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Glücksspiel, Shopping, Pornografie
Verhaltenssüchte verstärkt im Fokus der Forschung

Kaufsucht, Glücksspiele, Pornografie oder Videos - Forscher schätzen, dass fünf Prozent der Bevölkerung in Deutschland mit Verhaltenssüchten zu kämpfen haben. Anfällig dafür sind vor allem Menschen mit geringem Selbstwertgefühl. Vermehrt beschäftigt sich nun die Forschung mit Diagnose und Therapie.

Mira Fricke im Gespräch mit Carsten Schroeder |
    Spielautomaten stehen am 04.09.2014 in einer gewerblichen Spielhalle in Garbsen (Niedersachsen). Vielen Spielhallen in Niedersachsen droht aus Sicht der Betreiber wegen verschärfter Regeln das Aus. Foto: Ole Spata/dpa (zu lni "Verband warnt vor Spielhallensterben in Niedersachsen") | Verwendung weltweit
    Glücksspielsucht ist weit verbreitet. (dpa)
    Carsten Schroeder: Wieviele Menschen sind denn von solchen Verhaltenssüchten betroffen und in welcher Bevölkerungsgruppe sind sie besonders verbreitet?
    Mira Fricke: Also, ganz allgemein schätzen Forscher, dass in Deutschland bis zu fünf Prozent der Bevölkerung mit einer Verhaltenssucht zu kämpfen haben. Beispiele für solche Süchte sind die Kaufsucht, die Glücksspielsucht, die Videospiel- oder Pornografiesucht. Und ob es sowas wie eine Social-Media-Sucht gibt, wird momentan auch diskutiert. Je nach Sucht variiert die Gruppe der Betroffenen etwas. Bei der Pornografiesucht zum Beispiel sind hauptsächlich Männer betroffen, während die Kaufsucht eher ein Problem bei Frauen ist.
    Was das Alter angeht, kann man schon sagen, dass Verhaltenssüchte ganz grundsätzlich bei Jugendlichen etwas häufiger auftreten als beim Rest der Bevölkerung. Besonders deutlich zeigt sich das zum Beispiel bei der Videospielsucht. Das ist definitiv eher für jüngere Menschen ein Problem. Trotzdem heißt das nicht, dass es nicht auch Menschen in ihren 40ern gibt, die eine Videospielsucht haben. Das gibt es schon auch. Ebenso die Glücksspielsucht und Kaufsucht, das betrifft schon auch Menschen jenseits des Jugendalters. Das hat mir Dr. Hans-Jürgen Rumpf von der Universität Lübeck erläutert, der unter anderem zur Häufigkeit von Verhaltenssüchten forscht.
    Belohnungssystem im Gehirn wird stimuliert
    Carsten Schroeder: Also es gibt offenbar mehr jüngere Menschen, die betroffen sind. Weiß man denn sonst noch, was Faktoren sein können, die eine Verhaltenssucht begünstigen?
    Mira Fricke: Dazu muss man erst mal sagen, dass nur bestimmtes Verhalten auch das Potenzial zur Sucht hat. Und zwar in erster Linie solche Verhaltensweisen, bei denen sich ein Gefühl von Belohnung einstellt. Das zeigt sich dann sogar im Gehirn, dass durch dieses Verhalten das Belohnungssystem stimuliert wird. Einkaufen, Pornos schauen, Videospiele spielen – all das können Menschen als Belohnung empfinden.
    Und jetzt scheint es tatsächlich so zu sein, dass Menschen, die eher ein geringes Selbstwertgefühl haben und in ihrem Leben sonst weniger das Gefühl von Bestätigung erfahren – zum Beispiel durch ihre Arbeit oder in einer funktionierenden Beziehung – dass diese Menschen eher dazu neigen eine Verhaltenssucht zu entwickeln. Das wurde mir von Dr. Kai Müller berichtet. Er beschäftigt sich an der Universitätsmedizin in Mainz insbesondere mit den Risikofaktoren für Glücksspielsucht.
    Drei Kriterien für Süchtigsein
    Carsten Schroeder: Wann wird denn ein bestimmtes Verhalten zur Sucht? Viele Menschen spielen ja gerne auch mal länger Videospiele und nicht alle sind automatisch süchtig.
    Mira Fricke: Ja, das ist absolut richtig. Wissenschaftler machen das Süchtig-Sein an drei Kriterien fest. Das erste ist der Kontrollverlust: also obwohl ich eigentlich weiß, ich sollte vielleicht aufhören mit Pornos schauen oder Videos spielen, schaffe ich das einfach nicht. Das zweite sind negative Konsequenzen, die ich durch mein Verhalten habe: Also habe ich vielleicht schon eine Abmahnung auf der Arbeit bekommen durch meine Pornografiesucht oder habe ich schon Schulden durch meine Kaufsucht und mache trotzdem noch weiter.
    Und das dritte ist, dass sich mein ganzes Leben der Sucht unterordnet. Also, meine Freunde, meine Familie, die Arbeit: Alles ist weniger wichtig – das Suchtverhalten hat absolute Priorität.
    Therapie muss individuell angepasst werden
    Carsten Schroeder: Wie kann man denn Menschen mit Verhaltenssüchten helfen? Gibt es einen Weg aus der Sucht?
    Mira Fricke: Den gibt es, aber dafür ist es wichtig, dass die Betroffenen auch erkennen "Ja, ich bin süchtig und ich möchte Hilfe". Oft passiert das aber erst nach Jahren, wenn die Probleme durch die Sucht unüberwindbar scheinen. Und dann geht es erst einmal darum zu schauen: Warum ist jemand süchtig? Ist es ein negatives Selbstbild, an dem gearbeitet werden kann in einer Therapie? Stressbewältigung ist auch oft ein Teil und zusätzlich eine Verhaltenstherapie. Aber je nach Art der Sucht muss eben auch die Therapie individuell angepasst werden. Das hat Prof. Astrid Müller mir gegenüber betont. Sie therapiert schon viele Jahre Betroffene von Kaufsucht an der Medizinischen Hochschule Hannover.