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Globalisiertes Essen
Vom Balkanteller zum Döner Hawaii

Einflüsse aus anderen Ess-Kulturen sind vielen Deutschen willkommen. Mediterrane Küche und Tapas sind in, als Imbiss ist der Döner unschlagbar. Die Fleischberge vom Griechen oder Balkan-Grill dagegen kommen nicht mehr so gut an und auch die China-Restaurants haben längst Konkurrenz bekommen.

Von Inge Breuer | 09.04.2015
    Ein Mann schneidet Fleisch von einem Dönerspieß ab.
    Dönersandwich und Döner-Teller sind beliebt in Deutschland. (picture alliance / dpa/ Inga Kjer)
    "Unbestrittene Nummer eins bleibt die italienische Küche, die dominiert das Feld in einer Ausprägung, die bis heute gültig ist bei uns, also das Ristorante-Pizzeria. Also, Deutsche lieben Pizza und lieben Pasta, alles andere, von Tiramisu abgesehen, spielt eine geringere Rolle."
    Mitte der 60er-Jahre waren Eisbein und Schweinshaxe noch die Leib- und Magenspeise der meisten Deutschen. Heute schütteln sich viele seiner Studenten, wenn sie nur davon hören, erzählt Marin Trenk, Ethnologieprofessor an der Uni Frankfurt.
    "Mediterran" zu essen, ist dagegen in. Und als Imbiss ist der Döner nicht zu schlagen. Deutsches Essen mit Migrationshintergrund! Selbst in die Tiefkühlregale ist Exotik eingezogen oder zumindest das, was exotisch klingt, wie zum Beispiel: die "Mexiko-Pfanne".
    "Die können Sie in Mexiko vergeblich suchen, so wie Sie die Karibik-Pfanne in der Karibik nicht finden werden und die Thai-Pfanne in Thailand nicht. Dieses Pseudoethnofood, das spielt eine ganz große Rolle."
    Foodethnologe beschreibt Wandel der Esskulturen
    Einer der Schwerpunkte in Marin Trenks Arbeiten ist "Kulinarische Ethnologie". Er beschäftigt sich damit, warum Menschen essen, was sie essen, warum sich kulinarische Vorlieben ändern und welche Küchenstile gerade in sind. Gerade ist sein Buch "Döner Hawaii" erschienen. Darin beschreibt der Foodethnologe den Wandel der Esskulturen.
    Die größte Revolution in den Kochtöpfen der Welt gab es, nachdem Kolumbus Amerika entdeckt hatte. Mais, Kartoffel, Tomate, Chili wanderten aus der Neuen in die Alte Welt. Und von Europa wiederum gelangten Haustiere in die neue Hemisphäre. Die Indios kannten bis dahin nämlich vor allem Truthahn und Meer-schweinchen als Fleischlieferanten.
    "Man kann sich ja Europa ohne die Kartoffel oder Südostasien ohne Chili nicht vorstellen. Jede Kultur der Welt wurde verändert. Aber das Interessanteste für mich war, dass die Kulturen damals keine Neigung hatten, Rezepte, also Gerichte auszutauschen. Das kommt erst im kolonialen Kontext und ganz zaghaft."
    Im kolonisierten Indien lernten die Engländer das "Curry" schätzen. Ein Wort allerdings, das den Indern gar nicht geläufig war und den Briten letztlich zur Bezeich-nung aller stark gewürzten Speisen mit Sauce diente. In stark vereinfachter Weise fanden diese Currys dann ihren Weg nach England. So wie übrigens die "indonesische Reistafel" in Holland populär wurde und der Maggi-Würfel nicht mehr aus Westafrika wegzudenken ist. Aber so richtig global wurde die Küche erst im 20. Jahrhundert:
    "Dann taucht das bei uns auf, was heute für uns so selbstverständlich ist, dass komplette Küchen bei uns vorhanden sind. In dem Augenblick, wo die Migranten kamen, gingen die ersten Touristen in den Mittelmeerraum. Und das war die erste kulinarische Horizonterweiterung und die ermöglichte dann auch, dass exotischere Küchen kamen."
    Balkanplatte und Akropolisteller befriedigten Hunger der Nachkriegszeit
    Kein Zufall vielleicht, dass sich zunächst die Küchen hier behaupten konnten, die den deutschen Essgewohnheiten recht nahe standen. Neben der italienischen Pizza - die ja durchaus auch mit Gouda, Spiegelei oder Ananas belegt werden kann -, etablierten sich hierzulande vor allem der Balkan-Grill und etwas später auch die griechische Taverne.
    "Beide zeichnen sich dadurch aus, dass es Fleischberge gibt, also Balkanteller, die Balkanplatte, der Akropolisteller - diese Fleischberge, die befriedigten einen Hunger der Nachkriegszeit. Jetzt ist der Balkan komplett verschwunden und die Griechen mit ihren Fleischbergen stehen mit dem Rücken zur Wand. Die haben eine Chance jetzt sich mediterran zu orientieren. Und eine Möglichkeit sich mediterran und modern zu orientieren, ist die Tapas-Kultur. Die griechischen Meze sind jetzt zu Tapas geworden, wenn man das anbietet, dann geht's."
    Ebenso kam und ging "der Chinese" mit seinem prachtvollen rot-goldenen Interieur vom Pagodentorbogen bis zur Plastik-Drachensäule. Auch dort wurde Vertrautes vor allem mit einem Hauch von Exotik umgeben, mit Ananas, Fruchtcocktails oder Bambussprossen aus der Dose, abgeschmeckt mit Glutamat und Sojasauce.
    Heute versuchen die China-Restaurants mit All-You-Can-Eat-Buffets auf dem Markt zu bleiben. Kein übermäßig erfolgreicher Weg, meint Marin Trenk, angesichts der zahlreichen preiswerten Asia-Imbisse. Denn "asiatisch" boomt, allen voran die - auf den europäischen Geschmack abgestimmte - Thai-Küche. Und selbst japanische Sushis sind mittlerweile in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen; dabei galt der Verzehr von rohem Fisch bis vor Kurzem als geradezu barbarisch.
    "Was anfing als die Yuppiespeise schlechthin, Sushi, ist heute im Tiefkühlfach bei den Discountern zu finden. Das heißt jedermann isst es."
    Einheimische Küche in Auslaufmodell?
    Die einheimische Küche ist mittlerweile fast ein Auslaufmodell. Selbst der deutsche Filterkaffee ist längst der Vorliebe für Latte Macchiato gewichen. Deutsche Restaurants sind inzwischen Exoten in unseren Großstädten, vielleicht auch, so Marin Trenk, weil es - anders als in Frankreich - nie eine deutsche Nationalküche gegeben hat.
    "Die Fachleute sagen, dass es eine deutsche Nationalküche nie gegeben hat, weil es einen deutschen Nationalstaat erst so spät gegeben hat. Auf der anderen Seite, Deutschland war ein einheitlicher Kulturraum und da haben sich schon gewisse Gemeinsamkeiten herausgebildet. So unsere Begeisterung für bestimmte Brotsorten, für bestimmte Wurstsorten, unsere Begeisterung für dicke Suppe oder unsere Begeisterung für Kaffee und Kuchen, so eine Sache, die sehr auffallend ist."
    Doch ob mediterran, asiatisch oder auch Fast Food - der alles übergreifende kulinarische Megatrend, so Marin Trenk, sei der der "Invisibilisierung". Das verzehrte Tier soll zunehmend unsichtbar sein, als Hühnerbrust, Filetstück oder als Fischstäbchen.
    "Der Trend, den ich sehe, ist, dass eine Mehrzahl bei uns durchaus Fleisch isst, aber kein Fleisch, das sie an das Tier erinnert, von dem das Fleisch kommt. Also weg von allen Innereien, aber auch von allen Äußereien. Also deshalb auch kein Kalbskopf, keine Ochsenschwänze und Kalbsfüße, das verschwindet alles. Was auftaucht, ist Muskelfleisch in einer Steakform oder einer Hackfleischform, und dann als ultimative Entwicklung das Chicken Nugget, wo Hühnerbrust eine von vielen Ingredienzien ist, aber es sieht weder aus wie ein Huhn noch schmeckt wie ein Huhn."
    Und aus diesem Trend ergibt sich dann für Marin Trenk fast zwangsläufig:
    "Der Schritt zum Vegetariertum oder zum Veganertum ist ja nur ein Schritt weiter. Man dehnt das Speisetabu, die Essensmeidung auf den ganzen Tierbereich aus. Ich persönlich finde, wer Putenbruststreifen auf Salat ein leckeres Essen findet, der sollte den Schritt zum Vegetarismus machen. Denn geschmacklich ist da kein großer Unterschied mehr."