Sind Sie Veganer oder Vegetarierin? Oder gönnen Sie sich nur einmal im Monat freilaufendes Bio-Kalbfleisch für 56 Euro das Kilo? Dann hören Sie jetzt bitte weg! Wir gewöhnlichen deutschen Fleisch- und Wurstesser wollen uns hier nämlich ungestört Gedanken über die Causa Tönnies machen. Okay, Brüder und Schwestern im Fleische, es dürfte unstrittig sein, dass wir eine elementare Eigenschaft mit dem Wiener Würstchen teilen: Auch wir sind abgebrüht.
Jedenfalls hat kein Rinderwahn, kein Ekelfleisch-Skandal und kein Report über den alltäglichen Schlachthof-Horror unsere Fleischeslust je nachhaltig vermindert. Wir verputzen Blutwurst und Schlachtplatte, Roulade und Steak, Burger und Döner meistens in genau der frivolen Stimmung, die Tönnies per Reklame verbreiten will. Wer es nicht weiß: Auf dem Fabrikdach und auf den Lkw von "Tönnies Fleisch" zeigen sich Bulle, Kuh und Schwein stilisierterweise so lustig-aufgedreht, als wäre industrielles Geschlachtet-Werden ein Fest fürs Leben. Und umso besser – so die Suggestion – soll es uns beim Genuss des prallen Fleisches dieser Party-Biester gehen.
Über das Elend der Tiere in der Fleisch-Produktion sind wir als Fleisch-Esser offenbar hinweg – oder setzen uns immer wieder neu darüber hinweg. Der Corona-Ausbruch bei Tönnies und anderen zwingt uns allerdings vor dem Einspeicheln des nächsten Fleischbissens eine weitere Verdrängungsleistung ab. Sie betrifft die Menschen in der Produktion. Denn wer die Würde der Currywurst für unantastbar hält, darf es mit der Menschenwürde nicht so genau nehmen. Oder will jemand behaupten, die Zustände in den Unterkünften der Tönnies-Werksarbeiter kämen angesichts der Pandemie keiner fahrlässiger Körperverletzung gleich?
Menschen und Tiere im Takt der Produktion
Wäre Corona nicht so verdammt schlecht, könnte man sagen: Das Gute an Corona ist, dass es die waltenden Missstände plastisch hervorhebt und vor aller Augen dramatisiert. Man sieht überdeutlich, was man natürlich auch schon vorher grundsätzlich wusste: Zur Erzeugung spottbilliger Fleischprodukte muss man die Menschen in der Produktion so ähnlich behandeln wie die Tiere. Beide werden eingepfercht; beider Körper werden maximal ausgeschlachtet; beide können sich schlecht verständigen; beide unterliegen dem ruhelosen Takt der Produktionsstraßen. Die einen können nicht aufmucken, die anderen dürfen es nicht. Schließlich bringen die Menschen die Tiere um. Und wer weiß, vielleicht erwerben sie dann beim Discounter das Resultat ihrer Schlachterei als Schweine-Gehacktes, das Kilo zu 3,99 Euro.
Womit wir bei einem moralischen Feigenblatt wären, das erklären soll, warum Billig-Fleisch überhaupt produziert wird: Damit es sich auch Leute leisten können – heißt es –, die leider nur so wenig verdienen, wie man zum Beispiel in der Billig-Fleischproduktion verdient - was angesichts der 1,x Milliarden, auf die das Vermögen des Fleisch-Moguls Clemens Tönnies geschätzt wird, kein restlos unhinterfragbares Argument ist.
Und überhaupt kann man in unserem Grundgesetz blättern, bis einem die Finger bluten wie aufgeschlitzte Hähnchenhälse: Vom Bürgerrecht auf täglich Schnitzel steht das nichts. Es ist bloß die Ess-Gewohnheit, die den Eindruck macht, es stünde da so.
Besser ein halbfauler Kompromiss, als keiner
Kurz und betrüblich, liebe Brüder und Schwestern im Fleische: Der ganze Komplex ist für uns ziemlich ungenießbar. Doch im Blick auf die Grill-Session heute Abend und den vorbereiteten Lamm-Lachs in Knoblauch und Rosmarin wissen wir alle: Unser Geist mag manchmal entsagungswillig sein, unser Fleisch wird trotzdem schwach, wenn schiere Fleischeslust es durchzittert.
Bleibt realistischerweise wohl nur ein halbfauler Kompromiss: Essen wir Tiere viel bewusster, essen wir sie seltener, essen wir glücklichere Tiere! Kaufen wir ihr Fleisch nie so billig wie möglich ein! Sorgen wir dafür, dass der höhere Preis nicht auf Tönnies Konto einzahlt, sondern aufs Konto der Menschen in der Produktion! Und vergessen wir das alles nicht schon wieder, wenn nachher der Duft von Grillfleisch in der Luft liegt!