Morgen also sind Angela Merkel und Barack Obama auf dem Evangelischen Kirchentag – das passt!
Denn die Kanzlerin und der Ex-Präsident sind bekennende Christen.
"Ich glaube an den heilbringenden Tod Jesu Christ" lautet Obamas Credo, dem selbst strengste Evangelikale Beifall zollen könnten.
Wenn Merkel ihren Glauben erwähnt, klingt das nicht ganz so wuchtig. Sie spricht dann von der Prägung durch ihr christliches Elternhaus, vom Vorzug einer christlichen Lebenseinstellung und von christlicher Kultur.
Das Verhalten zeugt von politischem Augenmaß
In dem Magazin "Jesus" etwa schrieb Merkel: "Mein Christsein gibt mir Mut und Kraft, nicht nur im privaten, sondern auch im politischen Geschäft offen das auszusprechen, was ich denke."
Ob Merkel tatsächlich immer sagt, was sie denkt, sei dahin gestellt.
Fest steht jedoch, dass Merkel und Obama ihren offenbar starken Glauben beim Ausüben ihrer Ämter praktisch nie in den Vordergrund gestellt haben – auch nicht bei Entscheidungen, bei denen es nahe gelegen hätte.
Merkel hat ihre umstrittene flüchtlingsfreundliche Politik vom Herbst 2015 nicht etwa mit dem Hinweis auf den Barmherzigen Samariter oder auf das Christus-Wort aus Matthäus begründet: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan."
Nein, Merkel sprach vom "humanitären Imperativ", einem Verwandten von Kants kategorischem Imperativ. Beide gründen auf innerweltlichen Fundamenten, sie brauchen weder Gott noch Glaube.
Und Obama setzte die Gesundheitsreform nicht unter Verweis auf Jesu Gebot zur Nächstenliebe ins Werk. Der ehemalige Sozialarbeiter verwies auf 60 Millionen unversicherte US-Bürger.
Solches Verhalten reduziert aber weder Obamas noch Merkels Glaubensbekenntnis zum Lippenbekenntnis – es zeugt vielmehr von politischem Augenmaß.
Bush rückte seinen Glauben ins Zentrum seines Handelns
Kanzlerin und Ex-Präsident wurden zwar, wie andere Volksvertreter, als Personen mit bestimmten Charaktereigenschaften und Überzeugungen gewählt, wozu auch ihr Glaube gehört. Im Amt sind sie jedoch verpflichtet, dem gesamten Volk zu dienen – und das ist hier wie dort multireligiös, soweit es nicht agnostisch, atheistisch oder in Glaubensfragen gleichgültig ist.
Im Amt dezidiert christlich zu argumentieren, das wäre im Zweifel verfassungswidrig. Und es wäre gesellschaftlich heikel, weil es an empfindlichsten Punkten Zank stiften würde - deshalb wäre es unklug.
George W. Bush, der Amtsvorgänger von Obama, hat es gleichwohl getan, mit weltweiter Wirkung. Als er nach 9/11 den "Krieg gegen den Terrorismus" und die "Achse des Bösen" ausrief, war er sich sicher, im Auftrag des Allmächtigen zu agieren.
Bush, der sich wiedergeborener Christ nennt, redete in alttestamentlichen Bildern, rückte seinen Glauben ins Zentrum seines Handelns und rief suggestiv: "Wir wissen, dass Gott nicht neutral ist."
Die Folgen sind nicht nur im Irak noch heute zu besichtigen. Der verbreitete Anti-Amerikanismus in vielen muslimisch geprägten Staaten speist sich aus dem begründeten Eindruck, die USA hätten unter Bush einen Heiligen Krieg vom Zaun gebrochen.
Kein Politiker ist genötigt, seine Überzeugungen auszulöschen
Heißt das, dass bei Politikern der persönliche Glaube im Privaten und die religiöse Neutralität im Amt unvermittelt nebeneinander existieren müssen – obwohl der Glaube zu Taten motiviert?
Nun, es ergeben sich natürlich innere, hintergründige Verbindungen.
Kein Politiker ist genötigt, seine Überzeugungen auszulöschen. Doch im politischen Geschäft sollten sich Glaubensüberzeugungen immer in rein weltlichen Argumenten ausdrücken, die ohne religiöse Herleitung Geltung beanspruchen können.
Das Thema von Merkel und Obama auf dem Kirchentag lautet: "Engagiert Demokratie gestalten." Dabei dürfte die hintergründige Verbindung von Glaube und Politik sichtbar werden.
Und weil es der Kirchentag ist, darf die Sprache der Politiker ausnahmsweise auch mal richtig christlich klingen.