Neulich habe ich es wieder gehört: Dass man keine anderen Götter haben soll, und dass solch ein anderer Gott heutzutage zum Beispiel das Geld sei.
Ich kenne das von Christen. Ich kenne das von Juden. Sie behaupten, die anderen Götter, das sei heutzutage die Gier nach materiellem Besitz. Gerne sind die anderen Götter auch der Gesundheitskult, der Jugendkult oder auch die Gier nach Likes bei Facebook.
Warum erklärt man auf Schritt und die Tritt, wer die anderen Götter seien? Weil in der hebräischen Bibel ständig von anderen Göttern die Rede ist. Meint die hebräische Bibel mit andern Göttern die Gier nach Likes bei Facebook oder, weil Facebook zu Zeiten der Bibel noch ein ziemliches Minderheitenmedium war, die Gier nach Beliebtheit? Meint sie die Gier nach Geld? Den Gesundheits- oder Jugendkult?
Nein, nein und nochmals nein. Wen oder was meint die hebräische Bibel also mit den anderen Göttern, die man auf keinen Fall verehren solle und denen man keine Standbilder machen solle? Sie meint überraschenderweise - andere Götter.
Attraktivere Götter
Mit denen hatte man es nämlich auf Schritt und Tritt zu tun, nach allem was wir wissen. Archäologen haben zahlreiche Standbilder ausgegraben, die die Judäer wahrscheinlich als Götter verehrt haben. Auch die Bibel berichtet davon, dass man sich ein Goldes Kalb gemacht habe und dass später halb Israel den Baalspropheten angehangen habe. Häufig waren die anderen Götter attraktiver als der Gott der Bibel. Denn für die gab es schöne Standbilder, sie waren möglicherweise schön bunt, man konnte sich was vorstellen, während man den Gott der Bibel nicht darstellen durfte. Nach allem was wir wissen, war es ein riesiges Problem, den einen Gott durchzusetzen gegen die vielen Götter.
Nun könnten sich Pfarrer und Rabbiner entspannt zurücklehnen und sagen: "Leute, heute wird die Predigt kurz, denn dieser Bibelabschnitt spricht von einem Problem, das wir heute so nicht haben." Dann könnten sie noch ein paar Einschränkungen präsentieren, dass es auch heute noch ab und an Polytheismus gibt usw. und dann zur Schlussfrage überleiten: "Was hat uns dieser Bibelabschnitt heute zu sagen? Also ehrlich gesagt, nicht sehr viel."
Alle wären froh und glücklich, erstens über die Kürze der Predigt, zweitens darüber, dass es da mal ein Problem gibt, das in den letzten dreitausend Jahren weitgehend gelöst worden ist. Wir dürsten doch alle nach etwas Positivem!
So machen es Pfarrer und Rabbiner aber nicht, denn es ist ihnen peinlich, dass die Bibel auch mal von Problemen redet, die nicht unsere sind. Sie wählen die Pfarrer- und Rabbiner-Notrutsche: Sie allegorisieren und aktualisieren, so kommen Geld und Gier und Fingerzeige in die Predigten. Goldene Kälber verbieten macht einfach so viel Spaß. Und: Ein bisschen Gott möchten sie schließlich auch sein.