Das Wort Auslosung trägt im Sport viele Versprechen in sich. Es klingt nach Zufall, nach Überraschung, nach unerwarteten Wendungen. Glück ist dabei nötig - oft hat man eher Pech. Bei der EM 2020 geht es allerdings kaum um Zufall, Glück oder Pech. Denn einfach gelost wird hier fast gar nichts.
Die erste Absurdität: Die Auslosung der Playoffs – einer Art Nach-Qualifikations-Zwischenrunde. In vier PDF-Dokumenten hat die UEFA die Reglementierungen für diese Auslosung festgehalten. Alles ganz einfach: Das "Nations League Overall Ranking" ist hier wichtig. Kennt keiner, ist eigentlich auch egal, kurz gesagt: Alle Ergebnisse aus den Gruppenspielen der Nations League, die im Herbst 2018 ausgetragen wurden, kommen in einer Tabelle zusammen.
Na gut, genauer gesagt sind es vier Tabellen, denn es waren ja auch vier Ligen. Mit 16 Gruppen. Die 16 Gruppensieger sollten die Playoffs bestreiten, aber davon waren schon 12 direkt qualifiziert. Andere Mannschaften durften also nachrücken: Per Rangliste in der eigenen Liga, per Los in die nächsthöhere Liga.
Um diese letzten freien Plätze zu vergeben, hielt die UEFA am Freitag eine "Auslosung" ab, flog dafür den früheren Europameister Angelos Charisteas aus Griechenland als Losfee in die Schweiz ein, und der zog genau eine entscheidende Kugel, der Rest sortierte sich im Ausschlussverfahren.
Eine Auslosung, die eigentlich keine Auslosung ist
Es war ein kleiner Vorgeschmack auf das, was am Samstag kommender Woche in Bukarest ansteht. Für die Endrunde der Europameisterschaft werden dort von der UEFA die Vorrundengruppen sagen wir mal: "ausgelost".
24 Mannschaften spielen mit, sieben davon sind Gastgeber. Und jeder Gastgeber hat seine Gruppenzuteilung bereits, damit es auch Heimspiele werden. Italien? Gruppe A in Rom! Russland? Gruppe B in Sankt Petersburg! Dänemark? Auch Gruppe B in Kopenhagen! Und so weiter, damit sind schon sieben Plätze vergeben, bevor auch nur ein einziges Los gezogen worden ist. Aber es bleiben ja noch 17 Lose in der Trommel, die alle in jeder Gruppe landen können, bei dieser "Auslosung".
Nun ja, mit einer weiteren Ausnahme: Die Ukraine befindet sich in einem sogenannten politischen Konflikt mit Russland, aus Sicherheitsgründen dürfen die beiden Mannschaften zumindest in der Vorrunde nicht gegeneinander spielen. Gruppe B ist also tabu für die Ukraine. Da aus dem ersten Lostopf aber die vier Gastgeber schon verteilt sind, muss die Ukraine in die Gruppe C zu den Niederlanden. Das führt zum nächsten "Nicht-Los". Denn auch Belgien, das mit diesem Konflikt doch eigentlich nix zu tun hat, ist damit aus der Verlosung raus - die Mannschaft muss im Umkehrschluss in die Gruppe B. Dort stehen nun mit Russland, Dänemark und Belgien drei von vier Mannschaften fest, der erste Lostopf ist schon leer - und das alles schon vor dieser "Auslosung".
Neun vogelfreie Teams
Immerhin neun Mannschaften aus den Töpfen 2 und 3 sind aber wirklich frei zuteilbar. Diese Vogelfreien können doch tatsächlich in jeder Gruppe landen! Hier wird es die UEFA in Bukarest zumindest kurzzeitig wie eine Auslosung aussehen lassen können. Naja, fast: Es darf natürlich kein Gastgeber aus dem jeweiligen Lostopf schon in der Gruppe zugeteilt sein, dann geht es für diese neun Teams jeweils immer weiter in die nächste Gruppe, sofern dort ein Plätzchen frei sein sollte, bei dieser "Auslosung".
Richtig eng wird es in Topf 4. Dort liegen nämlich neben Finnland und Wales vier leere Loskugeln für die Gewinner der Playoffs. In den Playoffs spielen aber auch einige mögliche Gastgeber des Turniers, die - man ahnt es schon - wegen ihres möglichen Heimrechts natürlich längst bestimmten Gruppen zugeteilt sind. Und das hat wieder Folgen für andere Mannschaften. Finnland und Wales können nun beide nur noch in zwei der sechs Gruppen landen und bei dieser "Auslosung" die größte logistische Niete ziehen. Denn wer von beiden in Gruppe A spielt, wird möglicherweise innerhalb weniger Tage zwei Mal den halben Weg nach Indien zurücklegen müssen und in Aserbaidschans Hauptstadt Baku das von der UEFA ausgerufene Fest der europäischen Fußball-Integration feiern. Dass Brüssel dagegen mangels Fertigstellung eines Hochglanzstadions aus dem Programm flog, sei nur am Rande erwähnt.
Denn zurück zu dieser "Auslosung", wir sind nun schlauer. Die Bilanz dieser Lehrstunde: Neun Teams wissen längst, wo sie spielen werden, zwei weitere sind nah dran, wer in den vier Playoffs spielt, kennt sein mögliches Ziel in der Gruppeneinteilung auch. Für Zufall, Glück oder Pech wird nicht viel Raum sein - bei dieser "Auslosung".