte in der Zeit vor 31.000 bis 79.000 Jahren in Nordostafrika. In der Region der heutigen Staaten Äthiopien, Kenia und Tansania. Vor rund 45.000 Jahren verließen seine Ahnen Afrika über den Nahen Osten Richtung Balkan. Vor 20 000.Jahren lebte dort ein Mann, der das gleiche Y-Chromosom trug wie heute sein Nachfahre Stefan Burke. Nach Ende der Eiszeit besiedelten dessen Nachfahren weite Teile Europas. Zitat:

    "”It´s possible that the Vikings descended from this line. The Viking raids on the British Isles might explain why the lineage can be found in populations in southern France and among some Celtic population. However, be sure to revisit these pages. As additional data are collected and analysed more will learned your place in the history of men and women who first populated the earth.”"

    Stefan Burke:

    "Also, es ist durchaus möglich, dass von der Linie, die den Ursprung vor 20.000 Jahren im Bereich des Balkans hatte, dass davon die Wikinger abstammen im Endeffekt, also die gesamte Wikingerlinie daraus resultiert, ne…"

    Zitat:

    "”This is where your genetic trail, as we know it today, ends.”"

    Stefan Burke:

    "”Aha... das war’s.""

    Stefan Burke hat sich durch sein persönliches Ergebnis gekämpft. Er betrachtet die mitgelieferte Weltkarte, auf der die Wanderungen seiner Vorfahren mit einem dicken roten Pfeil verzeichnet sind. Das mitgelieferte Zertifikat druckt er aus. Zitat:

    "”The Genographic Project: Certificate of Y-chromosome DNA testing. In recognition of your participation in the Genographic Project, we hereby certify that Stefan Burke belongs to Haplogroup I (M 170), October, 19th, 2007.”"

    "Das Genographic-Projekt: Zertifikat der Y-Chromosom DNA-Analyse. In Anerkennung Ihrer Teilnahme am Genographic Project beurkunden wir hiermit, dass Stefan Burke zur Haplogruppe I (M 170) gehört. 19. Oktober, 2007."

    Stefan Burke:

    "Grundsätzlich ist ja herausgefunden worden, dass die eine Linie, die da war, dann durchaus in Richtung keltische und skandinavische, ja Wikinger daraus geworden sind: Gut, und dass man nähere Verwandte in Irland hat, ‚OK’ das kann durchaus sein."

    Aber die wichtigste Frage für Stefan Burke: Hat er Vorfahren aus Irland? Die ist immer noch nicht beantwortet. Burke:

    "Das ist ja von dem Werbeeffekt schon so, dass man da den Eindruck gewinnen könnte, dass man da mehr Detailwissen und detailliertere Informationen zu näheren Wanderwegen der Vergangenheit bekommen kann und nicht nur Dinge, dass man hört 50.000…30.000…21.000 Jahre Vergangenheit, was aber in den letzten 20.000 Jahren war, da ist jetzt gar nichts bei herausgekommen."