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Glosse zur WM 2018
Erwartbare Fragen, erwartbare Antworten

In seiner Glosse zur Fußball-WM wundert sich Jürgen Roth über so manche Formulierung im Fernsehen. Eine Frage lautet: Was ist ein "Schnellumschaltspiel für diese Schnittstellenbälle"? Trotz solcher Stilblüten findet Roth den "ruhenden Rhetor inmitten des endlosen Gesabbels über den Niedergang Deutschlands".

Von Jürgen Roth |
    Die Moderatoren Alexander Bommes (l.) und Matthias Opdenhövel
    Die Moderatoren Alexander Bommes (l.) und Matthias Opdenhövel (imago sportfotodienst)
    Es ist ja nicht leicht. O nein, leicht ist es nicht. Nicht allein das Auftreten des wachsfigurengleich polierten Herrn "Irgendwie namens Löw" und diese "Weltmeistergespensterspiele", wie die FAZ vorgestern barmte, diese schnöseligen Schlafgemachschludrigkeitsdarbietungen, die den Mythos der stählernen deutschen Fußballnationalmannschaft in Trümmer legten, kamen und kommen noch immer peinvollster seelischer Marter gleich. Auch das deutsche Fernsehen läßt sich nicht lumpen und tischt uns seit mehr als zwei Wochen einen blubbernden Brei aus Schleim und Schlamperei auf.
    Breyer mit offenen Worten
    Halt, stop, nö! Hie und da hat sich was getan. Seltsam, seltsam. Ja, es hat sich seit der hemmungslos verfaselten Europameisterschaft vor zwei Jahren was getan. Eine, bei aller Nichtigkeit des in sogenannten Expertengesprächen Verhandelten, grandezzagemäße Manier der Selbstbesinnung ist etwa dem ZDF-Moderator Jochen Breyer anzumerken, der vor der WM gegenüber der taz eingestanden hatte, "dass wir sehr viele Interviews nach Spielen führen, die wenige Sekunden später wieder vergessen sind. Dass wir sehr viele Fragen stellen, die total erwartbar sind. Dass wir sehr viele Antworten bekommen, die total erwartbar sind". Es sei denn, der brodelnde Mats Hummels widersetzt sich - mühsam gehemmt - den totalitären, hypokritischen Schleiflacksprachregelungen des megalomanen, vor Arroganz berstenden Geld- und PR-Instituts namens DFB.
    Desgleichen agiert, unserer ewig fehlbaren, indes beharrlichen Beobachtung nach, das nahezu unantastbare Duo Oliver Welke/Oliver Kahn lupen- und astrein. Ja, da fällt die Klappe der Kritik - auch wenn ausgerechnet die Bild-Zeitung meint, Welke, der ausnahmslos vernünftige Fragen an Kahn und die "Stargäste" des ZDF stellt, "Kita-Sprech" vorhalten zu dürfen. Es sind weiß Gott Berufene, die da das Wort ergreifen.
    Moderieren ohne Verben und Hilfsverben
    Oliver Kahn ist, erfüllt von fundierter Gelassenheit und uneitler Souveränität, der ruhende Rhetor inmitten des endlosen Gesabbels über den Niedergang Deutschlands. Die Grammatik hat er zu seiner Freundin erwählt, den Sinn zu seinem Kumpel, und sofern es nichts zu sagen gibt, sagt er, dass es nichts zu sagen gibt. Hinsichtlich des albernen, durch einen haarsträubenden Torwartfehler verursachten Führungstreffers der Kroaten gegen Argentinien erwiderte er Welke: "Erwartest du, dass ich dazu was sage? Da mußt du ja dazu nichts sagen, da musst du einfach nur hinschauen. Das muss man ja nicht kommentieren."
    Doch obwohl wir uns, mit Thomas Müller zu reden, "mit grundsätzlichen Pauschalbewertungen" zurückhalten wollen, steht grosso modo an, dennoch von einer, wie’s der unerreichte Gerhard Polt ausdrückt, "Blütezeit angewandter Bodenlosigkeit" zu sprechen; steht an, ein "Neubewörteln" des Fußballs zu beklagen, in dem sich Achtlosigkeit, Berufsinfantilität und Stumpfsinn trübetassenartig mischen.
    Wer hat zum Beispiel den ARD-Plauderwalzen Opdi und Bommi eingeflüstert, konsequent Verben und Hilfsverben zu umfahren? Wer hat den beiden Büllerbabblern beigebogen, auf die Verwendung eines bestimmten oder eines unbestimmten Artikels einen Dreck zu geben? Ward eine diesbezügliche Direktive aus der DFB-Zentrale im famosen Frankfurt am Main durchgereicht? Um das marketingkonforme Werbespotgestammel zur Norm zu erklären?
    Was ist "ein dickes Quantum an Temperament"?
    Was - wir verzichten im weiteren auf die Nennung der Urheber - rechtfertigt diesen ubiquitären, pestilenzialischen, versteift-erstarrten Substantivstil? Was ist ein "Schnellumschaltspiel für diese Schnittstellenbälle"? Was ist "ein dickes Quantum an Temperament"? Wieso muß jemand "eine Anspielstation gebieten"? Oder irgendwas "mit der Brust für den Ball servierfertig machen"?
    Was, in Gottes gepriesenem Namen, mag ein "Entstehungsvorlauf" sein? Ein - okay, das verstehen wir halbwegs - "Balltransport flott durchs Mittelfeld"? Warum wird etwas "mit Struktur vorgetragen"? Und zwar "mit einem wahnsinnigen Drehbuch in alle Richtungen"? Was mag das alles "im Gesamtzusammenhang der Situation" frommen?
    Oder was, oje, oje, sind "kurze Räume"? Räume wohlgemerkt, "wo ein ganz entscheidender Laufpass passiert"? Und weshalb "gelingen ihm nicht die wichtigen und so nötigen Impulse heute"? Ob derer, der nicht gelungenen Impulse wegen, er - wer auch immer - "seine Unzufriedenheit rübergestikuliert" Wer hat diesen Schamlosschnablern befohlen zu plappern: "Sie machen eine Situation"? Oder: "Auf einmal ist der Faden weg"? Oder: "Das macht er gefährlich"? Oder: "ein kleines Zimperlein"? Eventuell: "als kleine Vorstellungsmaßnahme"?
    Wie schrieb Brecht? "So viele Berichte, / So viele Fragen"
    Oder why, why, why hat ein Team "den Passweg auch zu verdichten"? Ist es nicht so, dass wir zu seufzen genötigt sind: "Die Wahrscheinlichkeit ist extrem unwahrscheinlich" - dass nämlich in einem solchen Wortsumpf noch irgend etwas "Sinn macht"? Wie heißt es am Schluss von Bertolt Brechts Gedicht "Fragen eines lesenden Arbeiters"?
    "So viele Berichte, / So viele Fragen."