Ja, stimmt. Auch am letzten Sonntag hat der ZDF-Fernsehgarten mit Andrea "Kiwi" Kiewel wieder ein betont niederschwelliges Unterhaltungsangebot gemacht. Allein der musikalische Auftakt!
Nach der zwölften Wiederholung der Zeile "Sie hatte nur noch Schuhe an" dürfte selbst den Papp-Figuren im coronahalber reduzierten Publikum aufgefallen sein, dass der Ballermann-Barde Mickie Krause ein schier ungeheuerliches erotisches Erlebnis zu verarbeiten hat.
Und auch als Tim Toupet bar falscher Eitelkeit intonierte: "Ich hab ne Zwiebel aufm Kopf, ich bin ein Döner, denn Döner macht schöner", wird das inhaltlich schlimmstenfalls die Katzen auf den Fernseh-Couchen überfordert haben.
Denken Sie nun aber bitte nicht, wir würden hier besonders subtil über den Fernsehgarten und blutsverwandte TV-Hochämter des deutschen Schlagers spotten wollen. Nein, ist nicht unser Ding!
Mit soziologischen Kanonen auf Schlagerspatzen
Man sollte über das Schlager-Business doch fairerweise so reden, wie der Schlager seinerseits von der Liebe singt: Stets lächelnd, mit einer gesunden Tendenz zur Verklärung. Und auf keinen Fall so miesepetrig wie damals Theodor Wiesengrund Adorno.
Der hat ja behauptet, Schlager würden die hart arbeitenden Menschen mit dem "Ersatz für Gefühle" beliefern, "von denen ihr zeitgemäß revidiertes Ich-Ideal sagt, sie müssten sie haben".
Falls jemand nicht auf Anhieb kapiert, wie das jetzt mit "Döner macht schöner" zusammenhängt: Der alte Adorno glaubte halt allen Ernstes, mit soziologischen Kanonen auf die "Merci Chérie" und "Rote Lippen soll man küssen" tirilierenden Schlagerspatzen seiner Zeit schießen zu müssen. Und das böse Blut wallt noch heute wie damals.
Der Social-Media-freie Fernsehgarten
Der Journalist Hans Hoff zum Beispiel hat im Medienmagazin DWDL die herrlich energiegeladene Kiwi als "'Super-Illu'-Version eines Perpetuum mobile" verunglimpft. Und er befand, ihr Publikum wirke, als habe "die Werkstatt für betreutes Denken einen Ausflug ausgelobt".
Sehen Sie: Das ist genau diese Fiesheit und Infamie, vor der wir uns bei Kiwi und nicht weniger bei Florian Silbereisen verlässlich geschützt fühlen dürfen.
Kiwi hat es klar ausgesprochen, als sie im vorletzten Fernsehgarten die Social-Media-freien 90er-Jahre feierte: "Keine Hetze im Internet, keine Nerds, die ständig twittern und sich auskotzen über andere!"
Und diese Medienkritik – Ihr Verächter, recherchiert und staunt! – blieb nicht folgenlos: Auf Youtube wurde die Konserve des jüngsten Fernsehgarten nur fünfzehnmal kommentiert – und überwiegend positiv: "Oh danke hab es gesehen heut war mega" - schrieb etwa der/die NutzerIn "Züge in Bayern".
Vorgeschmack auf das ersehnte Post-Corona-Paradies
Insofern hätte ein Friedrich Schiller heutzutage guten Grund, nicht die "Schaubühne als moralische Anstalt" zu feiern – sondern den Fernsehgarten. Und ebenso Silbereisens abgrundtief gutherzige "Seeparty in Österreich", mit der uns die ARD den Samstagabend versüßt hat.
Auch dort durften einige Auserwählte live dabei sein und einen Vorgeschmack auf das ersehnte Post-Corona-Paradies genießen. Wenn sich die Fans endlich wieder lachend und beglückt um die schönen Lieder drängen dürfen, die ihren Herzen aus der Seele sprechen.
Auch dort durften einige Auserwählte live dabei sein und einen Vorgeschmack auf das ersehnte Post-Corona-Paradies genießen. Wenn sich die Fans endlich wieder lachend und beglückt um die schönen Lieder drängen dürfen, die ihren Herzen aus der Seele sprechen.
Gewiss werden sie bei Silbereisen das empfinden, was ihnen Silbereisen schon vor der "Großen Seeparty" vorgesungen hat: "Ich fühl mich immer noch zu Hause hier bei dir."
Geschätzter Theodor Wiesengrund im Grabe! Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe zu den Schlagern – die nicht.