Gamen, Daddeln, Zocken. Die Menschen stecken eine Menge Energie und Zeit in Computerspiele, warum soll man das nicht nutzen, instrumentalisieren? Fragt David Baker von der Universität Washington, in einem Tutorial für das Spiel: "Foldit" ist eines von 50 Games in der Karlsruher Schau, die man, so Kurator Stephan Schwingeler, auch selber spielen kann und soll: "Foldit" heißt "Falte es!"
"'Foldit' ist ein Puzzlespiel und man muss Proteine falten. Der Clou, die Pointe an diesem Spiel ist, dass diese Proteine echt sind. Das heißt also, wenn ich die Puzzles löse, trage ich dazu bei, wie die Forschung der Universität Washington weiter voran getrieben werden kann."
2008 kam "Foldit" in einer ersten Version ins Netz. Aktuell indes konnten Tausende von "Usern" - die einfach nur ein etwas komplexeres "Tetris" an der Oberfläche bedienen - ein Protein des HIV-Virus entschlüsseln, sie schafften es innerhalb von drei Wochen. Wissenschaftler hätten dafür wohl mehrere Jahre gebraucht, wurde in internationalen Nachrichten kommentiert, Crowdsourcing sei jetzt auch wissenschaftliche Methode. Und User würden so Teil eines Computerprogramms.
"Das Phänomen ist als 'Citizen Science' bekannt, also 'Bürgerwissenschaften'. Wenn man diese Aufgaben, die teilweise dröge und trocken sind – Proteine falten, wer macht das schon gerne? - in ein Computerspiel kleidet, also 'Gamification' damit betreibt, wird es attraktiver, es entwickelt sich ein Ehrgeiz und so weiter."
Computerspieler helfen bei der Aids-Forschung
Beim Joghurt in der Mittagspause ´mal eben die Menschheit vorangebracht - Bürgerwissenschaften also, ein neues Game Genre, meint Stephan Schwingeler, der unlängst die erste deutsche Dissertation vorgelegt hat, zu dem Thema "Kunstwerk Computerspiel". Mutmaßlich, das sagen auch andere Medienwissenschaftler, sei das Computerspiel mit breit schillerndem Potenzial das Kunstwerk des 21. Jahrhunderts, so wie der Film das des 20. Jahrhunderts.
"Computerspiele zu reduzieren auf ihre Schönheit bedeutet, nur an der Oberfläche zu kratzen. Das künstlerische Moment liegt in der Tatsache, dass sie interaktiv sind. Man kann zum Beispiel ein Computerspiel als propagandistisches Instrument einsetzen, wie 'America´s Army' zeigt, also ein Ego-Shooter, den die US-Regierung in Auftrag gegeben hat."
Während Stephan Schwingeler erläutert, haben wir Level 1 von "America´s Army" vielleicht schon überlebt, ein Ballerspiel mit jeder Menge kitschigem US-Patriotismus.
"Es ist sogar mehr als das: Es ist ein Rekrutierungswerkzeug für die Jugendlichen, die da ganz klar anvisiert sind."
Als korrespondierendes "Global Game" bespielt Stephan Schwingeler die Konsole daneben, mit "Under Siege", einem ähnlich plakativen Niedermetzel-Spiel von dem syrischen Verlag "Dar Al Fikr". Wir sind Palästinenser und sammeln Punkte für tote Israelis. Wenn man das Computerspiel als ein globales Phänomen betrachte, so der Medienwissenschaftler, müsse man eben auch zur Kenntnis nehmen, dass an verschiedenen Orten anders simplifiziert werde, auf Gut und Böse.
Apple löscht Spiel über Produktionsbedingungen des iPhones aus App-Store
Man kann – spielerisch leicht - dem historischen persischen Schah helfen, den ersten gewählten Präsidenten des Iran zu beseitigen. Oder Flüchtlingsboote im Mittelmeer versenken. Die meisten "Global Games" in der Schau stammen von Underground-Entwicklern, sind bitterböse in ihrem Sarkasmus und werfen – auch so kann man interpretieren – die Frage auf: Ist zum Beispiel internationale Realpolitik mit Flüchtlingen nicht auch "real-sarkastisch"?
"Das 'Serious Game' als Begriff ist paradox: Das ernste Spiel. Aufklärerische Spiele, die einen 'Change' oder sozialen Wandel herbeiführen wollen. Ein Beispiel ist 'Phone Story' von Paolo Pedercini, ein italienischer Entwickler, der ein Spiel für das iPhone gemacht hat. Dieses Spiel zeigt die Produktionsbedingungen des iPhones.
Wir zwingen Sklaven, nach Seltenen Erden zu schürfen, oder fangen Arbeiter auf, die sich in Selbstmordabsicht von chinesischen Fabriken stürzen. Und zwar auf einem iPhone spielend.
"Eigentlich müsste man, nachdem man das Spiel gespielt hat, im Sinne eines Verfremdungseffekts oder einer Bewusstwerdung, das Telefon direkt aus der Hand legen. Das ist brisant. Apple hat dieses Spiel verboten, im App Store zensiert."
"Phone Story" beruht auf echten Recherchen über die Produktionsbedingungen des Mobiltelefons. Das Computerspiel, ein potenziell machtvolles Medium – wenn die User denn tatsächlich ihr Verhalten ändern. Die Emanzipationsgeschichte des Mediums, diese Diskussion über seinen Wert – oder ob Ego Shooter linear Amokläufe bewirkten - das müsse man jetzt auch mal abhaken, sagt Stephan Schwingeler. Und das ist der große Eindruck: Bei den "Global Games" kommt man auf ein neues Level.